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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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mit hochachtungsvoller Gleichgiltigkeit abzufertigen, wie unbequem uns der
Rath auch gerade jetzt kommen mag, und es wird aller Gewandtheit und Ener¬
gie unseres auswärtigen Amtes bedürfen, um die Ansichten der Neutralen mit
dem in Einklang zu bringen, was für uns militärisch nothwendig ist.

Denn die Ueberzeugung ist im Heer und Volke allgemein, daß die Fran¬
zosen noch nicht so weit gebracht sind, um in eine Abtretung des Elsaß und
des Saargebiets zu willigen, und daß eine Unterbrechung unserer militärischen
Operationen gerade jetzt sür uns unheilvoller wäre, als eine verlorene Schlacht.
Zur Niederwerfung der feindlichen Widerstandskraft bedürfen wir noch einige
Wochen, welche die Uebergabe von Metz und Paris bringen sollen. Für
Bazaine steht die Katastrophe nahe bevor, den Zutritt zu Paris vermögen
wir erst nach mehreren Wochen scharfer Arbeit zu 'gewinnen. Von dem Tage,
an welchem das Belagerungsgeschütz seine Arbeit beginnen kann, muß ein
regelmäßiger Angriff zunächst auf einige Forts stattfinden, erst wenn diese
genommen sind, ist ein Angriff auf die Stadt selbst möglich, auch dieser, wie sehr
er durch die Noth der ungeheuren Stadtbevölkerung unterstützt werden mag,
wird vorsichtig und soweit systematisch sein müssen, daß er nicht auf die Zu¬
fälle des Schreckens und der Betäubung rechnet, fondern auf thatsächliche
Fortschritte der Artilleriewirkung und Sappe. Und es ist immer noch eine
hoffnungsvolle Annahme, welche die Bewältigung von Paris etwa vier Wochen
nach Eröffnung des Belagerungskampfes erwartet. Sind Metz und Paris
in unserer Gewalt, dann erst dürfte die richtige Zeit sür Zusammentritt
einer französischen Constituante gekommen sein.

An den Festfahnen, welche unsere Landsleute in den letzten Monaten
zur Siegesseier von Fenstern und Dächern wehen ließen, war in Norddeutsch¬
land zuweilen Schwarzrothgold zu schauen. Nicht nur bei solchen deutschen
Hausbewohnern, welche aus alter Gewohnheit oder Unzufriedenheit diese
Bannerfarben hochschätzen, oder in sparsamen Gemüth eine vorhandene Flagge
aufzubrauchen wünschen. Auch kluge Leute lassen, z. B. in Berlin, die Reichs¬
fahne von t848 wehen; Kenn -- so erklären sie -- jetzt nahe eine große
Zeit, welche etwas ganz anderes bringen werde, als den Norddeutschen Bund;
ferner müsse man den Süddeutschen entgegenkommen, und was sei im
Grunde an der Farbe gelegen? .Wenn der ehrliche Deutsche sich auf politische
Schlauheiten' legt, thut er in der Regel Abgeschmacktes. Einem Preußen soll
nicht gleichgiltig sein, ob das deutsche Banner, welches seine Thürschwelle
beschattet, neben dem modernen Roth die preußischen Farben enthält, oder
die östreichischen. Wenn aber die Farben in Wahrheit unwesentlich wären,
so würde dem freidenkenden Hausbesitzer unter den Linden oder in der Leip¬
ziger Straße erst recht ziemen, dieselben Farben zu zeigen, mit denen die
ungeheure Mehrzahl seiner deutschen Landsleute sich in frohem Stolze schmückt.


mit hochachtungsvoller Gleichgiltigkeit abzufertigen, wie unbequem uns der
Rath auch gerade jetzt kommen mag, und es wird aller Gewandtheit und Ener¬
gie unseres auswärtigen Amtes bedürfen, um die Ansichten der Neutralen mit
dem in Einklang zu bringen, was für uns militärisch nothwendig ist.

Denn die Ueberzeugung ist im Heer und Volke allgemein, daß die Fran¬
zosen noch nicht so weit gebracht sind, um in eine Abtretung des Elsaß und
des Saargebiets zu willigen, und daß eine Unterbrechung unserer militärischen
Operationen gerade jetzt sür uns unheilvoller wäre, als eine verlorene Schlacht.
Zur Niederwerfung der feindlichen Widerstandskraft bedürfen wir noch einige
Wochen, welche die Uebergabe von Metz und Paris bringen sollen. Für
Bazaine steht die Katastrophe nahe bevor, den Zutritt zu Paris vermögen
wir erst nach mehreren Wochen scharfer Arbeit zu 'gewinnen. Von dem Tage,
an welchem das Belagerungsgeschütz seine Arbeit beginnen kann, muß ein
regelmäßiger Angriff zunächst auf einige Forts stattfinden, erst wenn diese
genommen sind, ist ein Angriff auf die Stadt selbst möglich, auch dieser, wie sehr
er durch die Noth der ungeheuren Stadtbevölkerung unterstützt werden mag,
wird vorsichtig und soweit systematisch sein müssen, daß er nicht auf die Zu¬
fälle des Schreckens und der Betäubung rechnet, fondern auf thatsächliche
Fortschritte der Artilleriewirkung und Sappe. Und es ist immer noch eine
hoffnungsvolle Annahme, welche die Bewältigung von Paris etwa vier Wochen
nach Eröffnung des Belagerungskampfes erwartet. Sind Metz und Paris
in unserer Gewalt, dann erst dürfte die richtige Zeit sür Zusammentritt
einer französischen Constituante gekommen sein.

An den Festfahnen, welche unsere Landsleute in den letzten Monaten
zur Siegesseier von Fenstern und Dächern wehen ließen, war in Norddeutsch¬
land zuweilen Schwarzrothgold zu schauen. Nicht nur bei solchen deutschen
Hausbewohnern, welche aus alter Gewohnheit oder Unzufriedenheit diese
Bannerfarben hochschätzen, oder in sparsamen Gemüth eine vorhandene Flagge
aufzubrauchen wünschen. Auch kluge Leute lassen, z. B. in Berlin, die Reichs¬
fahne von t848 wehen; Kenn — so erklären sie — jetzt nahe eine große
Zeit, welche etwas ganz anderes bringen werde, als den Norddeutschen Bund;
ferner müsse man den Süddeutschen entgegenkommen, und was sei im
Grunde an der Farbe gelegen? .Wenn der ehrliche Deutsche sich auf politische
Schlauheiten' legt, thut er in der Regel Abgeschmacktes. Einem Preußen soll
nicht gleichgiltig sein, ob das deutsche Banner, welches seine Thürschwelle
beschattet, neben dem modernen Roth die preußischen Farben enthält, oder
die östreichischen. Wenn aber die Farben in Wahrheit unwesentlich wären,
so würde dem freidenkenden Hausbesitzer unter den Linden oder in der Leip¬
ziger Straße erst recht ziemen, dieselben Farben zu zeigen, mit denen die
ungeheure Mehrzahl seiner deutschen Landsleute sich in frohem Stolze schmückt.


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[0205] mit hochachtungsvoller Gleichgiltigkeit abzufertigen, wie unbequem uns der Rath auch gerade jetzt kommen mag, und es wird aller Gewandtheit und Ener¬ gie unseres auswärtigen Amtes bedürfen, um die Ansichten der Neutralen mit dem in Einklang zu bringen, was für uns militärisch nothwendig ist. Denn die Ueberzeugung ist im Heer und Volke allgemein, daß die Fran¬ zosen noch nicht so weit gebracht sind, um in eine Abtretung des Elsaß und des Saargebiets zu willigen, und daß eine Unterbrechung unserer militärischen Operationen gerade jetzt sür uns unheilvoller wäre, als eine verlorene Schlacht. Zur Niederwerfung der feindlichen Widerstandskraft bedürfen wir noch einige Wochen, welche die Uebergabe von Metz und Paris bringen sollen. Für Bazaine steht die Katastrophe nahe bevor, den Zutritt zu Paris vermögen wir erst nach mehreren Wochen scharfer Arbeit zu 'gewinnen. Von dem Tage, an welchem das Belagerungsgeschütz seine Arbeit beginnen kann, muß ein regelmäßiger Angriff zunächst auf einige Forts stattfinden, erst wenn diese genommen sind, ist ein Angriff auf die Stadt selbst möglich, auch dieser, wie sehr er durch die Noth der ungeheuren Stadtbevölkerung unterstützt werden mag, wird vorsichtig und soweit systematisch sein müssen, daß er nicht auf die Zu¬ fälle des Schreckens und der Betäubung rechnet, fondern auf thatsächliche Fortschritte der Artilleriewirkung und Sappe. Und es ist immer noch eine hoffnungsvolle Annahme, welche die Bewältigung von Paris etwa vier Wochen nach Eröffnung des Belagerungskampfes erwartet. Sind Metz und Paris in unserer Gewalt, dann erst dürfte die richtige Zeit sür Zusammentritt einer französischen Constituante gekommen sein. An den Festfahnen, welche unsere Landsleute in den letzten Monaten zur Siegesseier von Fenstern und Dächern wehen ließen, war in Norddeutsch¬ land zuweilen Schwarzrothgold zu schauen. Nicht nur bei solchen deutschen Hausbewohnern, welche aus alter Gewohnheit oder Unzufriedenheit diese Bannerfarben hochschätzen, oder in sparsamen Gemüth eine vorhandene Flagge aufzubrauchen wünschen. Auch kluge Leute lassen, z. B. in Berlin, die Reichs¬ fahne von t848 wehen; Kenn — so erklären sie — jetzt nahe eine große Zeit, welche etwas ganz anderes bringen werde, als den Norddeutschen Bund; ferner müsse man den Süddeutschen entgegenkommen, und was sei im Grunde an der Farbe gelegen? .Wenn der ehrliche Deutsche sich auf politische Schlauheiten' legt, thut er in der Regel Abgeschmacktes. Einem Preußen soll nicht gleichgiltig sein, ob das deutsche Banner, welches seine Thürschwelle beschattet, neben dem modernen Roth die preußischen Farben enthält, oder die östreichischen. Wenn aber die Farben in Wahrheit unwesentlich wären, so würde dem freidenkenden Hausbesitzer unter den Linden oder in der Leip¬ ziger Straße erst recht ziemen, dieselben Farben zu zeigen, mit denen die ungeheure Mehrzahl seiner deutschen Landsleute sich in frohem Stolze schmückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/205>, abgerufen am 22.12.2024.