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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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seinen Bericht über meinen Unfall schon am 30. November erhalten hatte,
wich er dennoch meiner Forderung, mir meine Pässe zu geben, immer aus,
so daß ich genöthigt war, vierzehn Tage lang in Leipzig, inmitten der
pestilenzialischen Fieber, welche diese Stadt entvölkern, die traurigste Existenz
zu führen, ohne die Möglichkeit, dem Könige oder dem Grafen Senfft eine
Nachricht von mir zukommen zu lassen. Es war klar, daß Repnin Befehl hatte,
mich so lange wie möglich in Leipzig zurückzuhalten. Aufgebracht über diese Be¬
handlung, erklärte ich endlich am 4. December dem Staatsrath von Merian
mein Erstaunen, mich trotz eines Passes des Fürsten Schwarzenberg, den
Repnin selbst fignirt habe, hier gefangen zu sehen, und daß ich nicht begriffe,
wie das mir zugestoßene Unglück, in die Hände von Marodeurs zu fallen,
an der schon ertheilten Auiorifalion zu meiner Reise nach Berlin etwas ändern
könne. Nun schlug Repnin wieder einen anderen Ton an; er behandelte mich
sehr freundlich und versicherte mir, meine Angelegenheit hätte durch mein
langes Warten nur gewinnen können und ich würde mit ihm zufrieden sein;
zugl.ich lud er mich zu einem großen Diner, das er zu Ehren der Gro߬
fürstin Katharina gab.

Dessenungeachtet wurde mein Paß nicht expedirt, obgleich es nach Rep-
nins Besprechen von einem Tag zum andern geschehen sollte. Endlich, am
7. December, hatte ich eine entscheidende Unterredung mit ihm. "Ich habe
noch keine Befehle in Bezug auf Sie/' sagte Repnin, "und ich werde sie bis
zur letzten Minute vor meiner Abreise nach Dresden erwarten, d. h. bis
morgen Abend; bekomme ich keine entgegengesetzte Weisung, so werde ich
Ihnen morgen einen Paß für Berlin ausfertigen, weil Sie es wünschen, aber
unter der einzigen Bedingung, daß Sie mir versprechen nach Dresden zurück¬
zukommen, denn ich will keine geheimen Missionen nach dem Hauptquartier
mehr autorisiren." Ich versprach es. "Ihre Reise nach Berlin kann übrigens
dem Könige und dem Stande der Dinge in Sachsen nützlich werden" fuhr
Repnin fort, "weil Sie den König über die wahre Lage der Angelegenheiten
aufklären und diese geheimen Verhandlungen verhindern können, die nur ge¬
eignet sind, die Sache Sr. Majestät zu verschlimmern und die sie in der That
verschlimmert haben." -- "Aber was soll der König thun?" -- "Soll ich Ihnen
meine Meinung offen sagen? Es bleibt Ihrem König nur ein einziges Mittel,
nämlich an den Kaiser Alexander zu schreiben und sich ganz und gar und
ohne Rückhalt in seine Hand zu geben. Dazu braucht es nur eines Briefes
aber keiner Unterhandlung noch Unterhändler, weil man deren, wie Ihnen
das Beispiel des Generals Watzdorf gezeigt hat, im gegenwärtigen Stande
der Dinge keine annimmt. Senfft und Watzdorf werden von uns immer mit
mißtrauischen Augen angesehen werden, so lange sie sich im Hauptquartiere
befinden und sich die Miene geben, als wollten sie uns 'durch Oestreichs Ein-


seinen Bericht über meinen Unfall schon am 30. November erhalten hatte,
wich er dennoch meiner Forderung, mir meine Pässe zu geben, immer aus,
so daß ich genöthigt war, vierzehn Tage lang in Leipzig, inmitten der
pestilenzialischen Fieber, welche diese Stadt entvölkern, die traurigste Existenz
zu führen, ohne die Möglichkeit, dem Könige oder dem Grafen Senfft eine
Nachricht von mir zukommen zu lassen. Es war klar, daß Repnin Befehl hatte,
mich so lange wie möglich in Leipzig zurückzuhalten. Aufgebracht über diese Be¬
handlung, erklärte ich endlich am 4. December dem Staatsrath von Merian
mein Erstaunen, mich trotz eines Passes des Fürsten Schwarzenberg, den
Repnin selbst fignirt habe, hier gefangen zu sehen, und daß ich nicht begriffe,
wie das mir zugestoßene Unglück, in die Hände von Marodeurs zu fallen,
an der schon ertheilten Auiorifalion zu meiner Reise nach Berlin etwas ändern
könne. Nun schlug Repnin wieder einen anderen Ton an; er behandelte mich
sehr freundlich und versicherte mir, meine Angelegenheit hätte durch mein
langes Warten nur gewinnen können und ich würde mit ihm zufrieden sein;
zugl.ich lud er mich zu einem großen Diner, das er zu Ehren der Gro߬
fürstin Katharina gab.

Dessenungeachtet wurde mein Paß nicht expedirt, obgleich es nach Rep-
nins Besprechen von einem Tag zum andern geschehen sollte. Endlich, am
7. December, hatte ich eine entscheidende Unterredung mit ihm. „Ich habe
noch keine Befehle in Bezug auf Sie/' sagte Repnin, „und ich werde sie bis
zur letzten Minute vor meiner Abreise nach Dresden erwarten, d. h. bis
morgen Abend; bekomme ich keine entgegengesetzte Weisung, so werde ich
Ihnen morgen einen Paß für Berlin ausfertigen, weil Sie es wünschen, aber
unter der einzigen Bedingung, daß Sie mir versprechen nach Dresden zurück¬
zukommen, denn ich will keine geheimen Missionen nach dem Hauptquartier
mehr autorisiren." Ich versprach es. „Ihre Reise nach Berlin kann übrigens
dem Könige und dem Stande der Dinge in Sachsen nützlich werden" fuhr
Repnin fort, „weil Sie den König über die wahre Lage der Angelegenheiten
aufklären und diese geheimen Verhandlungen verhindern können, die nur ge¬
eignet sind, die Sache Sr. Majestät zu verschlimmern und die sie in der That
verschlimmert haben." — „Aber was soll der König thun?" — „Soll ich Ihnen
meine Meinung offen sagen? Es bleibt Ihrem König nur ein einziges Mittel,
nämlich an den Kaiser Alexander zu schreiben und sich ganz und gar und
ohne Rückhalt in seine Hand zu geben. Dazu braucht es nur eines Briefes
aber keiner Unterhandlung noch Unterhändler, weil man deren, wie Ihnen
das Beispiel des Generals Watzdorf gezeigt hat, im gegenwärtigen Stande
der Dinge keine annimmt. Senfft und Watzdorf werden von uns immer mit
mißtrauischen Augen angesehen werden, so lange sie sich im Hauptquartiere
befinden und sich die Miene geben, als wollten sie uns 'durch Oestreichs Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/186>, abgerufen am 22.12.2024.