verhältnißmäßig spät, doch dann um so ehrenvoller, in das öffentliche Leben eingeführt.
Die gelehrte Vielseitigkeit und tiefe philosophische Bildung seines Vaters, eine ihm stets offene reiche Bibliothek und der deutsche Wissensdrang führten ihn zu einer Universalität des geistigen Strebens, welche nirgends eine Schranke zu finden wußte. Wie er sich selbst im Drama versucht hat (die "Patrizier", gedruckt bei Brockhaus, 1848), so bezeugen seine Aufsätze über Schiller, Comte, über Macchiavelli u. a. die vielseitige Kenntniß und feine Auffassung der geistigen und sittlichen Seite des menschlichen Lebens in Gesellschaft und Staat, sowie eine Beobachtungsgabe, welche auch dem viel behandelten Thema neue Gesichtspunkte abzugewinnen weiß. Aber er war auch auf der anderen Seite in Darwinschen Lehren wie im Gesammtgebiet der Naturwissenschaften ebenso wohl bewandert. Seine Freunde wußten noch besser als seine Ver¬ ehrer in weiteren Kreisen, daß er im Grunde "Alles" gelesen, über Alles Auskunft zu geben, über jede Frage interessante und lehrreiche Bemerkungen zu machen halte. In den Leidensstunden seiner letzten achtzehnmonatlichen Krankheit war es schwer, noch ein Buch zu finden, um diesem unermüdlichen Geist neue Nahrung zuzuführen. Die Mittagstunde seines Todestages fand ihn noch mit dem Drama der Nibelungen beschäftigt. Diese urdeutsche Uni¬ versalität hätte den Mann unter anderen Umgebungen zu einem glücklichen Dilettanten machen können.
Allein eine ernste und gründliche Berufsbildung hat jener Univer¬ salität ihren Halt und feste Ziele gegeben. Manche seiner Freunde hatten den Eindruck, daß auch ein sechsjähriges Kreisrichteramt einer kleinen märki¬ schen Stadt glücklich dahin gewirkt hat, diesem Geist eine Concentrirung und Vertiefung zu geben. Dem preußischen Juristenberuf verdankt Tochter die charakteristische Klarheit der Auffassung und Darlegung, die Ordnung und Disciplin in seinem Denken und Handeln, die Ausdauer in Allem, was dem äußeren Leben und Beruf angehört. In seinem ganzen Geistesleben war ein Widerstreben gegen das illihuiäum; er arbeitete sich mühsam zur Klarheit durch und hielt lieber inne an der Grenze des Möglichen, ehe er dem Ge¬ fühl und der Einbildungskraft in ernsten Dingen einen Spielraum gewährte. In der gewissenhaften, treuen Erfüllung des Amtsberuss hatte er mit der aufrichtigen Hochachtung der Berufsgenossen auch die Leichtigkeit und Ge¬ wandtheit des Geschäftslebens gewonnen, die ihm später vortrefflich zu statten gekommen ist.
Diese Vorbedingungen zur Entwicklung des politischen Mannes fanden ihren Boden in einer reinen Liebe zur Wahrheit und einem festen Willen zum Recht, auf dem sie sich zur Frucht entfaltet haben. Wie für die meisten Söhne des Vaterlandes war dafür entscheidend der Einfluß
verhältnißmäßig spät, doch dann um so ehrenvoller, in das öffentliche Leben eingeführt.
Die gelehrte Vielseitigkeit und tiefe philosophische Bildung seines Vaters, eine ihm stets offene reiche Bibliothek und der deutsche Wissensdrang führten ihn zu einer Universalität des geistigen Strebens, welche nirgends eine Schranke zu finden wußte. Wie er sich selbst im Drama versucht hat (die „Patrizier", gedruckt bei Brockhaus, 1848), so bezeugen seine Aufsätze über Schiller, Comte, über Macchiavelli u. a. die vielseitige Kenntniß und feine Auffassung der geistigen und sittlichen Seite des menschlichen Lebens in Gesellschaft und Staat, sowie eine Beobachtungsgabe, welche auch dem viel behandelten Thema neue Gesichtspunkte abzugewinnen weiß. Aber er war auch auf der anderen Seite in Darwinschen Lehren wie im Gesammtgebiet der Naturwissenschaften ebenso wohl bewandert. Seine Freunde wußten noch besser als seine Ver¬ ehrer in weiteren Kreisen, daß er im Grunde „Alles" gelesen, über Alles Auskunft zu geben, über jede Frage interessante und lehrreiche Bemerkungen zu machen halte. In den Leidensstunden seiner letzten achtzehnmonatlichen Krankheit war es schwer, noch ein Buch zu finden, um diesem unermüdlichen Geist neue Nahrung zuzuführen. Die Mittagstunde seines Todestages fand ihn noch mit dem Drama der Nibelungen beschäftigt. Diese urdeutsche Uni¬ versalität hätte den Mann unter anderen Umgebungen zu einem glücklichen Dilettanten machen können.
Allein eine ernste und gründliche Berufsbildung hat jener Univer¬ salität ihren Halt und feste Ziele gegeben. Manche seiner Freunde hatten den Eindruck, daß auch ein sechsjähriges Kreisrichteramt einer kleinen märki¬ schen Stadt glücklich dahin gewirkt hat, diesem Geist eine Concentrirung und Vertiefung zu geben. Dem preußischen Juristenberuf verdankt Tochter die charakteristische Klarheit der Auffassung und Darlegung, die Ordnung und Disciplin in seinem Denken und Handeln, die Ausdauer in Allem, was dem äußeren Leben und Beruf angehört. In seinem ganzen Geistesleben war ein Widerstreben gegen das illihuiäum; er arbeitete sich mühsam zur Klarheit durch und hielt lieber inne an der Grenze des Möglichen, ehe er dem Ge¬ fühl und der Einbildungskraft in ernsten Dingen einen Spielraum gewährte. In der gewissenhaften, treuen Erfüllung des Amtsberuss hatte er mit der aufrichtigen Hochachtung der Berufsgenossen auch die Leichtigkeit und Ge¬ wandtheit des Geschäftslebens gewonnen, die ihm später vortrefflich zu statten gekommen ist.
Diese Vorbedingungen zur Entwicklung des politischen Mannes fanden ihren Boden in einer reinen Liebe zur Wahrheit und einem festen Willen zum Recht, auf dem sie sich zur Frucht entfaltet haben. Wie für die meisten Söhne des Vaterlandes war dafür entscheidend der Einfluß
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verhältnißmäßig spät, doch dann um so ehrenvoller, in das öffentliche Leben
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Die gelehrte Vielseitigkeit und tiefe philosophische Bildung seines Vaters,
eine ihm stets offene reiche Bibliothek und der deutsche Wissensdrang führten
ihn zu einer Universalität des geistigen Strebens, welche nirgends eine Schranke
zu finden wußte. Wie er sich selbst im Drama versucht hat (die „Patrizier",
gedruckt bei Brockhaus, 1848), so bezeugen seine Aufsätze über Schiller, Comte,
über Macchiavelli u. a. die vielseitige Kenntniß und feine Auffassung der
geistigen und sittlichen Seite des menschlichen Lebens in Gesellschaft und
Staat, sowie eine Beobachtungsgabe, welche auch dem viel behandelten Thema
neue Gesichtspunkte abzugewinnen weiß. Aber er war auch auf der anderen
Seite in Darwinschen Lehren wie im Gesammtgebiet der Naturwissenschaften
ebenso wohl bewandert. Seine Freunde wußten noch besser als seine Ver¬
ehrer in weiteren Kreisen, daß er im Grunde „Alles" gelesen, über Alles
Auskunft zu geben, über jede Frage interessante und lehrreiche Bemerkungen
zu machen halte. In den Leidensstunden seiner letzten achtzehnmonatlichen
Krankheit war es schwer, noch ein Buch zu finden, um diesem unermüdlichen
Geist neue Nahrung zuzuführen. Die Mittagstunde seines Todestages fand
ihn noch mit dem Drama der Nibelungen beschäftigt. Diese urdeutsche Uni¬
versalität hätte den Mann unter anderen Umgebungen zu einem glücklichen
Dilettanten machen können.
Allein eine ernste und gründliche Berufsbildung hat jener Univer¬
salität ihren Halt und feste Ziele gegeben. Manche seiner Freunde hatten
den Eindruck, daß auch ein sechsjähriges Kreisrichteramt einer kleinen märki¬
schen Stadt glücklich dahin gewirkt hat, diesem Geist eine Concentrirung und
Vertiefung zu geben. Dem preußischen Juristenberuf verdankt Tochter die
charakteristische Klarheit der Auffassung und Darlegung, die Ordnung und
Disciplin in seinem Denken und Handeln, die Ausdauer in Allem, was dem
äußeren Leben und Beruf angehört. In seinem ganzen Geistesleben war ein
Widerstreben gegen das illihuiäum; er arbeitete sich mühsam zur Klarheit
durch und hielt lieber inne an der Grenze des Möglichen, ehe er dem Ge¬
fühl und der Einbildungskraft in ernsten Dingen einen Spielraum gewährte.
In der gewissenhaften, treuen Erfüllung des Amtsberuss hatte er mit der
aufrichtigen Hochachtung der Berufsgenossen auch die Leichtigkeit und Ge¬
wandtheit des Geschäftslebens gewonnen, die ihm später vortrefflich zu statten
gekommen ist.
Diese Vorbedingungen zur Entwicklung des politischen Mannes fanden
ihren Boden in einer reinen Liebe zur Wahrheit und einem festen
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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/170>, abgerufen am 01.01.2025.
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