Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.Antwort. Mein armer Freund! Ja so muß ich Sie nennen, nicht nur um des Unglücks willen, unter Sie tadeln schon in Ihrem Briefe vom 20. August die Deutschen, daß Antwort. Mein armer Freund! Ja so muß ich Sie nennen, nicht nur um des Unglücks willen, unter Sie tadeln schon in Ihrem Briefe vom 20. August die Deutschen, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124847"/> <p xml:id="ID_439"> Antwort.</p><lb/> <note type="salute"> Mein armer Freund!</note><lb/> <p xml:id="ID_440"> Ja so muß ich Sie nennen, nicht nur um des Unglücks willen, unter<lb/> dem Ihre schönes Vaterland seufzt und welches sich wohl auch Ihnen un¬<lb/> mittelbar in Ihrer Familie und Ihrer ganzen Lage fühlbar machen wird,<lb/> sondern auch um der traurigen Verblendung willen, von der ich auch Ihren<lb/> sonst so klaren, nüchternen Geist und Ihr früher so gerechtes, unparteiisches<lb/> Gefühl umschleiert sehe. Sie verlangen mein Urtheil über diesen unheilvollen<lb/> Krieg zu vernehmen, so wie über die Art, wie die Deutschen ihn führen,<lb/> indem Sie dieselben schon im Voraus des Wandalismus, der Barbarei, der<lb/> unerhörtesten Verbrechen anklagen. Erlauben Sie mir denn, ^sum mit der¬<lb/> selben Freimüthigkeit zu antworten, mit der Sie mir geschrieben haben, und<lb/> lesen Sie meine Erwiderung ebenso gelassen, wie ich Ihre harten und ver¬<lb/> letzenden Reden getragen habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_441" next="#ID_442"> Sie tadeln schon in Ihrem Briefe vom 20. August die Deutschen, daß<lb/> sie den Krieg, den Ihr damals noch regierender Kaiser ihnen — wie Sie<lb/> selbst zugeben — auf die ungerechteste und beleidigendste Weise angekündigt<lb/> hatte, überhaupt angenommen haben. Aber sagen Sie mir doch, theurer<lb/> Freund, wie es ein Volk machen soll, um einen Krieg nicht anzunehmen,<lb/> mit dem es «uf verletzende und herausfordernde Weise von einem Nachbar<lb/> bedroht wird, der seit langer Zeit schon einen Vorwand gesucht hat. um sich<lb/> über sein friedliches Land herzustürzen, von einem Nachbar, der schon an der<lb/> Grenze ein Heer gesammelt hat, dessen furchtbare Zahl, dessen trefflicher Zu¬<lb/> stand, dessen mörderische, ausdrücklich für diesen Krieg erfundene Waffen seine<lb/> Journale nicht genug rühmen können, ein Heer, dem sein kaiserlicher Feld¬<lb/> herr versprochen hat, daß es an seinem Namenstage in Berlin einziehn und<lb/> daß er zu Königsberg den Frieden dictiren werde? Sagen Sie mir. was<lb/> wir denn wohl hätten thun sollen, um diesen Krieg von uns abzulehnen.<lb/> Lassen wir den Ehrenpunkt bei Seite, hinsichtlich dessen Ihr Herren Fran¬<lb/> zosen doch so kitzlich seid, nehmen wir aber an. daß das ehrwürdige Bundes¬<lb/> oberhaupt Deutschlands den Krieg von sich gewiesen und gestützt auf seine<lb/> Unschuld und auf sein gutes Recht den Drohungen des Feindes ein unthä¬<lb/> tiges Schweigen entgegengestellt hätte, glauben Sie denn, daß dieser an den<lb/> Grenzen Deutschlands stehen geblieben wäre, weil da kein bewaffneter Ver¬<lb/> theidiger gestanden hätte, glauben Sie denn, daß er seine zum Einfall in un¬<lb/> sere Provinzen auf dem Sprunge stehenden Bataillone zurückgerufen und<lb/> seine Turcos wieder nach Afrika geschickt hätte? — Eine Nation kann nicht<lb/> Gewehr bei Fuß stehen bleiben, wenn der Feind ihr den Kampf aufzwingen<lb/> will; es würde doch wahrlich zu naiv sein, seinen Einbruch geduldig abM-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0141]
Antwort.
Mein armer Freund!
Ja so muß ich Sie nennen, nicht nur um des Unglücks willen, unter
dem Ihre schönes Vaterland seufzt und welches sich wohl auch Ihnen un¬
mittelbar in Ihrer Familie und Ihrer ganzen Lage fühlbar machen wird,
sondern auch um der traurigen Verblendung willen, von der ich auch Ihren
sonst so klaren, nüchternen Geist und Ihr früher so gerechtes, unparteiisches
Gefühl umschleiert sehe. Sie verlangen mein Urtheil über diesen unheilvollen
Krieg zu vernehmen, so wie über die Art, wie die Deutschen ihn führen,
indem Sie dieselben schon im Voraus des Wandalismus, der Barbarei, der
unerhörtesten Verbrechen anklagen. Erlauben Sie mir denn, ^sum mit der¬
selben Freimüthigkeit zu antworten, mit der Sie mir geschrieben haben, und
lesen Sie meine Erwiderung ebenso gelassen, wie ich Ihre harten und ver¬
letzenden Reden getragen habe.
Sie tadeln schon in Ihrem Briefe vom 20. August die Deutschen, daß
sie den Krieg, den Ihr damals noch regierender Kaiser ihnen — wie Sie
selbst zugeben — auf die ungerechteste und beleidigendste Weise angekündigt
hatte, überhaupt angenommen haben. Aber sagen Sie mir doch, theurer
Freund, wie es ein Volk machen soll, um einen Krieg nicht anzunehmen,
mit dem es «uf verletzende und herausfordernde Weise von einem Nachbar
bedroht wird, der seit langer Zeit schon einen Vorwand gesucht hat. um sich
über sein friedliches Land herzustürzen, von einem Nachbar, der schon an der
Grenze ein Heer gesammelt hat, dessen furchtbare Zahl, dessen trefflicher Zu¬
stand, dessen mörderische, ausdrücklich für diesen Krieg erfundene Waffen seine
Journale nicht genug rühmen können, ein Heer, dem sein kaiserlicher Feld¬
herr versprochen hat, daß es an seinem Namenstage in Berlin einziehn und
daß er zu Königsberg den Frieden dictiren werde? Sagen Sie mir. was
wir denn wohl hätten thun sollen, um diesen Krieg von uns abzulehnen.
Lassen wir den Ehrenpunkt bei Seite, hinsichtlich dessen Ihr Herren Fran¬
zosen doch so kitzlich seid, nehmen wir aber an. daß das ehrwürdige Bundes¬
oberhaupt Deutschlands den Krieg von sich gewiesen und gestützt auf seine
Unschuld und auf sein gutes Recht den Drohungen des Feindes ein unthä¬
tiges Schweigen entgegengestellt hätte, glauben Sie denn, daß dieser an den
Grenzen Deutschlands stehen geblieben wäre, weil da kein bewaffneter Ver¬
theidiger gestanden hätte, glauben Sie denn, daß er seine zum Einfall in un¬
sere Provinzen auf dem Sprunge stehenden Bataillone zurückgerufen und
seine Turcos wieder nach Afrika geschickt hätte? — Eine Nation kann nicht
Gewehr bei Fuß stehen bleiben, wenn der Feind ihr den Kampf aufzwingen
will; es würde doch wahrlich zu naiv sein, seinen Einbruch geduldig abM-
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