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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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rauften, so hätten die Anderen ihn als ihres Gleichen bald heruntergebracht,
aber er war durch eine Reihe von Jahren in Frankreich einer der sehr wenigen
Männer, welche in Wahrheit an sich selbst glaubten und sich eine providen-
tielle Sendung zugeschrieben. Und in dieser Auffassung hat er einige mal
gewagt, gegen die öffentliche Meinung und gegen die bösen Gelüste, seines
Volkes unter eigenen Gefahren Gutes zu thun. Darum folgten die Schwachen
seinem Stern, die Unzufriedenen erschienen sich lange groß, wenn sie in den
Fehlern seines tyrannischen Regiments ihre eigenen Fehler und die des fran¬
zösischen Nationalcharakters bekämpften.

Fürwahr, der Kaiser wußte besser, als wir Fremden, wie unsicher seine
Macht schwankte zwischen den lüderlicher Journalisten von Paris und den Pfaffen,
von denen die einen die Tagesstimmungen der Leser leiteten, die anderen das
Gemüth der Hörer in ihrer Hand hielten. Die einen schrien laut, die andern
drängten leise. Sein ganzes System der polizeilichen Bevormundung, seine
Verfassungsänderungen sind in der Hauptsache Nichts als ein Kampf und
unsichere Verträge mit den Schreiern von der Presse. Als er sich endlich
resignirte, diese Gegner zu gewinnen, mußte er selbstverständlich den Pfaffen
größere Concessionen machen. Und wir halten die Meinung fest, daß sein
letzter Krieg niemals entstanden wäre, wenn nur die Schreier und nicht zu¬
gleich die Jesuiten den Krieg gefordert hätten. Als der Kaiser am 2. Sept. auch
dem Grafen Bismarck aussprach, daß er den Krieg nicht gewollt, sondern daß
die öffentliche Meinung, beherrscht durch eine maßloße Presse, seine Regierung
dazu gezwungen hätte, da behielt er für sich, daß der stillere nicht weniger
mächtige Zwang für ihn in den Mahnungen einer klerikalen Kriegspartei
gelegen hat. Er ist jetzt geschwunden, aber die beiden Mächte, welche sein
Handeln beeinflußt haben, sind geblieben.

Und es ist ein sehr trauriger Gedanke, daß eine große Nation, welche
reich ist an Individuen von schön geformter Bildung und dem feinsten Ehr¬
gefühl und sehr reich an gescheuten, genügsamen, häuslichen Arbeitern, grade
da. wo es die höchsten Interessen des Volkes gilt, unter der Herrschaft zweier
verschrobenen und unfähigen Menschenklassen steht, genußsüchtiger Journa¬
listen und fanatischer Priester.

Für die civilisirte Welt ist die Offenbarung des geistigen und sittlichen
Bankerottes in dem offiziellen Frankreich nicht minder bedeutsam als die
tiefe politische Niederlage. Für uns Deutsche ist nach Allem was wir von
Menschen und Verhältnissen gesehen haben, jeder Glaube an eine ernste
Widerstandsfähigkeit Frankreichs gegen unsern Andrang völlig geschwunden.
Weder die Bevölkerung von Paris, welche jetzt ihre eigene heroische Emotion
genießt, wie früher die Spectakelstücke ihrer Theater, noch die unmächtige
Seitenregierung von Tours, noch die rothe Republik zu Lyon werden uns


rauften, so hätten die Anderen ihn als ihres Gleichen bald heruntergebracht,
aber er war durch eine Reihe von Jahren in Frankreich einer der sehr wenigen
Männer, welche in Wahrheit an sich selbst glaubten und sich eine providen-
tielle Sendung zugeschrieben. Und in dieser Auffassung hat er einige mal
gewagt, gegen die öffentliche Meinung und gegen die bösen Gelüste, seines
Volkes unter eigenen Gefahren Gutes zu thun. Darum folgten die Schwachen
seinem Stern, die Unzufriedenen erschienen sich lange groß, wenn sie in den
Fehlern seines tyrannischen Regiments ihre eigenen Fehler und die des fran¬
zösischen Nationalcharakters bekämpften.

Fürwahr, der Kaiser wußte besser, als wir Fremden, wie unsicher seine
Macht schwankte zwischen den lüderlicher Journalisten von Paris und den Pfaffen,
von denen die einen die Tagesstimmungen der Leser leiteten, die anderen das
Gemüth der Hörer in ihrer Hand hielten. Die einen schrien laut, die andern
drängten leise. Sein ganzes System der polizeilichen Bevormundung, seine
Verfassungsänderungen sind in der Hauptsache Nichts als ein Kampf und
unsichere Verträge mit den Schreiern von der Presse. Als er sich endlich
resignirte, diese Gegner zu gewinnen, mußte er selbstverständlich den Pfaffen
größere Concessionen machen. Und wir halten die Meinung fest, daß sein
letzter Krieg niemals entstanden wäre, wenn nur die Schreier und nicht zu¬
gleich die Jesuiten den Krieg gefordert hätten. Als der Kaiser am 2. Sept. auch
dem Grafen Bismarck aussprach, daß er den Krieg nicht gewollt, sondern daß
die öffentliche Meinung, beherrscht durch eine maßloße Presse, seine Regierung
dazu gezwungen hätte, da behielt er für sich, daß der stillere nicht weniger
mächtige Zwang für ihn in den Mahnungen einer klerikalen Kriegspartei
gelegen hat. Er ist jetzt geschwunden, aber die beiden Mächte, welche sein
Handeln beeinflußt haben, sind geblieben.

Und es ist ein sehr trauriger Gedanke, daß eine große Nation, welche
reich ist an Individuen von schön geformter Bildung und dem feinsten Ehr¬
gefühl und sehr reich an gescheuten, genügsamen, häuslichen Arbeitern, grade
da. wo es die höchsten Interessen des Volkes gilt, unter der Herrschaft zweier
verschrobenen und unfähigen Menschenklassen steht, genußsüchtiger Journa¬
listen und fanatischer Priester.

Für die civilisirte Welt ist die Offenbarung des geistigen und sittlichen
Bankerottes in dem offiziellen Frankreich nicht minder bedeutsam als die
tiefe politische Niederlage. Für uns Deutsche ist nach Allem was wir von
Menschen und Verhältnissen gesehen haben, jeder Glaube an eine ernste
Widerstandsfähigkeit Frankreichs gegen unsern Andrang völlig geschwunden.
Weder die Bevölkerung von Paris, welche jetzt ihre eigene heroische Emotion
genießt, wie früher die Spectakelstücke ihrer Theater, noch die unmächtige
Seitenregierung von Tours, noch die rothe Republik zu Lyon werden uns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/14>, abgerufen am 23.12.2024.