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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Glanzes und Reichthums', aber auch der Unredlichkeit und wie oft nicht auch
der Unmenschlichkeit! gütig bewahrt hat.

Unser eigenes Colonialzeitalter liegt weit zurück in Jahrhunderten des
Mittelalters, wo sich weder die sittlichen Ideen der Politik zu einiger Rein¬
heit herausgeklärt hatten, noch vielleicht der gewöhnliche freie Handel civili-
sirter Zeiten überhaupt möglich war. Wir wollen keinen Unglimpf werfen
auf die Kaufleute unserer Hansa. Ihre Factoreien, von denen aus sie die
Völker des europäischen Nordens und Ostens freilich nicht minder hart wirth¬
schaftlich unterjocht hielten, wie Venedig und Genua die Levante, diese Fac¬
toreien und Handelscolonien stehen gleichberechtigt neben den Eroberungs-
colonien der deutschen Ritter. Ich denke aber, niemand würde sich heut
herausnehmen, die Politik der Kreuzzüge, die Bekehrung mit dem Schwerte,
die gewaltsame Eroberung ungläubiger Lande um ihres Unglaubens willen,
so nöthig das einmal gewesen sein mag, auch für unsere Tage wiederan-
zurathen. Nun, die hänsischen Comptoire zu London, Bergen und Now¬
gorod sind demselben natürlichen Laufe der Dinge erlegen, wie der deutsche
Orden mit seinen Heidenreisen. Als die Völker Nord- und Osteuropas zu
eigner Mündigkeit herangediehen, hatte die gewinnabwerfende Vormundschaft
unserer Städtearistokratieen über sie keinen Sinn mehr, sie gingen selber
darüber so gut wie zu Grunde.

Hernach sodannn, als mit dem Zeitalter der Entdeckungen Europa im
Ganzen den übrigen Erdtheilen gegenüber dieselbe Rolle übervortheilender
Ueberlegenheit zu spielen begann, die zuvor Deutschland und Italien in Europa
selber gespielt hatten, da verloren wir durch unsere geographische Lage und
durch unsere großen religiös-politischen Schicksale die Möglichkeit, uns an
jenem völkerverderbenden Wettlaufe nach beiden Indien zu betheiligen. Ein
Bruchtheil unserer Nation, der mehr und mehr von uns sich ablöste, die
Niederländer, nahmen Ehre und Schande der Seemacht und der Colonial-
herrschaft für uns auf sich. Ja wohl, auch Schande! Soll ich noch wieder¬
holen, was so hundertmal erwiesen ist, wie diese Colonialherrschaft den
politischen Charakter der gebietenden Macht aufs tiefste und nachhaltigste zu
schädigen pflegt, wie Neid, Eifersucht und alle andern Seiten schnöder Selbst¬
sucht, fein oder roh, in List oder Gewaltsamkeit gehüllt, Handel und Wandel
auch des modernen Karthago's häßlich entstellt haben? Und wo lernt noch
heut' die englische Aristokratie der Geburt und des Geldes ihren ideenlosen
Egoismus, den wir wieder einmal sattsam haben kennen lernen, wo anders,
als auf der hohen Schule von Indien? Und solch' eine Schule sollte unsere
Nation nun auch noch zu beziehen eilen, weil es bei Nationen von Stande,
so zu sagen, bisher also der Brauch gewesen ist? Weil wir bis heut jeden
erhandelten Groschen im Schweiße ehrlicher Concurrenz verdient haben, sollen
wir nun plötzlich die reinen Hände in den Schmutz monopolistrten Colonial-


Glanzes und Reichthums', aber auch der Unredlichkeit und wie oft nicht auch
der Unmenschlichkeit! gütig bewahrt hat.

Unser eigenes Colonialzeitalter liegt weit zurück in Jahrhunderten des
Mittelalters, wo sich weder die sittlichen Ideen der Politik zu einiger Rein¬
heit herausgeklärt hatten, noch vielleicht der gewöhnliche freie Handel civili-
sirter Zeiten überhaupt möglich war. Wir wollen keinen Unglimpf werfen
auf die Kaufleute unserer Hansa. Ihre Factoreien, von denen aus sie die
Völker des europäischen Nordens und Ostens freilich nicht minder hart wirth¬
schaftlich unterjocht hielten, wie Venedig und Genua die Levante, diese Fac¬
toreien und Handelscolonien stehen gleichberechtigt neben den Eroberungs-
colonien der deutschen Ritter. Ich denke aber, niemand würde sich heut
herausnehmen, die Politik der Kreuzzüge, die Bekehrung mit dem Schwerte,
die gewaltsame Eroberung ungläubiger Lande um ihres Unglaubens willen,
so nöthig das einmal gewesen sein mag, auch für unsere Tage wiederan-
zurathen. Nun, die hänsischen Comptoire zu London, Bergen und Now¬
gorod sind demselben natürlichen Laufe der Dinge erlegen, wie der deutsche
Orden mit seinen Heidenreisen. Als die Völker Nord- und Osteuropas zu
eigner Mündigkeit herangediehen, hatte die gewinnabwerfende Vormundschaft
unserer Städtearistokratieen über sie keinen Sinn mehr, sie gingen selber
darüber so gut wie zu Grunde.

Hernach sodannn, als mit dem Zeitalter der Entdeckungen Europa im
Ganzen den übrigen Erdtheilen gegenüber dieselbe Rolle übervortheilender
Ueberlegenheit zu spielen begann, die zuvor Deutschland und Italien in Europa
selber gespielt hatten, da verloren wir durch unsere geographische Lage und
durch unsere großen religiös-politischen Schicksale die Möglichkeit, uns an
jenem völkerverderbenden Wettlaufe nach beiden Indien zu betheiligen. Ein
Bruchtheil unserer Nation, der mehr und mehr von uns sich ablöste, die
Niederländer, nahmen Ehre und Schande der Seemacht und der Colonial-
herrschaft für uns auf sich. Ja wohl, auch Schande! Soll ich noch wieder¬
holen, was so hundertmal erwiesen ist, wie diese Colonialherrschaft den
politischen Charakter der gebietenden Macht aufs tiefste und nachhaltigste zu
schädigen pflegt, wie Neid, Eifersucht und alle andern Seiten schnöder Selbst¬
sucht, fein oder roh, in List oder Gewaltsamkeit gehüllt, Handel und Wandel
auch des modernen Karthago's häßlich entstellt haben? Und wo lernt noch
heut' die englische Aristokratie der Geburt und des Geldes ihren ideenlosen
Egoismus, den wir wieder einmal sattsam haben kennen lernen, wo anders,
als auf der hohen Schule von Indien? Und solch' eine Schule sollte unsere
Nation nun auch noch zu beziehen eilen, weil es bei Nationen von Stande,
so zu sagen, bisher also der Brauch gewesen ist? Weil wir bis heut jeden
erhandelten Groschen im Schweiße ehrlicher Concurrenz verdient haben, sollen
wir nun plötzlich die reinen Hände in den Schmutz monopolistrten Colonial-


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[0133] Glanzes und Reichthums', aber auch der Unredlichkeit und wie oft nicht auch der Unmenschlichkeit! gütig bewahrt hat. Unser eigenes Colonialzeitalter liegt weit zurück in Jahrhunderten des Mittelalters, wo sich weder die sittlichen Ideen der Politik zu einiger Rein¬ heit herausgeklärt hatten, noch vielleicht der gewöhnliche freie Handel civili- sirter Zeiten überhaupt möglich war. Wir wollen keinen Unglimpf werfen auf die Kaufleute unserer Hansa. Ihre Factoreien, von denen aus sie die Völker des europäischen Nordens und Ostens freilich nicht minder hart wirth¬ schaftlich unterjocht hielten, wie Venedig und Genua die Levante, diese Fac¬ toreien und Handelscolonien stehen gleichberechtigt neben den Eroberungs- colonien der deutschen Ritter. Ich denke aber, niemand würde sich heut herausnehmen, die Politik der Kreuzzüge, die Bekehrung mit dem Schwerte, die gewaltsame Eroberung ungläubiger Lande um ihres Unglaubens willen, so nöthig das einmal gewesen sein mag, auch für unsere Tage wiederan- zurathen. Nun, die hänsischen Comptoire zu London, Bergen und Now¬ gorod sind demselben natürlichen Laufe der Dinge erlegen, wie der deutsche Orden mit seinen Heidenreisen. Als die Völker Nord- und Osteuropas zu eigner Mündigkeit herangediehen, hatte die gewinnabwerfende Vormundschaft unserer Städtearistokratieen über sie keinen Sinn mehr, sie gingen selber darüber so gut wie zu Grunde. Hernach sodannn, als mit dem Zeitalter der Entdeckungen Europa im Ganzen den übrigen Erdtheilen gegenüber dieselbe Rolle übervortheilender Ueberlegenheit zu spielen begann, die zuvor Deutschland und Italien in Europa selber gespielt hatten, da verloren wir durch unsere geographische Lage und durch unsere großen religiös-politischen Schicksale die Möglichkeit, uns an jenem völkerverderbenden Wettlaufe nach beiden Indien zu betheiligen. Ein Bruchtheil unserer Nation, der mehr und mehr von uns sich ablöste, die Niederländer, nahmen Ehre und Schande der Seemacht und der Colonial- herrschaft für uns auf sich. Ja wohl, auch Schande! Soll ich noch wieder¬ holen, was so hundertmal erwiesen ist, wie diese Colonialherrschaft den politischen Charakter der gebietenden Macht aufs tiefste und nachhaltigste zu schädigen pflegt, wie Neid, Eifersucht und alle andern Seiten schnöder Selbst¬ sucht, fein oder roh, in List oder Gewaltsamkeit gehüllt, Handel und Wandel auch des modernen Karthago's häßlich entstellt haben? Und wo lernt noch heut' die englische Aristokratie der Geburt und des Geldes ihren ideenlosen Egoismus, den wir wieder einmal sattsam haben kennen lernen, wo anders, als auf der hohen Schule von Indien? Und solch' eine Schule sollte unsere Nation nun auch noch zu beziehen eilen, weil es bei Nationen von Stande, so zu sagen, bisher also der Brauch gewesen ist? Weil wir bis heut jeden erhandelten Groschen im Schweiße ehrlicher Concurrenz verdient haben, sollen wir nun plötzlich die reinen Hände in den Schmutz monopolistrten Colonial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/133>, abgerufen am 22.12.2024.