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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Intendantur und Regimentscommando jetzt zurückdenken, wie an die sorgen¬
freien Tage schuldloser Kindheit. Wohlbespannt und reglementmäßig strebten
die gefüllten Proviantcolonnen nebeneinander auf den breiten Chausseen vor¬
wärts, jedem Regiment der Bayern folgte eine große Heerde schöngehörnter
prachtvoller Ochsen aus der Heimath, sie trugen die langgerollten Mäntel der
treibenden Soldaten um den Hals und wurden als wandelnder Familienschatz von
der Truppe mit liebevoller Achtung betrachtet. Die Tornister und Taschen der
Preußen bargen manches gute Eßbare, die großen Feldflaschen der Würtenberger
hingen schwer an der Seite, sogar die Cigarre war noch vielen Soldaten ein an¬
muthiger Bestandtheil der Feldausrüstung, und im ganzen Heere war die Zuversicht
obenauf, daß man in ein reiches dichtbevölkertes Culturland zog, mit Wein
und Weizenbrod. Zwar wußte man, daß Futtermangel und Mißernte in
Frankreich den Viehstand verringert hatten, doch in den Dörfern des Elsaß
war das Vieh weit besser genährt, als man angenommen, und man durfte
hoffen, daß die Landschaften unserem Heer genügende Verpflegung sichern würden.

Freilich schon nach der Schlacht bei Wörth erwies sich, wie schwer in
Schlachttagen der einzelne Soldat zu seinem Proviant kommt, und schon beim
Zug über die Vogesen sah das Heer mit Verwunderung, wie sehr sein Train
wuchs und wie trotzdem der Soldat entbehren mußte. Die alte Annahme,
die einst in der Taktik des seligen Griesheim gelehrt wurde, daß ein Armee¬
corps -- außer den beiden Staffeln der Artillerie -- etwa 600 Fahrzeuge
bedürfe, erwies sich als eine Sage der Vergangenheit, welche von dem Zwange
der Gegenwart gründlich widerlegt wurde. Zuerst haben sich die regelmäßigen
Bedürfnisse des modernen Heeres stark vermehrt. Außer den Munitions-
colonnen für Artillerie und Infanterie sind viele andere Colonnen des Corps-
Trains sehr verlängert, mehrere neue zugefügt. Zu den vergrößerten Sanitäts-
colonnen der Corps kommen die zahlreichen der freiwilligen Krankenpflege:
Johanniter, Malteser und andere Genossenschaften unter dem rothen Kreuz,
dann Pontoncolonnen, Feldpost, Feldeisenbahn, Feldtelegraphie, endlich in
diesem Krieg die großen Colonnen der Armeeführer, vollends des großen
Hauptquartiers, jede ein langgedehnter Zug von Equipagen, Fourgor>s,
Handpferden, Bedeckungsmannschaften. Aber diese ordentlichen Bedürf¬
nisse eines Heeres werden im Kriege schnell durch unregelmäßige ver¬
größert, durch endlose Züge requirirter Wagen mit Verwundeten und
Maroden, mit Gepäck, mit Fourage und Hilfszufuhr, und zur Erleich¬
terung der reglementirten Gespanne. Während die Armeewagen auf eine
bestimmte Last und Ladung eingerichtet sind, bietet das eilig requirirte
Fuhrwerk diesen Vortheil nicht, es vermag oft nur wenige Centner zu beför¬
dern, es wird auf schlechten Wegen massenhaft zur Aushilfe und Ergänzung
gebraucht werden müssen. Es wird oft auch ohne Berechtigung und mit


Intendantur und Regimentscommando jetzt zurückdenken, wie an die sorgen¬
freien Tage schuldloser Kindheit. Wohlbespannt und reglementmäßig strebten
die gefüllten Proviantcolonnen nebeneinander auf den breiten Chausseen vor¬
wärts, jedem Regiment der Bayern folgte eine große Heerde schöngehörnter
prachtvoller Ochsen aus der Heimath, sie trugen die langgerollten Mäntel der
treibenden Soldaten um den Hals und wurden als wandelnder Familienschatz von
der Truppe mit liebevoller Achtung betrachtet. Die Tornister und Taschen der
Preußen bargen manches gute Eßbare, die großen Feldflaschen der Würtenberger
hingen schwer an der Seite, sogar die Cigarre war noch vielen Soldaten ein an¬
muthiger Bestandtheil der Feldausrüstung, und im ganzen Heere war die Zuversicht
obenauf, daß man in ein reiches dichtbevölkertes Culturland zog, mit Wein
und Weizenbrod. Zwar wußte man, daß Futtermangel und Mißernte in
Frankreich den Viehstand verringert hatten, doch in den Dörfern des Elsaß
war das Vieh weit besser genährt, als man angenommen, und man durfte
hoffen, daß die Landschaften unserem Heer genügende Verpflegung sichern würden.

Freilich schon nach der Schlacht bei Wörth erwies sich, wie schwer in
Schlachttagen der einzelne Soldat zu seinem Proviant kommt, und schon beim
Zug über die Vogesen sah das Heer mit Verwunderung, wie sehr sein Train
wuchs und wie trotzdem der Soldat entbehren mußte. Die alte Annahme,
die einst in der Taktik des seligen Griesheim gelehrt wurde, daß ein Armee¬
corps — außer den beiden Staffeln der Artillerie — etwa 600 Fahrzeuge
bedürfe, erwies sich als eine Sage der Vergangenheit, welche von dem Zwange
der Gegenwart gründlich widerlegt wurde. Zuerst haben sich die regelmäßigen
Bedürfnisse des modernen Heeres stark vermehrt. Außer den Munitions-
colonnen für Artillerie und Infanterie sind viele andere Colonnen des Corps-
Trains sehr verlängert, mehrere neue zugefügt. Zu den vergrößerten Sanitäts-
colonnen der Corps kommen die zahlreichen der freiwilligen Krankenpflege:
Johanniter, Malteser und andere Genossenschaften unter dem rothen Kreuz,
dann Pontoncolonnen, Feldpost, Feldeisenbahn, Feldtelegraphie, endlich in
diesem Krieg die großen Colonnen der Armeeführer, vollends des großen
Hauptquartiers, jede ein langgedehnter Zug von Equipagen, Fourgor>s,
Handpferden, Bedeckungsmannschaften. Aber diese ordentlichen Bedürf¬
nisse eines Heeres werden im Kriege schnell durch unregelmäßige ver¬
größert, durch endlose Züge requirirter Wagen mit Verwundeten und
Maroden, mit Gepäck, mit Fourage und Hilfszufuhr, und zur Erleich¬
terung der reglementirten Gespanne. Während die Armeewagen auf eine
bestimmte Last und Ladung eingerichtet sind, bietet das eilig requirirte
Fuhrwerk diesen Vortheil nicht, es vermag oft nur wenige Centner zu beför¬
dern, es wird auf schlechten Wegen massenhaft zur Aushilfe und Ergänzung
gebraucht werden müssen. Es wird oft auch ohne Berechtigung und mit


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[0124] Intendantur und Regimentscommando jetzt zurückdenken, wie an die sorgen¬ freien Tage schuldloser Kindheit. Wohlbespannt und reglementmäßig strebten die gefüllten Proviantcolonnen nebeneinander auf den breiten Chausseen vor¬ wärts, jedem Regiment der Bayern folgte eine große Heerde schöngehörnter prachtvoller Ochsen aus der Heimath, sie trugen die langgerollten Mäntel der treibenden Soldaten um den Hals und wurden als wandelnder Familienschatz von der Truppe mit liebevoller Achtung betrachtet. Die Tornister und Taschen der Preußen bargen manches gute Eßbare, die großen Feldflaschen der Würtenberger hingen schwer an der Seite, sogar die Cigarre war noch vielen Soldaten ein an¬ muthiger Bestandtheil der Feldausrüstung, und im ganzen Heere war die Zuversicht obenauf, daß man in ein reiches dichtbevölkertes Culturland zog, mit Wein und Weizenbrod. Zwar wußte man, daß Futtermangel und Mißernte in Frankreich den Viehstand verringert hatten, doch in den Dörfern des Elsaß war das Vieh weit besser genährt, als man angenommen, und man durfte hoffen, daß die Landschaften unserem Heer genügende Verpflegung sichern würden. Freilich schon nach der Schlacht bei Wörth erwies sich, wie schwer in Schlachttagen der einzelne Soldat zu seinem Proviant kommt, und schon beim Zug über die Vogesen sah das Heer mit Verwunderung, wie sehr sein Train wuchs und wie trotzdem der Soldat entbehren mußte. Die alte Annahme, die einst in der Taktik des seligen Griesheim gelehrt wurde, daß ein Armee¬ corps — außer den beiden Staffeln der Artillerie — etwa 600 Fahrzeuge bedürfe, erwies sich als eine Sage der Vergangenheit, welche von dem Zwange der Gegenwart gründlich widerlegt wurde. Zuerst haben sich die regelmäßigen Bedürfnisse des modernen Heeres stark vermehrt. Außer den Munitions- colonnen für Artillerie und Infanterie sind viele andere Colonnen des Corps- Trains sehr verlängert, mehrere neue zugefügt. Zu den vergrößerten Sanitäts- colonnen der Corps kommen die zahlreichen der freiwilligen Krankenpflege: Johanniter, Malteser und andere Genossenschaften unter dem rothen Kreuz, dann Pontoncolonnen, Feldpost, Feldeisenbahn, Feldtelegraphie, endlich in diesem Krieg die großen Colonnen der Armeeführer, vollends des großen Hauptquartiers, jede ein langgedehnter Zug von Equipagen, Fourgor>s, Handpferden, Bedeckungsmannschaften. Aber diese ordentlichen Bedürf¬ nisse eines Heeres werden im Kriege schnell durch unregelmäßige ver¬ größert, durch endlose Züge requirirter Wagen mit Verwundeten und Maroden, mit Gepäck, mit Fourage und Hilfszufuhr, und zur Erleich¬ terung der reglementirten Gespanne. Während die Armeewagen auf eine bestimmte Last und Ladung eingerichtet sind, bietet das eilig requirirte Fuhrwerk diesen Vortheil nicht, es vermag oft nur wenige Centner zu beför¬ dern, es wird auf schlechten Wegen massenhaft zur Aushilfe und Ergänzung gebraucht werden müssen. Es wird oft auch ohne Berechtigung und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/124>, abgerufen am 22.12.2024.