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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Man könnte wohl sagen, daß dieser große Krieg hauptsächlich im In¬
teresse des Südens geführt worden ist. Alle Theile des Vaterlandes werden
aus ihm den reichsten Segen schöpfen, vornehmlich aber erwächst dem Süden
aus ihm eine unvergleichliche Fülle schönster Hoffnungen. Denn seit des
alten Reiches Macht im dreißigjährigen Kriege vollends zusammenbrach und
an unserer Grenze die junge Größe Frankreichs empor stieg, gerieth dadurch
vor Allem der Süden in eine unselige Lage. Die von der Natur aufgeführte
Wehr war ihm verloren gegangen; mit der Eroberung des Elsaß setzte der
übermächtige Feind feinen Fuß in die nun offene Flanke und beherrschte von
da die Geschicke der oberdeutschen Gegenden. Daß von da an die schwachen
Staatsbildungen des schwäbischen, fränkischen und bayrischen Landes fast in
allen großen Krisen der französischen Hegemonie folgten, war nur eine noth¬
wendige Folge ihrer Hilflosigkeit. In jedem Kriege zwischen Frankreich und
Deutschland war namentlich die schöne Thalebene des Oberrheins die sichere
Beute des Franzosen, wenn nicht ausnahmsweise die deutschen Heere von
vornherein tief in Feindes Land einzudringen vermochten. Dieses seit Jahr-
hunderien bestandene Verhältniß ist dem rechten Rheinufer von Basel bis
Heidelberg noch heute sür Jeden sichtbar aufgeprägt. Dieser uralte Sitz
deutscher Cultur hat mehr als irgend ein anderes deutsches Land den histori¬
schen Charakter verloren: wäre nicht wie durch ein Wunder der Freiburger
Münster erhalten, so besäße die ganze reiche Ebene kein einziges nennens-
werthes Denkmal vergangener Zeiten: französischer Wandalismus, der hier
stets ungehindert Hausen durfte, hat alle Werke früherer Geschlechter zer¬
trümmert und dem blühenden Lande in dieser Richtung eine sehr unerfreu¬
liche prosaische Nüchternheit zurückgelassen. Es ist ein vom übermüthigen
Nachbar so und so oft zertretenes, versengtes Land, in dem nur Ruinen an
das Leben früherer Jahrhunderte erinnern.

Seit 1815 freilich fingen die Menschen an sich allmählich auch hier sicher
zu fühlen; die Restauration und das Julikönigthum hatten sür sie nichts
Beängstigendes. Als aber der Thron der napoleoniden wieder aufgerichtet
wurde, lebten die alten Erinnerungen auf. Daher mit jener Kriegsfanalis¬
mus des Jahres 18S9. Das Gefühl, dem Angriff französischer Macht offen
zu liegen, erzeugte den Wunsch, dieser Gefahr bei der ersten Gelegenheit vor¬
zubeugen. Darum seufzten hier oben so Viele über die italienische Nieder¬
lage Oestreichs. Denn das war nun einmal die alte Erinnerung, daß, wenn
man überhaupt gegen Frankreich geschirmt werden könnte, dieses von Oestreich
geschehen müsse. Daher auch die Stellung vieler Süddeutschen nach 1866;
die Schutzlosigkeit gegen Frankreich war das stärkste Argument der Gegner
Preußens. Und daß wir in einem gewissen Sinne wirklich schutzlos waren,
läßt sich nach den Ersahrungen selbst dieses Krieges nicht bestreiten. Es ist


Man könnte wohl sagen, daß dieser große Krieg hauptsächlich im In¬
teresse des Südens geführt worden ist. Alle Theile des Vaterlandes werden
aus ihm den reichsten Segen schöpfen, vornehmlich aber erwächst dem Süden
aus ihm eine unvergleichliche Fülle schönster Hoffnungen. Denn seit des
alten Reiches Macht im dreißigjährigen Kriege vollends zusammenbrach und
an unserer Grenze die junge Größe Frankreichs empor stieg, gerieth dadurch
vor Allem der Süden in eine unselige Lage. Die von der Natur aufgeführte
Wehr war ihm verloren gegangen; mit der Eroberung des Elsaß setzte der
übermächtige Feind feinen Fuß in die nun offene Flanke und beherrschte von
da die Geschicke der oberdeutschen Gegenden. Daß von da an die schwachen
Staatsbildungen des schwäbischen, fränkischen und bayrischen Landes fast in
allen großen Krisen der französischen Hegemonie folgten, war nur eine noth¬
wendige Folge ihrer Hilflosigkeit. In jedem Kriege zwischen Frankreich und
Deutschland war namentlich die schöne Thalebene des Oberrheins die sichere
Beute des Franzosen, wenn nicht ausnahmsweise die deutschen Heere von
vornherein tief in Feindes Land einzudringen vermochten. Dieses seit Jahr-
hunderien bestandene Verhältniß ist dem rechten Rheinufer von Basel bis
Heidelberg noch heute sür Jeden sichtbar aufgeprägt. Dieser uralte Sitz
deutscher Cultur hat mehr als irgend ein anderes deutsches Land den histori¬
schen Charakter verloren: wäre nicht wie durch ein Wunder der Freiburger
Münster erhalten, so besäße die ganze reiche Ebene kein einziges nennens-
werthes Denkmal vergangener Zeiten: französischer Wandalismus, der hier
stets ungehindert Hausen durfte, hat alle Werke früherer Geschlechter zer¬
trümmert und dem blühenden Lande in dieser Richtung eine sehr unerfreu¬
liche prosaische Nüchternheit zurückgelassen. Es ist ein vom übermüthigen
Nachbar so und so oft zertretenes, versengtes Land, in dem nur Ruinen an
das Leben früherer Jahrhunderte erinnern.

Seit 1815 freilich fingen die Menschen an sich allmählich auch hier sicher
zu fühlen; die Restauration und das Julikönigthum hatten sür sie nichts
Beängstigendes. Als aber der Thron der napoleoniden wieder aufgerichtet
wurde, lebten die alten Erinnerungen auf. Daher mit jener Kriegsfanalis¬
mus des Jahres 18S9. Das Gefühl, dem Angriff französischer Macht offen
zu liegen, erzeugte den Wunsch, dieser Gefahr bei der ersten Gelegenheit vor¬
zubeugen. Darum seufzten hier oben so Viele über die italienische Nieder¬
lage Oestreichs. Denn das war nun einmal die alte Erinnerung, daß, wenn
man überhaupt gegen Frankreich geschirmt werden könnte, dieses von Oestreich
geschehen müsse. Daher auch die Stellung vieler Süddeutschen nach 1866;
die Schutzlosigkeit gegen Frankreich war das stärkste Argument der Gegner
Preußens. Und daß wir in einem gewissen Sinne wirklich schutzlos waren,
läßt sich nach den Ersahrungen selbst dieses Krieges nicht bestreiten. Es ist


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[0115] Man könnte wohl sagen, daß dieser große Krieg hauptsächlich im In¬ teresse des Südens geführt worden ist. Alle Theile des Vaterlandes werden aus ihm den reichsten Segen schöpfen, vornehmlich aber erwächst dem Süden aus ihm eine unvergleichliche Fülle schönster Hoffnungen. Denn seit des alten Reiches Macht im dreißigjährigen Kriege vollends zusammenbrach und an unserer Grenze die junge Größe Frankreichs empor stieg, gerieth dadurch vor Allem der Süden in eine unselige Lage. Die von der Natur aufgeführte Wehr war ihm verloren gegangen; mit der Eroberung des Elsaß setzte der übermächtige Feind feinen Fuß in die nun offene Flanke und beherrschte von da die Geschicke der oberdeutschen Gegenden. Daß von da an die schwachen Staatsbildungen des schwäbischen, fränkischen und bayrischen Landes fast in allen großen Krisen der französischen Hegemonie folgten, war nur eine noth¬ wendige Folge ihrer Hilflosigkeit. In jedem Kriege zwischen Frankreich und Deutschland war namentlich die schöne Thalebene des Oberrheins die sichere Beute des Franzosen, wenn nicht ausnahmsweise die deutschen Heere von vornherein tief in Feindes Land einzudringen vermochten. Dieses seit Jahr- hunderien bestandene Verhältniß ist dem rechten Rheinufer von Basel bis Heidelberg noch heute sür Jeden sichtbar aufgeprägt. Dieser uralte Sitz deutscher Cultur hat mehr als irgend ein anderes deutsches Land den histori¬ schen Charakter verloren: wäre nicht wie durch ein Wunder der Freiburger Münster erhalten, so besäße die ganze reiche Ebene kein einziges nennens- werthes Denkmal vergangener Zeiten: französischer Wandalismus, der hier stets ungehindert Hausen durfte, hat alle Werke früherer Geschlechter zer¬ trümmert und dem blühenden Lande in dieser Richtung eine sehr unerfreu¬ liche prosaische Nüchternheit zurückgelassen. Es ist ein vom übermüthigen Nachbar so und so oft zertretenes, versengtes Land, in dem nur Ruinen an das Leben früherer Jahrhunderte erinnern. Seit 1815 freilich fingen die Menschen an sich allmählich auch hier sicher zu fühlen; die Restauration und das Julikönigthum hatten sür sie nichts Beängstigendes. Als aber der Thron der napoleoniden wieder aufgerichtet wurde, lebten die alten Erinnerungen auf. Daher mit jener Kriegsfanalis¬ mus des Jahres 18S9. Das Gefühl, dem Angriff französischer Macht offen zu liegen, erzeugte den Wunsch, dieser Gefahr bei der ersten Gelegenheit vor¬ zubeugen. Darum seufzten hier oben so Viele über die italienische Nieder¬ lage Oestreichs. Denn das war nun einmal die alte Erinnerung, daß, wenn man überhaupt gegen Frankreich geschirmt werden könnte, dieses von Oestreich geschehen müsse. Daher auch die Stellung vieler Süddeutschen nach 1866; die Schutzlosigkeit gegen Frankreich war das stärkste Argument der Gegner Preußens. Und daß wir in einem gewissen Sinne wirklich schutzlos waren, läßt sich nach den Ersahrungen selbst dieses Krieges nicht bestreiten. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/115>, abgerufen am 22.12.2024.