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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auch da, wo es sich in einen katholischen Mantel hüllt, von der römischen
Miliz mit Feuer und Schwert bekämpft wird. Selbst die Sprache Diderot's
und Voltaire's erscheint ihr im Vergleich mit der Sprache Luther's und
Kant's unschuldig, ebenfalls mit Recht, denn sie fühlt die innerste Wahlver¬
wandtschaft zwischen dem französischen und römisch-ultramontanen Geiste in-
stinctiv heraus, die die heutigen Epigonen des 18, Jahrh, ableugnen möchten.

Alles dies unbefangen betrachtet, wird es schwer halten, der vlaemischen
Sprachbewegung ein günstiges Horoskop zu stellen. Sie kann in ihrer
gegenwärtigen Jsolirung auf keine großen Erfolge zählen, weil ihre Gegner
zu mächtig und gebildet sind, sie kann aber auch nicht aus ihrer Jsolirung
heraus, weil sie sich damit den Boden in dem Volke der Heimath entziehen
würde, über das der Klerus noch immer unbeschränkt gebietet. Sie kann
endlich nicht daran denken, eine Propaganda in Scene zu setzen, etwa so wie
die, wodurch die öechische Clique -- ursprünglich auch nur ein Dutzend Lt-
teraten und Abenteurer -- so große Erfolge errungen hat, die wir am we¬
nigsten ableugnen, weil wir sie am härtesten verurtheilen. Dem widerstrebt
schon der niederdeutsche, der deutsche Volksgeist überhaupt. Dazu gehört
nothwendigerweise eine Nationalität, der die Disciplin durch die Knute an¬
geboren ist und die blindlings Ordre parirt, weil sie für das, was wir vernünf¬
tige Ueberzeugung nennen, kein Organ besitzt. Auch hätte eine vlaemische
Propaganda es mit andern Gegnern zu thun als die öechische. Die in¬
dolenten und feigen Mitschuldigen und Opfer des Metternich'schen und Ko-
lowratschen Systems sind an den Usern der Maas und Scheide nicht zu
finden. --

Unter so bewandten Umständen wird man in Deutschland mehr und
mehr zu der Einsicht gelangen müssen, daß das vlaemische Sprachelement
in Belgien zwar im höchsten Grade aus Gründen der Politik und der Na¬
tionalität unsere Theilnahme verdient, daß wir aber kaum darauf rechnen
dürfen, es in eine directe lebendige Gemeinschaft weder zu dem Holländischen
noch zu dem Hochdeutschen treten zu sehen. Sobald die politische Selbständig¬
keit Belgiens durch Frankreich ernstlich und offen bedroht ist, wie sie es bis¬
her nur durch geheime Ränke und finstere Complote war, muß Deutschland
selbstverständlich alle seine Kraft für sie einsetzen, aber nicht deshalb, weil
dort niederdeutsche Sprachgenossen wohnen, sondern weil der Rhein ohne die
Vormauer Belgiens nicht vertheidigt werden kann.

Anders dagegen ist unsere Stellung zum Holländischen. Mag ihm auch
einstweilen jenes natürliche Ziel, das wir oben bezeichneten, die Anlehnung
an das Hochdeutsche, noch unerreichbar sein, weil sich Gebirge von altererbter
und neugepflegten Vorurtheilen, von Selbstüberschätzung und hochmüthiger Ver¬
achtung nicht so leicht und so bald übersteigen lassen, so begrüßen wir doch


auch da, wo es sich in einen katholischen Mantel hüllt, von der römischen
Miliz mit Feuer und Schwert bekämpft wird. Selbst die Sprache Diderot's
und Voltaire's erscheint ihr im Vergleich mit der Sprache Luther's und
Kant's unschuldig, ebenfalls mit Recht, denn sie fühlt die innerste Wahlver¬
wandtschaft zwischen dem französischen und römisch-ultramontanen Geiste in-
stinctiv heraus, die die heutigen Epigonen des 18, Jahrh, ableugnen möchten.

Alles dies unbefangen betrachtet, wird es schwer halten, der vlaemischen
Sprachbewegung ein günstiges Horoskop zu stellen. Sie kann in ihrer
gegenwärtigen Jsolirung auf keine großen Erfolge zählen, weil ihre Gegner
zu mächtig und gebildet sind, sie kann aber auch nicht aus ihrer Jsolirung
heraus, weil sie sich damit den Boden in dem Volke der Heimath entziehen
würde, über das der Klerus noch immer unbeschränkt gebietet. Sie kann
endlich nicht daran denken, eine Propaganda in Scene zu setzen, etwa so wie
die, wodurch die öechische Clique — ursprünglich auch nur ein Dutzend Lt-
teraten und Abenteurer — so große Erfolge errungen hat, die wir am we¬
nigsten ableugnen, weil wir sie am härtesten verurtheilen. Dem widerstrebt
schon der niederdeutsche, der deutsche Volksgeist überhaupt. Dazu gehört
nothwendigerweise eine Nationalität, der die Disciplin durch die Knute an¬
geboren ist und die blindlings Ordre parirt, weil sie für das, was wir vernünf¬
tige Ueberzeugung nennen, kein Organ besitzt. Auch hätte eine vlaemische
Propaganda es mit andern Gegnern zu thun als die öechische. Die in¬
dolenten und feigen Mitschuldigen und Opfer des Metternich'schen und Ko-
lowratschen Systems sind an den Usern der Maas und Scheide nicht zu
finden. —

Unter so bewandten Umständen wird man in Deutschland mehr und
mehr zu der Einsicht gelangen müssen, daß das vlaemische Sprachelement
in Belgien zwar im höchsten Grade aus Gründen der Politik und der Na¬
tionalität unsere Theilnahme verdient, daß wir aber kaum darauf rechnen
dürfen, es in eine directe lebendige Gemeinschaft weder zu dem Holländischen
noch zu dem Hochdeutschen treten zu sehen. Sobald die politische Selbständig¬
keit Belgiens durch Frankreich ernstlich und offen bedroht ist, wie sie es bis¬
her nur durch geheime Ränke und finstere Complote war, muß Deutschland
selbstverständlich alle seine Kraft für sie einsetzen, aber nicht deshalb, weil
dort niederdeutsche Sprachgenossen wohnen, sondern weil der Rhein ohne die
Vormauer Belgiens nicht vertheidigt werden kann.

Anders dagegen ist unsere Stellung zum Holländischen. Mag ihm auch
einstweilen jenes natürliche Ziel, das wir oben bezeichneten, die Anlehnung
an das Hochdeutsche, noch unerreichbar sein, weil sich Gebirge von altererbter
und neugepflegten Vorurtheilen, von Selbstüberschätzung und hochmüthiger Ver¬
achtung nicht so leicht und so bald übersteigen lassen, so begrüßen wir doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/478>, abgerufen am 29.06.2024.