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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Holland gibt. Es steht darin dem Hochdeutschen gleich, das so viel Katho¬
liken es schreiben und sprechen und zur Bekämpfung des protestantischen
Geistes mißbraucht haben und brauchen, doch seinen durch und durch protestan¬
tischen Stempel niemals, bis sein letzter Laut verklungen sein wird, verleug¬
nen kann.

Bisher hat man diesen wichtigsten Punkt entweder übersehen oder ge¬
flissentlich ignorirt, so bei den lebhaften Verhandlungen, die in den letzten
Jahren auf Congressen und in der Literatur über die Unionsangelegenheit
gepflogen worden sind. Aber er würde sich sofort in seiner verhängnißvollen
Bedeutung zeigen, sobald man zu einem Abschluß gelangt zu sein glaubte.
Einstweilen wird die Sache der niederdeutschen Sprache in Belgien sehr
eifrig von dem Clerus verfochten, und an ihm hat sie ihre kräftigste Stütze
gegen die eigene Landesregierung und die Mehrzahl der französisch Gebil¬
deten, die man nur nicht mit Parteigängern sür Frankreich verwechseln darf.
Ost sind die glühendsten Eiferer für die belgische Selbständigkeit zugleich die
fanatischesten Apostel der französischen Sprache und Literatur, entweder als
geborene Wallonen oder weil sie, um eine möglichst compacte Einheit ihres
Staates herzustellen, die sprachliche Trennung im Volke aufheben wollen und
dafür nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge kein anderes Mittel wissen,
als dem Französischen, das sie allein kennen, zur ausschließlichen Herrschaft
zu verhelfen. Dazu kommt noch, daß die bisherige Allianz des Clerus mit
der vlaemischen Bewegung dieser in den Augen der Liberalen sehr schaden
mußte. Sie sahen ganz richtig, daß die Antipathie gegen die französische
Sprache nicht sowohl dieser als den Ideen gilt, welche Voltaire und die
Encyclopaedisten in französischer Sprache zum Gemeingut der Welt gemacht
haben. Ganz vor Kurzem hat sich nun zwar auch eine liberale Fraction der
Vlaeminge herausgebildet, aber es fragt sich, ob sie Lebensfähigkeit hat,
oder ob es blos eine todtgeborene Speculation, einmal auf die Sympathieen
ihrer liberalen Landsleute und dann auf die protestantischen sprachverwandten
in Nordniederland ist. Sollte sie wirkliche Erfolge erzielen, so würden wir sehr
bald das Schauspiel erleben, wie der vlaemisch gesinnte Clerus mit Sack und
Pack in das Lager der eigentlichen Fransquillons übergeht. Denn er ist hier
so wenig wie in Bayern oder Tirol oder Böhmen oder sonst wo aus deut¬
schem Boden national, sondern römisch und nur dann national, wenn das
nationale Element sich von dem römischen knechten läßt.

Noch rascher und entschiedener würde eine solche Wendung eintreten,
wenn das Vlämische sich unmittelbar an das Hochdeutsche anlehnen wollte.
Dies gilt in der ganzen römischen Welt als die Sprache der Ketzerei an
sich, als die eigentliche Sprache Belial's, und mit Recht, daher es überall


Grenzboten III. 1870. 61

Holland gibt. Es steht darin dem Hochdeutschen gleich, das so viel Katho¬
liken es schreiben und sprechen und zur Bekämpfung des protestantischen
Geistes mißbraucht haben und brauchen, doch seinen durch und durch protestan¬
tischen Stempel niemals, bis sein letzter Laut verklungen sein wird, verleug¬
nen kann.

Bisher hat man diesen wichtigsten Punkt entweder übersehen oder ge¬
flissentlich ignorirt, so bei den lebhaften Verhandlungen, die in den letzten
Jahren auf Congressen und in der Literatur über die Unionsangelegenheit
gepflogen worden sind. Aber er würde sich sofort in seiner verhängnißvollen
Bedeutung zeigen, sobald man zu einem Abschluß gelangt zu sein glaubte.
Einstweilen wird die Sache der niederdeutschen Sprache in Belgien sehr
eifrig von dem Clerus verfochten, und an ihm hat sie ihre kräftigste Stütze
gegen die eigene Landesregierung und die Mehrzahl der französisch Gebil¬
deten, die man nur nicht mit Parteigängern sür Frankreich verwechseln darf.
Ost sind die glühendsten Eiferer für die belgische Selbständigkeit zugleich die
fanatischesten Apostel der französischen Sprache und Literatur, entweder als
geborene Wallonen oder weil sie, um eine möglichst compacte Einheit ihres
Staates herzustellen, die sprachliche Trennung im Volke aufheben wollen und
dafür nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge kein anderes Mittel wissen,
als dem Französischen, das sie allein kennen, zur ausschließlichen Herrschaft
zu verhelfen. Dazu kommt noch, daß die bisherige Allianz des Clerus mit
der vlaemischen Bewegung dieser in den Augen der Liberalen sehr schaden
mußte. Sie sahen ganz richtig, daß die Antipathie gegen die französische
Sprache nicht sowohl dieser als den Ideen gilt, welche Voltaire und die
Encyclopaedisten in französischer Sprache zum Gemeingut der Welt gemacht
haben. Ganz vor Kurzem hat sich nun zwar auch eine liberale Fraction der
Vlaeminge herausgebildet, aber es fragt sich, ob sie Lebensfähigkeit hat,
oder ob es blos eine todtgeborene Speculation, einmal auf die Sympathieen
ihrer liberalen Landsleute und dann auf die protestantischen sprachverwandten
in Nordniederland ist. Sollte sie wirkliche Erfolge erzielen, so würden wir sehr
bald das Schauspiel erleben, wie der vlaemisch gesinnte Clerus mit Sack und
Pack in das Lager der eigentlichen Fransquillons übergeht. Denn er ist hier
so wenig wie in Bayern oder Tirol oder Böhmen oder sonst wo aus deut¬
schem Boden national, sondern römisch und nur dann national, wenn das
nationale Element sich von dem römischen knechten läßt.

Noch rascher und entschiedener würde eine solche Wendung eintreten,
wenn das Vlämische sich unmittelbar an das Hochdeutsche anlehnen wollte.
Dies gilt in der ganzen römischen Welt als die Sprache der Ketzerei an
sich, als die eigentliche Sprache Belial's, und mit Recht, daher es überall


Grenzboten III. 1870. 61
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[0477] Holland gibt. Es steht darin dem Hochdeutschen gleich, das so viel Katho¬ liken es schreiben und sprechen und zur Bekämpfung des protestantischen Geistes mißbraucht haben und brauchen, doch seinen durch und durch protestan¬ tischen Stempel niemals, bis sein letzter Laut verklungen sein wird, verleug¬ nen kann. Bisher hat man diesen wichtigsten Punkt entweder übersehen oder ge¬ flissentlich ignorirt, so bei den lebhaften Verhandlungen, die in den letzten Jahren auf Congressen und in der Literatur über die Unionsangelegenheit gepflogen worden sind. Aber er würde sich sofort in seiner verhängnißvollen Bedeutung zeigen, sobald man zu einem Abschluß gelangt zu sein glaubte. Einstweilen wird die Sache der niederdeutschen Sprache in Belgien sehr eifrig von dem Clerus verfochten, und an ihm hat sie ihre kräftigste Stütze gegen die eigene Landesregierung und die Mehrzahl der französisch Gebil¬ deten, die man nur nicht mit Parteigängern sür Frankreich verwechseln darf. Ost sind die glühendsten Eiferer für die belgische Selbständigkeit zugleich die fanatischesten Apostel der französischen Sprache und Literatur, entweder als geborene Wallonen oder weil sie, um eine möglichst compacte Einheit ihres Staates herzustellen, die sprachliche Trennung im Volke aufheben wollen und dafür nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge kein anderes Mittel wissen, als dem Französischen, das sie allein kennen, zur ausschließlichen Herrschaft zu verhelfen. Dazu kommt noch, daß die bisherige Allianz des Clerus mit der vlaemischen Bewegung dieser in den Augen der Liberalen sehr schaden mußte. Sie sahen ganz richtig, daß die Antipathie gegen die französische Sprache nicht sowohl dieser als den Ideen gilt, welche Voltaire und die Encyclopaedisten in französischer Sprache zum Gemeingut der Welt gemacht haben. Ganz vor Kurzem hat sich nun zwar auch eine liberale Fraction der Vlaeminge herausgebildet, aber es fragt sich, ob sie Lebensfähigkeit hat, oder ob es blos eine todtgeborene Speculation, einmal auf die Sympathieen ihrer liberalen Landsleute und dann auf die protestantischen sprachverwandten in Nordniederland ist. Sollte sie wirkliche Erfolge erzielen, so würden wir sehr bald das Schauspiel erleben, wie der vlaemisch gesinnte Clerus mit Sack und Pack in das Lager der eigentlichen Fransquillons übergeht. Denn er ist hier so wenig wie in Bayern oder Tirol oder Böhmen oder sonst wo aus deut¬ schem Boden national, sondern römisch und nur dann national, wenn das nationale Element sich von dem römischen knechten läßt. Noch rascher und entschiedener würde eine solche Wendung eintreten, wenn das Vlämische sich unmittelbar an das Hochdeutsche anlehnen wollte. Dies gilt in der ganzen römischen Welt als die Sprache der Ketzerei an sich, als die eigentliche Sprache Belial's, und mit Recht, daher es überall Grenzboten III. 1870. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/477>, abgerufen am 29.06.2024.