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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Pöbels und der Nationalgardisten der Banlieue repräsentirt war, wurde die
dritte französische Republik geboren. Die bonapartistische Rechte floh, Thiers
mit dem Centrum protestirte gegen die Gewaltsamkeit, aber erklärte unter
den Umständen sich jeder activen Opposition enthalten zu wollen. Paris
nahm die Nachricht mit einem Jubel auf, als ob nun das Vaterland gerettet
und die Deutschenge schlagen seien. oris "vivs 1a Ü>exud1i<zus") Nousisur,
varesHus maintenant nous allons enasssr Iss krussisns et xuis it aura
1a paix^ sagte eine kleine Näherin zu einem Engländer, und über diese Weis¬
heit ging auch die der Bevölkerung nicht hinaus. Man zerstörte die Statuen
Napoleons, riß die Schilder der ?ournis8fürs as ig. Oour ab, zerschlug die
Spiegelscheiben, die mit dem kaiserlichen Adler bemalt waren und vertilgte
das an öffentlichen Gebäuden, wo man es erreichen konnte; die gewöhnlichen
Pariser revolutionären Witze durften nicht fehlen: an den Tribünen, von denen
das souveräne Volk Besitz genommen, las man mit Kreide geschrieben "^vvar-
temsnts g. lousr", am Senatspalast "terrns xour causs as äsess". Wem fällt
nicht dabei das Wort Carlhle's über den französischen Nationalcharakter ein:
"so tutt ot veksinenes, so tres trollt äsM".

Inzwischen tagte die neue republikanische Regierung nach historischem
Herkommen der Revolution im Pariser Stadthause. Welche Scenen der
widersprechendsten Art hat nicht dies Hotel de Ville gesehen! Wie oft war
ich Zeuge der verschwenderischen Gastlichkeit, mit der Haußmann fremde Sou¬
veräne dort empfing, 1855 die Königin von England, 1867 den Kaiser von
Rußland und den König von Preußen, und jetzt drängten sich die Blousen
in den Galerien, wo damals die Diamanten funkelten, die Schleppen rausch¬
ten und der Champagner in Strömen floß. Nach kurzer Sitzung erschien
die Proclamation "1a Kranes a accompli un Zranä acts as ^'usties, eile a kg.it
su usus temps un acts as salut, xour Sö sauver, 1a. Nation avait bssoin as
us xlus relevsr me ä'fils ahme". Stolze Worte, aber wie werden sie sich
wahr machen! Der Schaden, den dieser Sprung ins Dunkleder Sache Frank-
reichs gethan, ist klar, sein Vortheil mehr als problematisch. Statt nach
Thiers' Vorschlage, dem Jalikao sich angeschlossen hätte, einen Ausschuß des
Gesetzgebenden Körpers als nationales Vertheidigungs-Comits' zu constituiren,
der seine Legitimität damit decken konnte, daß dem Lande die Verfügung
über seine Zukunft gewahrt sei und der sich auf das (lorvs Isgislatik stützend
die Continuität gerettet hätte, hat man in echt französischer Weise damit
begonnen, dem Faß den Boden einzuschlagen und eine Regierungsform procla-
mirt, die trotz aller Acclamationen der großen Städte nach den bisherigen
Erfahrungen den Jnstinct des französischen Landvolks, also der großen Majorität
der Nation gegen sich hat. Während man in einer Lage ist, in der Rom
einen Dictator gewählt hätte, um den sich das Volk zur Vertheidigung schaaren


Pöbels und der Nationalgardisten der Banlieue repräsentirt war, wurde die
dritte französische Republik geboren. Die bonapartistische Rechte floh, Thiers
mit dem Centrum protestirte gegen die Gewaltsamkeit, aber erklärte unter
den Umständen sich jeder activen Opposition enthalten zu wollen. Paris
nahm die Nachricht mit einem Jubel auf, als ob nun das Vaterland gerettet
und die Deutschenge schlagen seien. oris „vivs 1a Ü>exud1i<zus") Nousisur,
varesHus maintenant nous allons enasssr Iss krussisns et xuis it aura
1a paix^ sagte eine kleine Näherin zu einem Engländer, und über diese Weis¬
heit ging auch die der Bevölkerung nicht hinaus. Man zerstörte die Statuen
Napoleons, riß die Schilder der ?ournis8fürs as ig. Oour ab, zerschlug die
Spiegelscheiben, die mit dem kaiserlichen Adler bemalt waren und vertilgte
das an öffentlichen Gebäuden, wo man es erreichen konnte; die gewöhnlichen
Pariser revolutionären Witze durften nicht fehlen: an den Tribünen, von denen
das souveräne Volk Besitz genommen, las man mit Kreide geschrieben „^vvar-
temsnts g. lousr", am Senatspalast „terrns xour causs as äsess". Wem fällt
nicht dabei das Wort Carlhle's über den französischen Nationalcharakter ein:
„so tutt ot veksinenes, so tres trollt äsM".

Inzwischen tagte die neue republikanische Regierung nach historischem
Herkommen der Revolution im Pariser Stadthause. Welche Scenen der
widersprechendsten Art hat nicht dies Hotel de Ville gesehen! Wie oft war
ich Zeuge der verschwenderischen Gastlichkeit, mit der Haußmann fremde Sou¬
veräne dort empfing, 1855 die Königin von England, 1867 den Kaiser von
Rußland und den König von Preußen, und jetzt drängten sich die Blousen
in den Galerien, wo damals die Diamanten funkelten, die Schleppen rausch¬
ten und der Champagner in Strömen floß. Nach kurzer Sitzung erschien
die Proclamation „1a Kranes a accompli un Zranä acts as ^'usties, eile a kg.it
su usus temps un acts as salut, xour Sö sauver, 1a. Nation avait bssoin as
us xlus relevsr me ä'fils ahme". Stolze Worte, aber wie werden sie sich
wahr machen! Der Schaden, den dieser Sprung ins Dunkleder Sache Frank-
reichs gethan, ist klar, sein Vortheil mehr als problematisch. Statt nach
Thiers' Vorschlage, dem Jalikao sich angeschlossen hätte, einen Ausschuß des
Gesetzgebenden Körpers als nationales Vertheidigungs-Comits' zu constituiren,
der seine Legitimität damit decken konnte, daß dem Lande die Verfügung
über seine Zukunft gewahrt sei und der sich auf das (lorvs Isgislatik stützend
die Continuität gerettet hätte, hat man in echt französischer Weise damit
begonnen, dem Faß den Boden einzuschlagen und eine Regierungsform procla-
mirt, die trotz aller Acclamationen der großen Städte nach den bisherigen
Erfahrungen den Jnstinct des französischen Landvolks, also der großen Majorität
der Nation gegen sich hat. Während man in einer Lage ist, in der Rom
einen Dictator gewählt hätte, um den sich das Volk zur Vertheidigung schaaren


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[0470] Pöbels und der Nationalgardisten der Banlieue repräsentirt war, wurde die dritte französische Republik geboren. Die bonapartistische Rechte floh, Thiers mit dem Centrum protestirte gegen die Gewaltsamkeit, aber erklärte unter den Umständen sich jeder activen Opposition enthalten zu wollen. Paris nahm die Nachricht mit einem Jubel auf, als ob nun das Vaterland gerettet und die Deutschenge schlagen seien. oris „vivs 1a Ü>exud1i<zus") Nousisur, varesHus maintenant nous allons enasssr Iss krussisns et xuis it aura 1a paix^ sagte eine kleine Näherin zu einem Engländer, und über diese Weis¬ heit ging auch die der Bevölkerung nicht hinaus. Man zerstörte die Statuen Napoleons, riß die Schilder der ?ournis8fürs as ig. Oour ab, zerschlug die Spiegelscheiben, die mit dem kaiserlichen Adler bemalt waren und vertilgte das an öffentlichen Gebäuden, wo man es erreichen konnte; die gewöhnlichen Pariser revolutionären Witze durften nicht fehlen: an den Tribünen, von denen das souveräne Volk Besitz genommen, las man mit Kreide geschrieben „^vvar- temsnts g. lousr", am Senatspalast „terrns xour causs as äsess". Wem fällt nicht dabei das Wort Carlhle's über den französischen Nationalcharakter ein: „so tutt ot veksinenes, so tres trollt äsM". Inzwischen tagte die neue republikanische Regierung nach historischem Herkommen der Revolution im Pariser Stadthause. Welche Scenen der widersprechendsten Art hat nicht dies Hotel de Ville gesehen! Wie oft war ich Zeuge der verschwenderischen Gastlichkeit, mit der Haußmann fremde Sou¬ veräne dort empfing, 1855 die Königin von England, 1867 den Kaiser von Rußland und den König von Preußen, und jetzt drängten sich die Blousen in den Galerien, wo damals die Diamanten funkelten, die Schleppen rausch¬ ten und der Champagner in Strömen floß. Nach kurzer Sitzung erschien die Proclamation „1a Kranes a accompli un Zranä acts as ^'usties, eile a kg.it su usus temps un acts as salut, xour Sö sauver, 1a. Nation avait bssoin as us xlus relevsr me ä'fils ahme". Stolze Worte, aber wie werden sie sich wahr machen! Der Schaden, den dieser Sprung ins Dunkleder Sache Frank- reichs gethan, ist klar, sein Vortheil mehr als problematisch. Statt nach Thiers' Vorschlage, dem Jalikao sich angeschlossen hätte, einen Ausschuß des Gesetzgebenden Körpers als nationales Vertheidigungs-Comits' zu constituiren, der seine Legitimität damit decken konnte, daß dem Lande die Verfügung über seine Zukunft gewahrt sei und der sich auf das (lorvs Isgislatik stützend die Continuität gerettet hätte, hat man in echt französischer Weise damit begonnen, dem Faß den Boden einzuschlagen und eine Regierungsform procla- mirt, die trotz aller Acclamationen der großen Städte nach den bisherigen Erfahrungen den Jnstinct des französischen Landvolks, also der großen Majorität der Nation gegen sich hat. Während man in einer Lage ist, in der Rom einen Dictator gewählt hätte, um den sich das Volk zur Vertheidigung schaaren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/470>, abgerufen am 29.06.2024.