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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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französischen; es ist freilich ein sehr anderes Feuer, das in beiden glüht.
Am Sonnabend grüßten wieder tausende von Fahnen und Flaggen von
allen Dächern; selbst die Verdecke der Omnibuswagen waren bunt umwallt
und mitten im Flusse hatten die Fischer aus ihren Fischkasten die frischen
norddeutschen Farben aufgezogen. Posaunen bliesen vom Rathhausthurme,
im Lustgarten riefen Sonntags die Geschütze ihren zürnenden Geschwistern
auf den Hügeln Lothringens ein dankbares Echo zu, genug es wäre eitel
Freude gewesen, hätte uns nicht der fürchterliche Preis dieser Freude finster
vor der Seele gestanden.

Es waren keine pyrrhischen Siege, es wäre furchtsam übertrieben, sie so
zu nennen; aber grausam blutig sind sie gewesen. Das Wort des Königs,
daß wir durch zwei leichtere Kriege verwöhnt worden, daß es diesmal weit
ernster kommen müsse, hat seine trübe Wahrheit voll bewährt. Es zerreißt
das Herz, die Briefe der Verwundeten zu lesen, Bleististzettel, geschrieben in
den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Verwundung, ehe das böse
Fieber dem Geiste seine Kraft raubt; unmännliche Klagen finden sich nicht
darin, sie sind ja alle mit grimmiger Entschlossenheit drauf losgegangen und
waren auf solchen Ausgang wohl gefaßt. Doch möchte man fast die glücklich
preisen, die eine schnelle Kugel unerbittlich hinweggenommen; denn das
schlimmste, was die Armen zu beklagen wissen, ist das Warten auf die erste
Hilfe. Alle Aerzte der Welt würden nicht genug sein, so großem Elende zu
steuern, doch hätte man wahrlich in Voraussicht dessen durchaus keine irgend
geschickte Handreichung verschmähen sollen. Es ist befremdlich, daß man den
Schülern der hiesigen militärärztlichen Aeademie erst vom sechsten Semester
an den Zutritt zur Feldmedicin gestattet hat; junge Leute im fünften Se¬
mester haben, obwohl sie bet Langenbeck einen dreiwöchentlicher Verbands-
cursus durchgemacht haben, sich dem Buchstaben der Verordnung zu Liebe
zum Dienste mit der Waffe einstellen müssen.

, Auch unsere Lazarethe sind nun schon zum Theil gefüllt; die ganz leicht
Verwundeten sind auch in Kasernen untergebracht worden; so birgt die Dra-
gvnerkaserne Hunderte von leichtgetroffenen Franzosen, die von den Fenstern
ziemlich gleichgiltig aus das immer neugierige Publikum herabschauen. Von
übermorgen an soll auch das große Barackenlager auf dem Kreuzberge belegt
werden, an dessen Herstellung Staat und Stadt unermüdlich und mit ge¬
waltigem Aufwands haben arbeiten lassen. Das ganze macht den Eindruck
einer jener schnell entstandenen amerikanischen Städte an der Pacificbahn,
wie sie uns öfters von den illustrirten Zeitungen dargestellt worden sind.
Frische Luft ist der Wahlspruch der modernen Wundheilkunst, darauf hin ist
denn auch diese ganze Anlage gegründet. Das Tempelhofer Feld breitet sich
auf der Höhe der südlichen Thcilränder unseres Spreelauses hin, es dient


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französischen; es ist freilich ein sehr anderes Feuer, das in beiden glüht.
Am Sonnabend grüßten wieder tausende von Fahnen und Flaggen von
allen Dächern; selbst die Verdecke der Omnibuswagen waren bunt umwallt
und mitten im Flusse hatten die Fischer aus ihren Fischkasten die frischen
norddeutschen Farben aufgezogen. Posaunen bliesen vom Rathhausthurme,
im Lustgarten riefen Sonntags die Geschütze ihren zürnenden Geschwistern
auf den Hügeln Lothringens ein dankbares Echo zu, genug es wäre eitel
Freude gewesen, hätte uns nicht der fürchterliche Preis dieser Freude finster
vor der Seele gestanden.

Es waren keine pyrrhischen Siege, es wäre furchtsam übertrieben, sie so
zu nennen; aber grausam blutig sind sie gewesen. Das Wort des Königs,
daß wir durch zwei leichtere Kriege verwöhnt worden, daß es diesmal weit
ernster kommen müsse, hat seine trübe Wahrheit voll bewährt. Es zerreißt
das Herz, die Briefe der Verwundeten zu lesen, Bleististzettel, geschrieben in
den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Verwundung, ehe das böse
Fieber dem Geiste seine Kraft raubt; unmännliche Klagen finden sich nicht
darin, sie sind ja alle mit grimmiger Entschlossenheit drauf losgegangen und
waren auf solchen Ausgang wohl gefaßt. Doch möchte man fast die glücklich
preisen, die eine schnelle Kugel unerbittlich hinweggenommen; denn das
schlimmste, was die Armen zu beklagen wissen, ist das Warten auf die erste
Hilfe. Alle Aerzte der Welt würden nicht genug sein, so großem Elende zu
steuern, doch hätte man wahrlich in Voraussicht dessen durchaus keine irgend
geschickte Handreichung verschmähen sollen. Es ist befremdlich, daß man den
Schülern der hiesigen militärärztlichen Aeademie erst vom sechsten Semester
an den Zutritt zur Feldmedicin gestattet hat; junge Leute im fünften Se¬
mester haben, obwohl sie bet Langenbeck einen dreiwöchentlicher Verbands-
cursus durchgemacht haben, sich dem Buchstaben der Verordnung zu Liebe
zum Dienste mit der Waffe einstellen müssen.

, Auch unsere Lazarethe sind nun schon zum Theil gefüllt; die ganz leicht
Verwundeten sind auch in Kasernen untergebracht worden; so birgt die Dra-
gvnerkaserne Hunderte von leichtgetroffenen Franzosen, die von den Fenstern
ziemlich gleichgiltig aus das immer neugierige Publikum herabschauen. Von
übermorgen an soll auch das große Barackenlager auf dem Kreuzberge belegt
werden, an dessen Herstellung Staat und Stadt unermüdlich und mit ge¬
waltigem Aufwands haben arbeiten lassen. Das ganze macht den Eindruck
einer jener schnell entstandenen amerikanischen Städte an der Pacificbahn,
wie sie uns öfters von den illustrirten Zeitungen dargestellt worden sind.
Frische Luft ist der Wahlspruch der modernen Wundheilkunst, darauf hin ist
denn auch diese ganze Anlage gegründet. Das Tempelhofer Feld breitet sich
auf der Höhe der südlichen Thcilränder unseres Spreelauses hin, es dient


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[0379] französischen; es ist freilich ein sehr anderes Feuer, das in beiden glüht. Am Sonnabend grüßten wieder tausende von Fahnen und Flaggen von allen Dächern; selbst die Verdecke der Omnibuswagen waren bunt umwallt und mitten im Flusse hatten die Fischer aus ihren Fischkasten die frischen norddeutschen Farben aufgezogen. Posaunen bliesen vom Rathhausthurme, im Lustgarten riefen Sonntags die Geschütze ihren zürnenden Geschwistern auf den Hügeln Lothringens ein dankbares Echo zu, genug es wäre eitel Freude gewesen, hätte uns nicht der fürchterliche Preis dieser Freude finster vor der Seele gestanden. Es waren keine pyrrhischen Siege, es wäre furchtsam übertrieben, sie so zu nennen; aber grausam blutig sind sie gewesen. Das Wort des Königs, daß wir durch zwei leichtere Kriege verwöhnt worden, daß es diesmal weit ernster kommen müsse, hat seine trübe Wahrheit voll bewährt. Es zerreißt das Herz, die Briefe der Verwundeten zu lesen, Bleististzettel, geschrieben in den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Verwundung, ehe das böse Fieber dem Geiste seine Kraft raubt; unmännliche Klagen finden sich nicht darin, sie sind ja alle mit grimmiger Entschlossenheit drauf losgegangen und waren auf solchen Ausgang wohl gefaßt. Doch möchte man fast die glücklich preisen, die eine schnelle Kugel unerbittlich hinweggenommen; denn das schlimmste, was die Armen zu beklagen wissen, ist das Warten auf die erste Hilfe. Alle Aerzte der Welt würden nicht genug sein, so großem Elende zu steuern, doch hätte man wahrlich in Voraussicht dessen durchaus keine irgend geschickte Handreichung verschmähen sollen. Es ist befremdlich, daß man den Schülern der hiesigen militärärztlichen Aeademie erst vom sechsten Semester an den Zutritt zur Feldmedicin gestattet hat; junge Leute im fünften Se¬ mester haben, obwohl sie bet Langenbeck einen dreiwöchentlicher Verbands- cursus durchgemacht haben, sich dem Buchstaben der Verordnung zu Liebe zum Dienste mit der Waffe einstellen müssen. , Auch unsere Lazarethe sind nun schon zum Theil gefüllt; die ganz leicht Verwundeten sind auch in Kasernen untergebracht worden; so birgt die Dra- gvnerkaserne Hunderte von leichtgetroffenen Franzosen, die von den Fenstern ziemlich gleichgiltig aus das immer neugierige Publikum herabschauen. Von übermorgen an soll auch das große Barackenlager auf dem Kreuzberge belegt werden, an dessen Herstellung Staat und Stadt unermüdlich und mit ge¬ waltigem Aufwands haben arbeiten lassen. Das ganze macht den Eindruck einer jener schnell entstandenen amerikanischen Städte an der Pacificbahn, wie sie uns öfters von den illustrirten Zeitungen dargestellt worden sind. Frische Luft ist der Wahlspruch der modernen Wundheilkunst, darauf hin ist denn auch diese ganze Anlage gegründet. Das Tempelhofer Feld breitet sich auf der Höhe der südlichen Thcilränder unseres Spreelauses hin, es dient 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/379>, abgerufen am 26.06.2024.