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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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atlantischen Ländern gibt die Bundesraths-Verordnung, welche sie während
solcher Abwesenheit vom Dienste dispensirt, alle wünschenswerthe Erleich¬
terung.

So trafen die letzten Ereignisse Hamburg als ein williges und in die
neuen Verhältnisse vollkommen eingelebtes Mitglied des Bundes. Aber wie
unvergleichlich das Bundesband in wenig Wochen gestärkt ist, kann nur der
fühlen, welcher diese Wochen hier miterlebt hat und Mitzeuge geworden ist,
wie ein großer stolzer Gedanke alle Bedenklichkeiten kleinlicher Sonderpolitik
verzehrt hat. Hamburg sah sich als Seestadt bei einem Kriege mit dem
seemächtigen Frankreich ganz besonders bedroht; gegen die starke französische
Marine bot die deutsche kaum einen Schutz, das geringste, worauf man sich
gefaßt machen mußte, war eine lange Blockade, wahrscheinlich drohten auch
Landungen an den ungenügend befestigten Küsten. Was es aber für eine
Welthandelsstadt bedeutet, von allem Seeverkehr, also von der Basis ihrer
Existenz abgeschnitten zu sein, wird jeder ermessen, der vom kaufmännischen
Verkehr einen Begriff hat. Auch die hiesigen Fabriken, sämmtlich auf über¬
seeischen Absatz angewiesen, mußten ihre Thätigkeit einstellen oder auf ein
Minimum reduciren. Dazu kam die Stockung, welche in der Fabriksthätig¬
keit des Inlandes eintreten mußte. Nicht nur konnten keine neuen Be¬
stellungen gemacht werden, auch die Rimessen für realisirte Ordres blieben
aus; in allen Zweigen des öffentlichen und privaten Dienstes mußten die
Wehrpflichtigen ihre Stellen verlassen/

Und doch -- das dürfen wir stolz behaupten -- nirgends war ein
Zaudern oder Bedauern zu sehen. Viel dazu beigetragen haben mag die
Empörung über die Frivolität mit der der Krieg- vom Zaun gebrochen ward,
ebenso viel das Gefühl, daß es gegen den alten Erbfeind gehe; denn
in wenig deutschen Städten mag die Erinnerung an die Franzosen¬
herrschaft noch so lebendig sein, wie hier in Hamburg. Noch leben unter
uns zahlreiche ^Ueberbleibsel des Geschlechtes, das unter Davoust gelitten
und gewagt die Fremdherrschaft abzuschütteln, als noch der Rheinbund
in voller Macht dastand. Aber die entschiedenste Empfindung war das Be¬
wußtsein, daß Hamburg ein Glied des nationalen Staates geworden ist, daß
sein Platz im deutschen Heerlager sei. Wenn sonst ein Krieg erklärt war
und der Bundestag sich in rathloser Thatlosigkeit passiv verhielt, so gebot
die Pflicht der Selbsterhaltung dem kleinen auf sich selbst angewiesenen Staate,
nach Möglichkeit für die eigene Existenz und das Wohl seiner Bürger zu sorgen.
Wo es keine nationale Staatsgewalt gab, welche ven Interessen ihrer An¬
gehörigen Schutz bot, da war ein kleiner Handelsstaat auf eine lavirende
Neutralitätspolitik angewiesen, welche dem Conflict nach beiden Seiten
auswich.


atlantischen Ländern gibt die Bundesraths-Verordnung, welche sie während
solcher Abwesenheit vom Dienste dispensirt, alle wünschenswerthe Erleich¬
terung.

So trafen die letzten Ereignisse Hamburg als ein williges und in die
neuen Verhältnisse vollkommen eingelebtes Mitglied des Bundes. Aber wie
unvergleichlich das Bundesband in wenig Wochen gestärkt ist, kann nur der
fühlen, welcher diese Wochen hier miterlebt hat und Mitzeuge geworden ist,
wie ein großer stolzer Gedanke alle Bedenklichkeiten kleinlicher Sonderpolitik
verzehrt hat. Hamburg sah sich als Seestadt bei einem Kriege mit dem
seemächtigen Frankreich ganz besonders bedroht; gegen die starke französische
Marine bot die deutsche kaum einen Schutz, das geringste, worauf man sich
gefaßt machen mußte, war eine lange Blockade, wahrscheinlich drohten auch
Landungen an den ungenügend befestigten Küsten. Was es aber für eine
Welthandelsstadt bedeutet, von allem Seeverkehr, also von der Basis ihrer
Existenz abgeschnitten zu sein, wird jeder ermessen, der vom kaufmännischen
Verkehr einen Begriff hat. Auch die hiesigen Fabriken, sämmtlich auf über¬
seeischen Absatz angewiesen, mußten ihre Thätigkeit einstellen oder auf ein
Minimum reduciren. Dazu kam die Stockung, welche in der Fabriksthätig¬
keit des Inlandes eintreten mußte. Nicht nur konnten keine neuen Be¬
stellungen gemacht werden, auch die Rimessen für realisirte Ordres blieben
aus; in allen Zweigen des öffentlichen und privaten Dienstes mußten die
Wehrpflichtigen ihre Stellen verlassen/

Und doch — das dürfen wir stolz behaupten — nirgends war ein
Zaudern oder Bedauern zu sehen. Viel dazu beigetragen haben mag die
Empörung über die Frivolität mit der der Krieg- vom Zaun gebrochen ward,
ebenso viel das Gefühl, daß es gegen den alten Erbfeind gehe; denn
in wenig deutschen Städten mag die Erinnerung an die Franzosen¬
herrschaft noch so lebendig sein, wie hier in Hamburg. Noch leben unter
uns zahlreiche ^Ueberbleibsel des Geschlechtes, das unter Davoust gelitten
und gewagt die Fremdherrschaft abzuschütteln, als noch der Rheinbund
in voller Macht dastand. Aber die entschiedenste Empfindung war das Be¬
wußtsein, daß Hamburg ein Glied des nationalen Staates geworden ist, daß
sein Platz im deutschen Heerlager sei. Wenn sonst ein Krieg erklärt war
und der Bundestag sich in rathloser Thatlosigkeit passiv verhielt, so gebot
die Pflicht der Selbsterhaltung dem kleinen auf sich selbst angewiesenen Staate,
nach Möglichkeit für die eigene Existenz und das Wohl seiner Bürger zu sorgen.
Wo es keine nationale Staatsgewalt gab, welche ven Interessen ihrer An¬
gehörigen Schutz bot, da war ein kleiner Handelsstaat auf eine lavirende
Neutralitätspolitik angewiesen, welche dem Conflict nach beiden Seiten
auswich.


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[0310] atlantischen Ländern gibt die Bundesraths-Verordnung, welche sie während solcher Abwesenheit vom Dienste dispensirt, alle wünschenswerthe Erleich¬ terung. So trafen die letzten Ereignisse Hamburg als ein williges und in die neuen Verhältnisse vollkommen eingelebtes Mitglied des Bundes. Aber wie unvergleichlich das Bundesband in wenig Wochen gestärkt ist, kann nur der fühlen, welcher diese Wochen hier miterlebt hat und Mitzeuge geworden ist, wie ein großer stolzer Gedanke alle Bedenklichkeiten kleinlicher Sonderpolitik verzehrt hat. Hamburg sah sich als Seestadt bei einem Kriege mit dem seemächtigen Frankreich ganz besonders bedroht; gegen die starke französische Marine bot die deutsche kaum einen Schutz, das geringste, worauf man sich gefaßt machen mußte, war eine lange Blockade, wahrscheinlich drohten auch Landungen an den ungenügend befestigten Küsten. Was es aber für eine Welthandelsstadt bedeutet, von allem Seeverkehr, also von der Basis ihrer Existenz abgeschnitten zu sein, wird jeder ermessen, der vom kaufmännischen Verkehr einen Begriff hat. Auch die hiesigen Fabriken, sämmtlich auf über¬ seeischen Absatz angewiesen, mußten ihre Thätigkeit einstellen oder auf ein Minimum reduciren. Dazu kam die Stockung, welche in der Fabriksthätig¬ keit des Inlandes eintreten mußte. Nicht nur konnten keine neuen Be¬ stellungen gemacht werden, auch die Rimessen für realisirte Ordres blieben aus; in allen Zweigen des öffentlichen und privaten Dienstes mußten die Wehrpflichtigen ihre Stellen verlassen/ Und doch — das dürfen wir stolz behaupten — nirgends war ein Zaudern oder Bedauern zu sehen. Viel dazu beigetragen haben mag die Empörung über die Frivolität mit der der Krieg- vom Zaun gebrochen ward, ebenso viel das Gefühl, daß es gegen den alten Erbfeind gehe; denn in wenig deutschen Städten mag die Erinnerung an die Franzosen¬ herrschaft noch so lebendig sein, wie hier in Hamburg. Noch leben unter uns zahlreiche ^Ueberbleibsel des Geschlechtes, das unter Davoust gelitten und gewagt die Fremdherrschaft abzuschütteln, als noch der Rheinbund in voller Macht dastand. Aber die entschiedenste Empfindung war das Be¬ wußtsein, daß Hamburg ein Glied des nationalen Staates geworden ist, daß sein Platz im deutschen Heerlager sei. Wenn sonst ein Krieg erklärt war und der Bundestag sich in rathloser Thatlosigkeit passiv verhielt, so gebot die Pflicht der Selbsterhaltung dem kleinen auf sich selbst angewiesenen Staate, nach Möglichkeit für die eigene Existenz und das Wohl seiner Bürger zu sorgen. Wo es keine nationale Staatsgewalt gab, welche ven Interessen ihrer An¬ gehörigen Schutz bot, da war ein kleiner Handelsstaat auf eine lavirende Neutralitätspolitik angewiesen, welche dem Conflict nach beiden Seiten auswich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/310>, abgerufen am 26.06.2024.