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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Weniger laut, aber darum nicht weniger verständlich äußerten sich die
französischen Sympathien der officiellen nichtmilitärischen Regionen. So
nahm jenes amtliche Correspondenzbureau, welches den Zeitungen die Tele¬
gramme liefert, von Anfang an offen Partei. So lange der Schriftwechsel
währte, wurden von Paris aus stets "Beweise, Widerlegungen" u. s. w.
gemeldet, die Publicationen preußischerseits erschienen dagegen in den dürf¬
tigsten, mitunter das Wichtigste ignorirenden Auszügen. Um Stimmung zu
machen war das Manöver nicht übel, da die Wiener Zeitungen ihr ohne¬
hin zum oberflächlichen "Anschauen" der politischen Neuigkeiten geneigtes
Publicum durch ein Uebermaß an Stoff vollends gewöhnt haben, nur die
telegraphischen Depeschen zu überfliegen und nach diesen sich ein Urtheil zu
bilden. Aber die Methode wird auch lächerlicherweise beibehalten, nun es
sich um die Meldung von Vorgängen auf den Schlachtfeldern handelt. In
den oberöstreichischen und steirischen Curorten, deren Lokalblätter von dem
Wiederabdruck und von Nachrichten a.us den Nesidenzzeitungen leben, beziehen
die Fremden auf gemeinschaftliche Kosten die Depeschen jenes Bureau's, und
wie von mehreren solcher Plätze berichtet wird, erhielten sie z. B. über die
Affaire von Weißenburg nur die officiellen französischen Bulletins und die
Mittheilungen der französischen Botschaft in Wien an ein derselben ergebenes
Blatt. Die Zeitungen und Correspondenten, welche den Winken der "Pre߬
leitung" gehorchen, unterließen in ihren Variationen über das Thema der
"aufmerksamen Neutralität" niemals, zu betonen, daß zwar Frankreich ebenso
wie Preußen dem Staate Oestreich viel Schaden zugefügt habe, aber doch
nicht so perfid wie Preußen zu Werke gegangen sei, und daß von dem französi¬
schen Siege Oesterreich nichts, von dem preußischen alles zu befürchten habe.

Dergleichen Organe führten natürlich je nach ihrem Leserkreise verschiedene
Sprache. Die in den niederen Classen verbreiteten scheuten sich nicht, die
alte Fabel aufzutischen, der Kaiser Napoleon habe zu Villafranca dem Kaiser
Franz Joseph treulose Anschläge Preußens enthüllt. Da war der rasche
Friedensschluß nicht von der Besorgniß vor preußischer Intervention, sondern
von dem Edelmuthe Napoleons dictirt; da schämte man sich nicht, denselben
Mann zu preisen, weil er 1866 Oestreich "gerettet" habe! Da war Frank¬
reich, das bonapartistische Frankreich, der Träger der Civilisation, der Frei¬
heit, der Kämpfer für das Recht, welcher uneigennützig wie stets nur die
preußische Tyrannei in Deuschland brechen, das europäische Gleichgewicht
und Oestreichs alte Stellung in demselben wiederherstellen, den Weltfrieden
begründen wolle. Einige journalistische Landsknechte, welche stets sür den
Meistbietenden zu haben sind, gingen noch weiter. Sie predigten die Zer"
trümmerung Preußens, das ja sonst nicht eher ruhen werde, als bis es auch
die deutschen Länder Oestreichs an sich gerissen habe. Preußen sei ja über-


Weniger laut, aber darum nicht weniger verständlich äußerten sich die
französischen Sympathien der officiellen nichtmilitärischen Regionen. So
nahm jenes amtliche Correspondenzbureau, welches den Zeitungen die Tele¬
gramme liefert, von Anfang an offen Partei. So lange der Schriftwechsel
währte, wurden von Paris aus stets „Beweise, Widerlegungen" u. s. w.
gemeldet, die Publicationen preußischerseits erschienen dagegen in den dürf¬
tigsten, mitunter das Wichtigste ignorirenden Auszügen. Um Stimmung zu
machen war das Manöver nicht übel, da die Wiener Zeitungen ihr ohne¬
hin zum oberflächlichen „Anschauen" der politischen Neuigkeiten geneigtes
Publicum durch ein Uebermaß an Stoff vollends gewöhnt haben, nur die
telegraphischen Depeschen zu überfliegen und nach diesen sich ein Urtheil zu
bilden. Aber die Methode wird auch lächerlicherweise beibehalten, nun es
sich um die Meldung von Vorgängen auf den Schlachtfeldern handelt. In
den oberöstreichischen und steirischen Curorten, deren Lokalblätter von dem
Wiederabdruck und von Nachrichten a.us den Nesidenzzeitungen leben, beziehen
die Fremden auf gemeinschaftliche Kosten die Depeschen jenes Bureau's, und
wie von mehreren solcher Plätze berichtet wird, erhielten sie z. B. über die
Affaire von Weißenburg nur die officiellen französischen Bulletins und die
Mittheilungen der französischen Botschaft in Wien an ein derselben ergebenes
Blatt. Die Zeitungen und Correspondenten, welche den Winken der „Pre߬
leitung" gehorchen, unterließen in ihren Variationen über das Thema der
„aufmerksamen Neutralität" niemals, zu betonen, daß zwar Frankreich ebenso
wie Preußen dem Staate Oestreich viel Schaden zugefügt habe, aber doch
nicht so perfid wie Preußen zu Werke gegangen sei, und daß von dem französi¬
schen Siege Oesterreich nichts, von dem preußischen alles zu befürchten habe.

Dergleichen Organe führten natürlich je nach ihrem Leserkreise verschiedene
Sprache. Die in den niederen Classen verbreiteten scheuten sich nicht, die
alte Fabel aufzutischen, der Kaiser Napoleon habe zu Villafranca dem Kaiser
Franz Joseph treulose Anschläge Preußens enthüllt. Da war der rasche
Friedensschluß nicht von der Besorgniß vor preußischer Intervention, sondern
von dem Edelmuthe Napoleons dictirt; da schämte man sich nicht, denselben
Mann zu preisen, weil er 1866 Oestreich „gerettet" habe! Da war Frank¬
reich, das bonapartistische Frankreich, der Träger der Civilisation, der Frei¬
heit, der Kämpfer für das Recht, welcher uneigennützig wie stets nur die
preußische Tyrannei in Deuschland brechen, das europäische Gleichgewicht
und Oestreichs alte Stellung in demselben wiederherstellen, den Weltfrieden
begründen wolle. Einige journalistische Landsknechte, welche stets sür den
Meistbietenden zu haben sind, gingen noch weiter. Sie predigten die Zer«
trümmerung Preußens, das ja sonst nicht eher ruhen werde, als bis es auch
die deutschen Länder Oestreichs an sich gerissen habe. Preußen sei ja über-


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[0304] Weniger laut, aber darum nicht weniger verständlich äußerten sich die französischen Sympathien der officiellen nichtmilitärischen Regionen. So nahm jenes amtliche Correspondenzbureau, welches den Zeitungen die Tele¬ gramme liefert, von Anfang an offen Partei. So lange der Schriftwechsel währte, wurden von Paris aus stets „Beweise, Widerlegungen" u. s. w. gemeldet, die Publicationen preußischerseits erschienen dagegen in den dürf¬ tigsten, mitunter das Wichtigste ignorirenden Auszügen. Um Stimmung zu machen war das Manöver nicht übel, da die Wiener Zeitungen ihr ohne¬ hin zum oberflächlichen „Anschauen" der politischen Neuigkeiten geneigtes Publicum durch ein Uebermaß an Stoff vollends gewöhnt haben, nur die telegraphischen Depeschen zu überfliegen und nach diesen sich ein Urtheil zu bilden. Aber die Methode wird auch lächerlicherweise beibehalten, nun es sich um die Meldung von Vorgängen auf den Schlachtfeldern handelt. In den oberöstreichischen und steirischen Curorten, deren Lokalblätter von dem Wiederabdruck und von Nachrichten a.us den Nesidenzzeitungen leben, beziehen die Fremden auf gemeinschaftliche Kosten die Depeschen jenes Bureau's, und wie von mehreren solcher Plätze berichtet wird, erhielten sie z. B. über die Affaire von Weißenburg nur die officiellen französischen Bulletins und die Mittheilungen der französischen Botschaft in Wien an ein derselben ergebenes Blatt. Die Zeitungen und Correspondenten, welche den Winken der „Pre߬ leitung" gehorchen, unterließen in ihren Variationen über das Thema der „aufmerksamen Neutralität" niemals, zu betonen, daß zwar Frankreich ebenso wie Preußen dem Staate Oestreich viel Schaden zugefügt habe, aber doch nicht so perfid wie Preußen zu Werke gegangen sei, und daß von dem französi¬ schen Siege Oesterreich nichts, von dem preußischen alles zu befürchten habe. Dergleichen Organe führten natürlich je nach ihrem Leserkreise verschiedene Sprache. Die in den niederen Classen verbreiteten scheuten sich nicht, die alte Fabel aufzutischen, der Kaiser Napoleon habe zu Villafranca dem Kaiser Franz Joseph treulose Anschläge Preußens enthüllt. Da war der rasche Friedensschluß nicht von der Besorgniß vor preußischer Intervention, sondern von dem Edelmuthe Napoleons dictirt; da schämte man sich nicht, denselben Mann zu preisen, weil er 1866 Oestreich „gerettet" habe! Da war Frank¬ reich, das bonapartistische Frankreich, der Träger der Civilisation, der Frei¬ heit, der Kämpfer für das Recht, welcher uneigennützig wie stets nur die preußische Tyrannei in Deuschland brechen, das europäische Gleichgewicht und Oestreichs alte Stellung in demselben wiederherstellen, den Weltfrieden begründen wolle. Einige journalistische Landsknechte, welche stets sür den Meistbietenden zu haben sind, gingen noch weiter. Sie predigten die Zer« trümmerung Preußens, das ja sonst nicht eher ruhen werde, als bis es auch die deutschen Länder Oestreichs an sich gerissen habe. Preußen sei ja über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/304>, abgerufen am 26.06.2024.