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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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aufzwingen. Wir sind heute Gott Lob nicht mehr auf die Hilfe eines russi¬
schen Kaisers angewiesen, der sich von der Überlegenheit Talleyrand's dazu
bereden ließ zu erklären, man habe nur mit Napoleon, nicht mit Frankreich
Krieg geführt. Wir werden nicht vergessen, daß die Bourbonen uns ihre
Restauration damit vergalten, einen geheimen Vertrag mit Rußland über die
Wiedererlangung der Rheingrenze zu schließen.

Uns kann es nur darauf ankommen, eine Regierung zu finden, die sähig
ist, die Verpflichtungen zu erfüllen, welche der Friedensschluß Frankreich auf¬
erlegen muß. Wie groß die Opfer sein werden, welche wir fordern können,
das überlassen wir vertrauensvoll unseren Staatsmännern, welche sich ebenso be¬
sonnen in der Stunde der Stege zeigen werden, als sie entschlossen in der Gefahr
handelten. Aber wie auch die Friedensbedingungen lauten werden, sie müssen
Deutschland und Europa die Sicherheit einer ruhigen Entwickelung auf lange
Zeit geben und wenn die Franzosen schwer an den Opfern tragen müssen,
welche ihnen die Octrohirung solcher Garantien auferlegen wird, so mögen
sie sich sagen, daß wenn der Kaiser den Krieg jahrelang geplant hat, die
Volksvertretung ihn jubelnd gebilligt und den wenigen muthigen Stimmen,
die wie Thiers sie beschworen, der Ueberlegung Raum zu geben, mit wüstem
.Geschrei Stillschweigen auferlegt hat. Das Land aber hat diese Volksvertre-
treter gewählt und wird die Unkosten ihres Unverstandes bezahlen müssen.

Noch zeigt sich kein Symptom des Erwachens aus jenem wüsten Chau¬
vinismus, der den Krieg herbeigeführt, noch heute wetteifern die leitenden
Blätter in Potestationen gegen einen unabhängigen deutschen Staat, und die
Liberia entblödet sich nicht, Köln als Garantie für den Besitz Straßburgs zu
fordern. Es wird also noch vernichtender Schläge bedürfen, um dieses unter
dem Imperialismus verwilderte Volk zur Besinnung zu bringen. Ein Friede,
der Frankreich seine bisherige Stellung läßt, ist unmöglich geworden, er hätte
nur die Bedeutung eines Waffenstillstandes; die gedemüthigte Nationaleitel¬
keit würde den ersten Vorwand ergreifen, unter günstigeren Chancen mit
Alliirten den Kampf wieder aufzunehmen. Wir werden Maß zu halten
wissen in unseren Forderungen, aber sie müssen Frankreich auf lange Zeit
stille machen, wenngleich wir es wohl schon heute in ruhigem Selbstvertrauen
aussprechen dürfen, daß fortan der Schwerpunkt der europäischen Politik
in Berlin liegen wird.




aufzwingen. Wir sind heute Gott Lob nicht mehr auf die Hilfe eines russi¬
schen Kaisers angewiesen, der sich von der Überlegenheit Talleyrand's dazu
bereden ließ zu erklären, man habe nur mit Napoleon, nicht mit Frankreich
Krieg geführt. Wir werden nicht vergessen, daß die Bourbonen uns ihre
Restauration damit vergalten, einen geheimen Vertrag mit Rußland über die
Wiedererlangung der Rheingrenze zu schließen.

Uns kann es nur darauf ankommen, eine Regierung zu finden, die sähig
ist, die Verpflichtungen zu erfüllen, welche der Friedensschluß Frankreich auf¬
erlegen muß. Wie groß die Opfer sein werden, welche wir fordern können,
das überlassen wir vertrauensvoll unseren Staatsmännern, welche sich ebenso be¬
sonnen in der Stunde der Stege zeigen werden, als sie entschlossen in der Gefahr
handelten. Aber wie auch die Friedensbedingungen lauten werden, sie müssen
Deutschland und Europa die Sicherheit einer ruhigen Entwickelung auf lange
Zeit geben und wenn die Franzosen schwer an den Opfern tragen müssen,
welche ihnen die Octrohirung solcher Garantien auferlegen wird, so mögen
sie sich sagen, daß wenn der Kaiser den Krieg jahrelang geplant hat, die
Volksvertretung ihn jubelnd gebilligt und den wenigen muthigen Stimmen,
die wie Thiers sie beschworen, der Ueberlegung Raum zu geben, mit wüstem
.Geschrei Stillschweigen auferlegt hat. Das Land aber hat diese Volksvertre-
treter gewählt und wird die Unkosten ihres Unverstandes bezahlen müssen.

Noch zeigt sich kein Symptom des Erwachens aus jenem wüsten Chau¬
vinismus, der den Krieg herbeigeführt, noch heute wetteifern die leitenden
Blätter in Potestationen gegen einen unabhängigen deutschen Staat, und die
Liberia entblödet sich nicht, Köln als Garantie für den Besitz Straßburgs zu
fordern. Es wird also noch vernichtender Schläge bedürfen, um dieses unter
dem Imperialismus verwilderte Volk zur Besinnung zu bringen. Ein Friede,
der Frankreich seine bisherige Stellung läßt, ist unmöglich geworden, er hätte
nur die Bedeutung eines Waffenstillstandes; die gedemüthigte Nationaleitel¬
keit würde den ersten Vorwand ergreifen, unter günstigeren Chancen mit
Alliirten den Kampf wieder aufzunehmen. Wir werden Maß zu halten
wissen in unseren Forderungen, aber sie müssen Frankreich auf lange Zeit
stille machen, wenngleich wir es wohl schon heute in ruhigem Selbstvertrauen
aussprechen dürfen, daß fortan der Schwerpunkt der europäischen Politik
in Berlin liegen wird.




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[0301] aufzwingen. Wir sind heute Gott Lob nicht mehr auf die Hilfe eines russi¬ schen Kaisers angewiesen, der sich von der Überlegenheit Talleyrand's dazu bereden ließ zu erklären, man habe nur mit Napoleon, nicht mit Frankreich Krieg geführt. Wir werden nicht vergessen, daß die Bourbonen uns ihre Restauration damit vergalten, einen geheimen Vertrag mit Rußland über die Wiedererlangung der Rheingrenze zu schließen. Uns kann es nur darauf ankommen, eine Regierung zu finden, die sähig ist, die Verpflichtungen zu erfüllen, welche der Friedensschluß Frankreich auf¬ erlegen muß. Wie groß die Opfer sein werden, welche wir fordern können, das überlassen wir vertrauensvoll unseren Staatsmännern, welche sich ebenso be¬ sonnen in der Stunde der Stege zeigen werden, als sie entschlossen in der Gefahr handelten. Aber wie auch die Friedensbedingungen lauten werden, sie müssen Deutschland und Europa die Sicherheit einer ruhigen Entwickelung auf lange Zeit geben und wenn die Franzosen schwer an den Opfern tragen müssen, welche ihnen die Octrohirung solcher Garantien auferlegen wird, so mögen sie sich sagen, daß wenn der Kaiser den Krieg jahrelang geplant hat, die Volksvertretung ihn jubelnd gebilligt und den wenigen muthigen Stimmen, die wie Thiers sie beschworen, der Ueberlegung Raum zu geben, mit wüstem .Geschrei Stillschweigen auferlegt hat. Das Land aber hat diese Volksvertre- treter gewählt und wird die Unkosten ihres Unverstandes bezahlen müssen. Noch zeigt sich kein Symptom des Erwachens aus jenem wüsten Chau¬ vinismus, der den Krieg herbeigeführt, noch heute wetteifern die leitenden Blätter in Potestationen gegen einen unabhängigen deutschen Staat, und die Liberia entblödet sich nicht, Köln als Garantie für den Besitz Straßburgs zu fordern. Es wird also noch vernichtender Schläge bedürfen, um dieses unter dem Imperialismus verwilderte Volk zur Besinnung zu bringen. Ein Friede, der Frankreich seine bisherige Stellung läßt, ist unmöglich geworden, er hätte nur die Bedeutung eines Waffenstillstandes; die gedemüthigte Nationaleitel¬ keit würde den ersten Vorwand ergreifen, unter günstigeren Chancen mit Alliirten den Kampf wieder aufzunehmen. Wir werden Maß zu halten wissen in unseren Forderungen, aber sie müssen Frankreich auf lange Zeit stille machen, wenngleich wir es wohl schon heute in ruhigem Selbstvertrauen aussprechen dürfen, daß fortan der Schwerpunkt der europäischen Politik in Berlin liegen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/301>, abgerufen am 26.06.2024.