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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Gelegenheiten. Die sehr prekäre Lage, in der man sich hinter der Demarca-
tionslinie von 1796 befand, wurde bald genug empfunden, und schon im
folgenden Jahre sah man sich genöthigt, umfassende Vorkehrungen gegen eine
Verletzung derselben durch die Franzosen zu treffen.

Die Betheiligung Scharnhorst's an diesen Arbeiten war es, die den
ersten Versuch veranlaßte, ihn in preußische Dienste zu ziehen. Der Herzog
Ferdinand von Braunschweig, als Commandant der combinirten Qbservations-
armee in Westfalen zum Schutz der Demarcationslinie. hatte Gelegenheit
gehabt, die hervorragenden Gaben des hannöverschen Officiers kennen zu
lernen; sein Generalstabschef, der Oberstlieutenant von Lecoq, war mit
Scharnhorst mehrfach in persönliche Berührung getreten. Durch diesen ließ
er ihn im Sommer 1797 unter vortheilhaften Bedingungen und mit dem
Hinweis auf bedeutende Chancen in der Zukunft eine Stelle als Major in
der preußischen Artillerie antragen.

Damals lehnte Scharnhorst ab und erwirkte sich durch diese Berufung
nur sein Avancement zum Oberstleutnant. Noch war er völlig entschlossen,
in Hannover zu bleiben, und noch im Sommer begann er, sein kleines un¬
weit von der Stadt gelegenes Gut Bordenau sich behaglicher einzurichten
und das verfallene Wohnhaus nach eigenem Plan neu aufzubauen. Er
schien mit dem heimathlichen Boden ganz fest verwachsen zu wollen.

Zwei Jahre später sehen wir seinen Entschluß verwandelt; in offen¬
barer Verbitterung verlangt er seinen Abschied in Hannover, um die preußi¬
schen Erbietungen, die von neuem an ihn ergangen waren, jetzt doch an¬
zunehmen.

So heilvoll diese Wendung in ihren Folgen werden sollte, so dürste
man sich über die Motive, welche Scharnhorst dazu brachten, doch vielleicht
etwas schärfer ausdrücken, als es der Verfasser unserer Biographie thut.

Man darf sagen: Gründe, die aus einer allgemeinen politischen Ansicht ent¬
sprangen, sind es nicht gewesen, wodurch Scharnhorst in preußische Dienste
geführt wurde; auch nicht etwa das Streben nach einem Wirkungskreis in
umfassenderer Sphäre -- sondern in der That der gerechte Zorn über be¬
leidigende Zurücksetzung. Man thut hier einen Blick in das Treiben der
herrschenden hannöverschen Junkercoterie, die nachmals so übel zu Falle
kommen sollte. So hoch und zweifellos das Verdienst Scharnhorst's. so an¬
erkannt seine Stellung als einer der begabtesten Officiere der Armee war,
so stand doch, wie es scheint, noch viel fester, daß das bürgerliche Talent
nur bis zu einer gewissen Staffel der militärischen Ehren und Aemter auf¬
steigen dürfe. Die Verleihung eines Regimentes, worauf er nach Rang "ut Alter
jetzt Anspruch hatte, ward ihm beharrlich verweigert. Es scheint zweifellos,
daß der Hinblick auf die niedere Geburt Scharnhorst's, auf seinen bürger-


Gelegenheiten. Die sehr prekäre Lage, in der man sich hinter der Demarca-
tionslinie von 1796 befand, wurde bald genug empfunden, und schon im
folgenden Jahre sah man sich genöthigt, umfassende Vorkehrungen gegen eine
Verletzung derselben durch die Franzosen zu treffen.

Die Betheiligung Scharnhorst's an diesen Arbeiten war es, die den
ersten Versuch veranlaßte, ihn in preußische Dienste zu ziehen. Der Herzog
Ferdinand von Braunschweig, als Commandant der combinirten Qbservations-
armee in Westfalen zum Schutz der Demarcationslinie. hatte Gelegenheit
gehabt, die hervorragenden Gaben des hannöverschen Officiers kennen zu
lernen; sein Generalstabschef, der Oberstlieutenant von Lecoq, war mit
Scharnhorst mehrfach in persönliche Berührung getreten. Durch diesen ließ
er ihn im Sommer 1797 unter vortheilhaften Bedingungen und mit dem
Hinweis auf bedeutende Chancen in der Zukunft eine Stelle als Major in
der preußischen Artillerie antragen.

Damals lehnte Scharnhorst ab und erwirkte sich durch diese Berufung
nur sein Avancement zum Oberstleutnant. Noch war er völlig entschlossen,
in Hannover zu bleiben, und noch im Sommer begann er, sein kleines un¬
weit von der Stadt gelegenes Gut Bordenau sich behaglicher einzurichten
und das verfallene Wohnhaus nach eigenem Plan neu aufzubauen. Er
schien mit dem heimathlichen Boden ganz fest verwachsen zu wollen.

Zwei Jahre später sehen wir seinen Entschluß verwandelt; in offen¬
barer Verbitterung verlangt er seinen Abschied in Hannover, um die preußi¬
schen Erbietungen, die von neuem an ihn ergangen waren, jetzt doch an¬
zunehmen.

So heilvoll diese Wendung in ihren Folgen werden sollte, so dürste
man sich über die Motive, welche Scharnhorst dazu brachten, doch vielleicht
etwas schärfer ausdrücken, als es der Verfasser unserer Biographie thut.

Man darf sagen: Gründe, die aus einer allgemeinen politischen Ansicht ent¬
sprangen, sind es nicht gewesen, wodurch Scharnhorst in preußische Dienste
geführt wurde; auch nicht etwa das Streben nach einem Wirkungskreis in
umfassenderer Sphäre — sondern in der That der gerechte Zorn über be¬
leidigende Zurücksetzung. Man thut hier einen Blick in das Treiben der
herrschenden hannöverschen Junkercoterie, die nachmals so übel zu Falle
kommen sollte. So hoch und zweifellos das Verdienst Scharnhorst's. so an¬
erkannt seine Stellung als einer der begabtesten Officiere der Armee war,
so stand doch, wie es scheint, noch viel fester, daß das bürgerliche Talent
nur bis zu einer gewissen Staffel der militärischen Ehren und Aemter auf¬
steigen dürfe. Die Verleihung eines Regimentes, worauf er nach Rang »ut Alter
jetzt Anspruch hatte, ward ihm beharrlich verweigert. Es scheint zweifellos,
daß der Hinblick auf die niedere Geburt Scharnhorst's, auf seinen bürger-


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[0255] Gelegenheiten. Die sehr prekäre Lage, in der man sich hinter der Demarca- tionslinie von 1796 befand, wurde bald genug empfunden, und schon im folgenden Jahre sah man sich genöthigt, umfassende Vorkehrungen gegen eine Verletzung derselben durch die Franzosen zu treffen. Die Betheiligung Scharnhorst's an diesen Arbeiten war es, die den ersten Versuch veranlaßte, ihn in preußische Dienste zu ziehen. Der Herzog Ferdinand von Braunschweig, als Commandant der combinirten Qbservations- armee in Westfalen zum Schutz der Demarcationslinie. hatte Gelegenheit gehabt, die hervorragenden Gaben des hannöverschen Officiers kennen zu lernen; sein Generalstabschef, der Oberstlieutenant von Lecoq, war mit Scharnhorst mehrfach in persönliche Berührung getreten. Durch diesen ließ er ihn im Sommer 1797 unter vortheilhaften Bedingungen und mit dem Hinweis auf bedeutende Chancen in der Zukunft eine Stelle als Major in der preußischen Artillerie antragen. Damals lehnte Scharnhorst ab und erwirkte sich durch diese Berufung nur sein Avancement zum Oberstleutnant. Noch war er völlig entschlossen, in Hannover zu bleiben, und noch im Sommer begann er, sein kleines un¬ weit von der Stadt gelegenes Gut Bordenau sich behaglicher einzurichten und das verfallene Wohnhaus nach eigenem Plan neu aufzubauen. Er schien mit dem heimathlichen Boden ganz fest verwachsen zu wollen. Zwei Jahre später sehen wir seinen Entschluß verwandelt; in offen¬ barer Verbitterung verlangt er seinen Abschied in Hannover, um die preußi¬ schen Erbietungen, die von neuem an ihn ergangen waren, jetzt doch an¬ zunehmen. So heilvoll diese Wendung in ihren Folgen werden sollte, so dürste man sich über die Motive, welche Scharnhorst dazu brachten, doch vielleicht etwas schärfer ausdrücken, als es der Verfasser unserer Biographie thut. Man darf sagen: Gründe, die aus einer allgemeinen politischen Ansicht ent¬ sprangen, sind es nicht gewesen, wodurch Scharnhorst in preußische Dienste geführt wurde; auch nicht etwa das Streben nach einem Wirkungskreis in umfassenderer Sphäre — sondern in der That der gerechte Zorn über be¬ leidigende Zurücksetzung. Man thut hier einen Blick in das Treiben der herrschenden hannöverschen Junkercoterie, die nachmals so übel zu Falle kommen sollte. So hoch und zweifellos das Verdienst Scharnhorst's. so an¬ erkannt seine Stellung als einer der begabtesten Officiere der Armee war, so stand doch, wie es scheint, noch viel fester, daß das bürgerliche Talent nur bis zu einer gewissen Staffel der militärischen Ehren und Aemter auf¬ steigen dürfe. Die Verleihung eines Regimentes, worauf er nach Rang »ut Alter jetzt Anspruch hatte, ward ihm beharrlich verweigert. Es scheint zweifellos, daß der Hinblick auf die niedere Geburt Scharnhorst's, auf seinen bürger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/255>, abgerufen am 26.06.2024.