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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Commandos, die sich die Reservisten für ihre Regimenter holten. Die Mann¬
schaft, welche ausstieg, drängte sich um die Offiziere, einer hielt den Offizieren
eine kleine Anrede und die übngen schrieen hoch.

Im Ganzen war auch hier ein ruhiges Geschäft, keine Ueberstürzung.
Auf einer Station fand ich mehrere hundert neue Bänke, welche zum Trup¬
pentransport in die leeren Packwagen gesetzt wurden; ich probirte sie. brei¬
tes Sitzbret, die Lehne etwas zurückgebogen, praktisch, die Leute können zur
Noth darauf schlafen. Dann kam auch einmal ein Güterzug mit schwerem
Schnauben: "80 Säcke. Frankfurt" -- Sie verstehen. -- Freilich in der Nacht
soll's lebhafter hergehen; Koch da in diesen Stunden ein Bürger und Fa¬
milienvater durch Pflichten in Anspruch genommen ist, so halte ich für poli¬
tisch, darüber weiter nichts mitzutheilen.

Nach den eingezogenen Reservisten und den Proviantzügen wurde es
ein wenig lebhafter auf den Bahnen. Aber auch hier starker Dampf und
wenig Pfeife. 23, 30, 35 Züge den Tag; wohin, wußten die Leute nicht
zu sagen, und die Offiziere lächelten verbindlich und sagten auch nichts, wäh¬
rend sie das Getränk tranken, das ihnen auf den Stationen angeboten
wurde. Da man in solcher Weise verhindert war, sich um die Aufstellung
der Armee zu kümmern, so mußte man seine Sorge aus kalten Kaffee und
Kriegscigarren concentriren. Alles wurde dankbar angenommen und für's
Vaterland getrunken und geraucht -- Blatt von verschiedener Güte. Es ist
erfreulich, daß ein hochverehrtes patriotisches Publicum, vor Anderen der
weibliche Bestandtheil des deutschen Volkes, sich in Kaffee und Semmeln zu-
vorkommend erweist, aber ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß
es auch noch andere Menschen gibt, welche ebenfalls eine öffentliche Aner¬
kennung und eine starke Belohnung sehr verdienen. Dies sind die Locomo-
tivführer, die Schaffner, die Beamten der Eisenbahnen. Was diesen Leuten
in diesen Tagen zugemuthet werden mußte, das ist geradezu über Men¬
schenkräfte. Viele werden das mit Leben und Gesundheit bezahlen.
Ob die Eisenbahngesellschaften für die armen Leute wenig oder gar
nichts thun, hängt davon ab, ob grade Männer mit einem warmen
Herzen in der Direction sitzen und die Finanzen an der Bahn gut bestellt
sind; im Ganzen wird's jämmerlich sein. Einen ordentlichen Recom-
pens bekommen diese ersten deutschen Opfer des Bonapartismus sicher
nicht, wenn nicht von Seiten des Staates und der freiwilligen Armeepflege
ihr Interesse in die Hand genommen wird. Sie sind in ihrer Art auch
Soldaten, welche im Dienst für das Vaterland auch strapazirt werden, ver¬
wundet werden und fallen; für ihre Hinterbliebenen ist es kein Unterschied,
ob es die Kugel that oder die Brustkrankheit. Deshalb muß gefordert werden,
daß sie aller Unterstützung theilhaftig werden, welche die Verwundeten im


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Commandos, die sich die Reservisten für ihre Regimenter holten. Die Mann¬
schaft, welche ausstieg, drängte sich um die Offiziere, einer hielt den Offizieren
eine kleine Anrede und die übngen schrieen hoch.

Im Ganzen war auch hier ein ruhiges Geschäft, keine Ueberstürzung.
Auf einer Station fand ich mehrere hundert neue Bänke, welche zum Trup¬
pentransport in die leeren Packwagen gesetzt wurden; ich probirte sie. brei¬
tes Sitzbret, die Lehne etwas zurückgebogen, praktisch, die Leute können zur
Noth darauf schlafen. Dann kam auch einmal ein Güterzug mit schwerem
Schnauben: „80 Säcke. Frankfurt" — Sie verstehen. — Freilich in der Nacht
soll's lebhafter hergehen; Koch da in diesen Stunden ein Bürger und Fa¬
milienvater durch Pflichten in Anspruch genommen ist, so halte ich für poli¬
tisch, darüber weiter nichts mitzutheilen.

Nach den eingezogenen Reservisten und den Proviantzügen wurde es
ein wenig lebhafter auf den Bahnen. Aber auch hier starker Dampf und
wenig Pfeife. 23, 30, 35 Züge den Tag; wohin, wußten die Leute nicht
zu sagen, und die Offiziere lächelten verbindlich und sagten auch nichts, wäh¬
rend sie das Getränk tranken, das ihnen auf den Stationen angeboten
wurde. Da man in solcher Weise verhindert war, sich um die Aufstellung
der Armee zu kümmern, so mußte man seine Sorge aus kalten Kaffee und
Kriegscigarren concentriren. Alles wurde dankbar angenommen und für's
Vaterland getrunken und geraucht — Blatt von verschiedener Güte. Es ist
erfreulich, daß ein hochverehrtes patriotisches Publicum, vor Anderen der
weibliche Bestandtheil des deutschen Volkes, sich in Kaffee und Semmeln zu-
vorkommend erweist, aber ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß
es auch noch andere Menschen gibt, welche ebenfalls eine öffentliche Aner¬
kennung und eine starke Belohnung sehr verdienen. Dies sind die Locomo-
tivführer, die Schaffner, die Beamten der Eisenbahnen. Was diesen Leuten
in diesen Tagen zugemuthet werden mußte, das ist geradezu über Men¬
schenkräfte. Viele werden das mit Leben und Gesundheit bezahlen.
Ob die Eisenbahngesellschaften für die armen Leute wenig oder gar
nichts thun, hängt davon ab, ob grade Männer mit einem warmen
Herzen in der Direction sitzen und die Finanzen an der Bahn gut bestellt
sind; im Ganzen wird's jämmerlich sein. Einen ordentlichen Recom-
pens bekommen diese ersten deutschen Opfer des Bonapartismus sicher
nicht, wenn nicht von Seiten des Staates und der freiwilligen Armeepflege
ihr Interesse in die Hand genommen wird. Sie sind in ihrer Art auch
Soldaten, welche im Dienst für das Vaterland auch strapazirt werden, ver¬
wundet werden und fallen; für ihre Hinterbliebenen ist es kein Unterschied,
ob es die Kugel that oder die Brustkrankheit. Deshalb muß gefordert werden,
daß sie aller Unterstützung theilhaftig werden, welche die Verwundeten im


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[0231] Commandos, die sich die Reservisten für ihre Regimenter holten. Die Mann¬ schaft, welche ausstieg, drängte sich um die Offiziere, einer hielt den Offizieren eine kleine Anrede und die übngen schrieen hoch. Im Ganzen war auch hier ein ruhiges Geschäft, keine Ueberstürzung. Auf einer Station fand ich mehrere hundert neue Bänke, welche zum Trup¬ pentransport in die leeren Packwagen gesetzt wurden; ich probirte sie. brei¬ tes Sitzbret, die Lehne etwas zurückgebogen, praktisch, die Leute können zur Noth darauf schlafen. Dann kam auch einmal ein Güterzug mit schwerem Schnauben: „80 Säcke. Frankfurt" — Sie verstehen. — Freilich in der Nacht soll's lebhafter hergehen; Koch da in diesen Stunden ein Bürger und Fa¬ milienvater durch Pflichten in Anspruch genommen ist, so halte ich für poli¬ tisch, darüber weiter nichts mitzutheilen. Nach den eingezogenen Reservisten und den Proviantzügen wurde es ein wenig lebhafter auf den Bahnen. Aber auch hier starker Dampf und wenig Pfeife. 23, 30, 35 Züge den Tag; wohin, wußten die Leute nicht zu sagen, und die Offiziere lächelten verbindlich und sagten auch nichts, wäh¬ rend sie das Getränk tranken, das ihnen auf den Stationen angeboten wurde. Da man in solcher Weise verhindert war, sich um die Aufstellung der Armee zu kümmern, so mußte man seine Sorge aus kalten Kaffee und Kriegscigarren concentriren. Alles wurde dankbar angenommen und für's Vaterland getrunken und geraucht — Blatt von verschiedener Güte. Es ist erfreulich, daß ein hochverehrtes patriotisches Publicum, vor Anderen der weibliche Bestandtheil des deutschen Volkes, sich in Kaffee und Semmeln zu- vorkommend erweist, aber ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß es auch noch andere Menschen gibt, welche ebenfalls eine öffentliche Aner¬ kennung und eine starke Belohnung sehr verdienen. Dies sind die Locomo- tivführer, die Schaffner, die Beamten der Eisenbahnen. Was diesen Leuten in diesen Tagen zugemuthet werden mußte, das ist geradezu über Men¬ schenkräfte. Viele werden das mit Leben und Gesundheit bezahlen. Ob die Eisenbahngesellschaften für die armen Leute wenig oder gar nichts thun, hängt davon ab, ob grade Männer mit einem warmen Herzen in der Direction sitzen und die Finanzen an der Bahn gut bestellt sind; im Ganzen wird's jämmerlich sein. Einen ordentlichen Recom- pens bekommen diese ersten deutschen Opfer des Bonapartismus sicher nicht, wenn nicht von Seiten des Staates und der freiwilligen Armeepflege ihr Interesse in die Hand genommen wird. Sie sind in ihrer Art auch Soldaten, welche im Dienst für das Vaterland auch strapazirt werden, ver¬ wundet werden und fallen; für ihre Hinterbliebenen ist es kein Unterschied, ob es die Kugel that oder die Brustkrankheit. Deshalb muß gefordert werden, daß sie aller Unterstützung theilhaftig werden, welche die Verwundeten im 29»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/231>, abgerufen am 28.07.2024.