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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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erwähnt wird. Nopoleon bewahrt sich eine Karte auf, die zu rechter Stunde
ausgespielt, um so sicherer Wirkung verspricht. Von seinen Panzerschiffen ver¬
weilen etliche vor Kopenhagen; täglich vielleicht erneut sich den rachedursti¬
gen Dänen der verlockende Anblick französischer Kriegsfahrzeuge; an dem
nützlichsten Proviant, an Ostseepiloten, wird das Jnselvolk die ritterlichen
Gäste aller Neutralität zum Trotz nicht darben lassen, und wer will darauf
rechnen, daß die Regierung Christians des IX. befähigt wäre, den Sturm
niederzuhalten, wenn der Pöbel des kopenhagener Matrosenviertels, der
roheste der Welt, den Krieg fordert zur Wiedererlangung Schleswigs.

Eine zweite Möglichkeit droht Italien zu bieten, aber es ist, wie man
vermuthet, in der umgekehrten Lage. Am bösen Willen des Königs vom
geschenkten Lande werden wir nicht zweifeln dürfen. Dank hat nie die
Politik der Kabinete bestimmt, über die Erfolge des Jahres 1866 ist quittirt,
Preußen ist weit und Frankreich ist nah; französische Ketten am Arm und
Bein scheint Italien Politik der "freisten Hand" zu spielen; wir wundern
uns nicht, wenn die "bravsten der Zuaven" bereit wären, dem Befreier der
Lombardei Heerfolge zu thun; hat doch das widerliche Drei-Schädel-Fest zu
Solferino vor wenig Wochen noch der Welt verkündet, daß aller Groll der
Kämpfer von 1859 begraben ist. Welchen Preis Victor Emanuel zu erwar¬
ten hat, ob Rom oder nur die Ehre, als Tantalus der zweite vor der
Leostadt Schildwache zu stehen, wissen wir nicht; sicher scheint uns nur
zweierlei: mit einer neuen französischen Allianz verscherzt er wohl für immer
die Möglichkeit, das Stammland seines Hauses wiederzuerwerben, wonach der
Ehrgeiz jeder ehrenwerthen italienischen Politik gerichtet sein müßte, und
-- daß er Hinausmarschire. um Frankreich beizustehn, verbietet ihm der
Drudenfuß auf seiner Schwelle, die Aktionspartei, hinter der diesmal der
größte Theil der urtheilsfähigem Italiener steht. Der König von
Italien riskirt den letzten Nest der Popularität seiner Dynastie, wenn er den
Lockungen gegen die Neutralität folgt, und im Falle des französischen Sieges
würde das wichtigste Resultat sein, daß Frankreich die Herrschaft im mittel¬
ländischen Meere -- das alte Postulat der geschichtlichen Erinnerungen
Italiens und sein natürliches Anrecht -- nur noch unbestrittener durchführte.

Die Kräftigung Dänemarks durch Frankreich in der Ostsee und die
Suprematie der Flagge Frankreichs in den Gewässern von Algier bis zur
französischen Schleuse von Suez würden, wenn die befürchteten Bundes¬
genossenschaften sich verwirklichen, diejenigen möglichen Ergebnisse des Kampfes
sein, die vor allen andern Mächten England an unsere Seite trieben. Ob
Oestreich seine Neutralität streng beobachtet, steht, wie wir glauben, für uns
in zweiter Linie; es wird durch Rußland jedenfalls in Schach gehalten, so
daß unsere Süd- und unsere Westnachbarn sich im politischen Calcül einander
aufheben. England aber war vermöge seiner Lage, durch die Eigenart seiner


erwähnt wird. Nopoleon bewahrt sich eine Karte auf, die zu rechter Stunde
ausgespielt, um so sicherer Wirkung verspricht. Von seinen Panzerschiffen ver¬
weilen etliche vor Kopenhagen; täglich vielleicht erneut sich den rachedursti¬
gen Dänen der verlockende Anblick französischer Kriegsfahrzeuge; an dem
nützlichsten Proviant, an Ostseepiloten, wird das Jnselvolk die ritterlichen
Gäste aller Neutralität zum Trotz nicht darben lassen, und wer will darauf
rechnen, daß die Regierung Christians des IX. befähigt wäre, den Sturm
niederzuhalten, wenn der Pöbel des kopenhagener Matrosenviertels, der
roheste der Welt, den Krieg fordert zur Wiedererlangung Schleswigs.

Eine zweite Möglichkeit droht Italien zu bieten, aber es ist, wie man
vermuthet, in der umgekehrten Lage. Am bösen Willen des Königs vom
geschenkten Lande werden wir nicht zweifeln dürfen. Dank hat nie die
Politik der Kabinete bestimmt, über die Erfolge des Jahres 1866 ist quittirt,
Preußen ist weit und Frankreich ist nah; französische Ketten am Arm und
Bein scheint Italien Politik der „freisten Hand" zu spielen; wir wundern
uns nicht, wenn die „bravsten der Zuaven" bereit wären, dem Befreier der
Lombardei Heerfolge zu thun; hat doch das widerliche Drei-Schädel-Fest zu
Solferino vor wenig Wochen noch der Welt verkündet, daß aller Groll der
Kämpfer von 1859 begraben ist. Welchen Preis Victor Emanuel zu erwar¬
ten hat, ob Rom oder nur die Ehre, als Tantalus der zweite vor der
Leostadt Schildwache zu stehen, wissen wir nicht; sicher scheint uns nur
zweierlei: mit einer neuen französischen Allianz verscherzt er wohl für immer
die Möglichkeit, das Stammland seines Hauses wiederzuerwerben, wonach der
Ehrgeiz jeder ehrenwerthen italienischen Politik gerichtet sein müßte, und
— daß er Hinausmarschire. um Frankreich beizustehn, verbietet ihm der
Drudenfuß auf seiner Schwelle, die Aktionspartei, hinter der diesmal der
größte Theil der urtheilsfähigem Italiener steht. Der König von
Italien riskirt den letzten Nest der Popularität seiner Dynastie, wenn er den
Lockungen gegen die Neutralität folgt, und im Falle des französischen Sieges
würde das wichtigste Resultat sein, daß Frankreich die Herrschaft im mittel¬
ländischen Meere — das alte Postulat der geschichtlichen Erinnerungen
Italiens und sein natürliches Anrecht — nur noch unbestrittener durchführte.

Die Kräftigung Dänemarks durch Frankreich in der Ostsee und die
Suprematie der Flagge Frankreichs in den Gewässern von Algier bis zur
französischen Schleuse von Suez würden, wenn die befürchteten Bundes¬
genossenschaften sich verwirklichen, diejenigen möglichen Ergebnisse des Kampfes
sein, die vor allen andern Mächten England an unsere Seite trieben. Ob
Oestreich seine Neutralität streng beobachtet, steht, wie wir glauben, für uns
in zweiter Linie; es wird durch Rußland jedenfalls in Schach gehalten, so
daß unsere Süd- und unsere Westnachbarn sich im politischen Calcül einander
aufheben. England aber war vermöge seiner Lage, durch die Eigenart seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/206>, abgerufen am 28.07.2024.