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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Männer, die ohne Sarg hier eingescharrt wurden; sie scheinen mit einer ge¬
wissen Hast oder Sorglosigkeit in die Grube geworfen worden zu sein, denn
ihre Lage ist unregelmäßig; einige liegen halb auf einander gekrümmt. Die
einen haben den Mund weit aufgerissen, andere beißen die Zähne krampf¬
haft zusammen. Natürlich wurden sie sofort zu Märtyrern gestempelt. Man
ging, wie es scheint, von der kühnen Voraussetzung aus, daß die von den
wilden Thieren zerrissenen Gladiatoren oder Gefangenen mitten im Circus
begraben zu werden pflegten. Unserer Ansicht nach stammen diese Gerippe
aus späterer Zeit.

Der Ankauf des Bodens, auf dem der Circus sich befindet, und die
Fortsetzung der Ausgrabungen würden selbstverständlich gewesen sein, wenn
die Kosten nicht so kolossal gewesen wären. Die Omnibusgesellschaft allein
verlangte für ihr Grundstück, das allerdings durch seine günstige Lage einen
bedeutenden Werth hat. 6 bis 800.000 Francs. Die noch nicht freigelegte Hälfte
des Amphitheaters ruht, wie bemerkt, unter einem Kloster und dessen Gärten.
Schon die Erwerbung des Bodens und die ersten Erdarbeiten hätten mehr
als zwei Millionen beansprucht. Außerdem wären kleine Restaurationen
nothwendig gewesen, der Platz um den Circus hätte gesäubert, decorirt,
Aussichtspersonal angestellt werden müssen -- bei der jetzigen Finanzlage
war nicht daran zu denken, die erforderlichen Summen von der städtischen
Verwaltung zu verlangen, und für archäologische Zwecke zwei Millionen
durch Privatbeiträge aufzutreiben, wird wohl in der ganzen Welt, nicht nur
in Frankreich, schwer halten. Dem Ausschusse, der die Leitung der Aus^
gravungen übernommen, muß man den Ruhm lassen, daß er Alles versucht
hat, um die Theilnahme seiner Pariser Mitbürger für den Pariser Circus
zu erregen, ihre Wißbegierde und ihr Interesse zu reizen. An Sachkenntniß
scheinen seine Mitglieder recht arm gewesen zu sein, aber ihr guter Wille
war sehr groß. Sie schrieen über Wandalismus und Barbarei im neunzehn¬
ten Jahrhundert. -- freilich zu bedauern ist es, daß der Circus nicht erhal¬
ten werden kann, man muß aber auch bedenken, ob der wissenschaftliche oder
künstlerische Gewinn zu den verlangten Opfern im Verhältnisse stünde, und
darauf müssen wir mit Nein antworten. Wenn, wie wir hören, der Omni¬
bus-Gesellschaft wirklich die geforderte Summe angeboten worden ist und
die Verhandlungen blos an der Halsstarrigkeit und dem bösen Willen der¬
selben gescheitert sind, dann müßten wir allerdings dies Verfahren als Van-
dalismus bezeichnen. Es ist aber noch sehr fraglich, ob überhaupt schon
800,000 Francs zusammengekommen waren.

Die im Circus gefundenen Gegenstände, also die Münzen, ein Paar
gewöhnliche irdene Töpfe und Bronzenadeln. Ziegel und die wenigen In¬
schriften und Säulenkapitelle werden in dem städtischen Muse'e Carnavalet
eine Stätte finden.




Berliner Briefe.
I.

Sie haben mir erlaubt, als wir uns neulich in Leipzig trennten, fröh¬
lich ernst bewegt^ von dem Geiste, den ein unerwartetes, ungeheures Ge¬
schick über unser ganzes Volk ausgestoßen, Ihren Blättern von hier


Grenzboten III. 1870 25

Männer, die ohne Sarg hier eingescharrt wurden; sie scheinen mit einer ge¬
wissen Hast oder Sorglosigkeit in die Grube geworfen worden zu sein, denn
ihre Lage ist unregelmäßig; einige liegen halb auf einander gekrümmt. Die
einen haben den Mund weit aufgerissen, andere beißen die Zähne krampf¬
haft zusammen. Natürlich wurden sie sofort zu Märtyrern gestempelt. Man
ging, wie es scheint, von der kühnen Voraussetzung aus, daß die von den
wilden Thieren zerrissenen Gladiatoren oder Gefangenen mitten im Circus
begraben zu werden pflegten. Unserer Ansicht nach stammen diese Gerippe
aus späterer Zeit.

Der Ankauf des Bodens, auf dem der Circus sich befindet, und die
Fortsetzung der Ausgrabungen würden selbstverständlich gewesen sein, wenn
die Kosten nicht so kolossal gewesen wären. Die Omnibusgesellschaft allein
verlangte für ihr Grundstück, das allerdings durch seine günstige Lage einen
bedeutenden Werth hat. 6 bis 800.000 Francs. Die noch nicht freigelegte Hälfte
des Amphitheaters ruht, wie bemerkt, unter einem Kloster und dessen Gärten.
Schon die Erwerbung des Bodens und die ersten Erdarbeiten hätten mehr
als zwei Millionen beansprucht. Außerdem wären kleine Restaurationen
nothwendig gewesen, der Platz um den Circus hätte gesäubert, decorirt,
Aussichtspersonal angestellt werden müssen — bei der jetzigen Finanzlage
war nicht daran zu denken, die erforderlichen Summen von der städtischen
Verwaltung zu verlangen, und für archäologische Zwecke zwei Millionen
durch Privatbeiträge aufzutreiben, wird wohl in der ganzen Welt, nicht nur
in Frankreich, schwer halten. Dem Ausschusse, der die Leitung der Aus^
gravungen übernommen, muß man den Ruhm lassen, daß er Alles versucht
hat, um die Theilnahme seiner Pariser Mitbürger für den Pariser Circus
zu erregen, ihre Wißbegierde und ihr Interesse zu reizen. An Sachkenntniß
scheinen seine Mitglieder recht arm gewesen zu sein, aber ihr guter Wille
war sehr groß. Sie schrieen über Wandalismus und Barbarei im neunzehn¬
ten Jahrhundert. — freilich zu bedauern ist es, daß der Circus nicht erhal¬
ten werden kann, man muß aber auch bedenken, ob der wissenschaftliche oder
künstlerische Gewinn zu den verlangten Opfern im Verhältnisse stünde, und
darauf müssen wir mit Nein antworten. Wenn, wie wir hören, der Omni¬
bus-Gesellschaft wirklich die geforderte Summe angeboten worden ist und
die Verhandlungen blos an der Halsstarrigkeit und dem bösen Willen der¬
selben gescheitert sind, dann müßten wir allerdings dies Verfahren als Van-
dalismus bezeichnen. Es ist aber noch sehr fraglich, ob überhaupt schon
800,000 Francs zusammengekommen waren.

Die im Circus gefundenen Gegenstände, also die Münzen, ein Paar
gewöhnliche irdene Töpfe und Bronzenadeln. Ziegel und die wenigen In¬
schriften und Säulenkapitelle werden in dem städtischen Muse'e Carnavalet
eine Stätte finden.




Berliner Briefe.
I.

Sie haben mir erlaubt, als wir uns neulich in Leipzig trennten, fröh¬
lich ernst bewegt^ von dem Geiste, den ein unerwartetes, ungeheures Ge¬
schick über unser ganzes Volk ausgestoßen, Ihren Blättern von hier


Grenzboten III. 1870 25
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[0201] Männer, die ohne Sarg hier eingescharrt wurden; sie scheinen mit einer ge¬ wissen Hast oder Sorglosigkeit in die Grube geworfen worden zu sein, denn ihre Lage ist unregelmäßig; einige liegen halb auf einander gekrümmt. Die einen haben den Mund weit aufgerissen, andere beißen die Zähne krampf¬ haft zusammen. Natürlich wurden sie sofort zu Märtyrern gestempelt. Man ging, wie es scheint, von der kühnen Voraussetzung aus, daß die von den wilden Thieren zerrissenen Gladiatoren oder Gefangenen mitten im Circus begraben zu werden pflegten. Unserer Ansicht nach stammen diese Gerippe aus späterer Zeit. Der Ankauf des Bodens, auf dem der Circus sich befindet, und die Fortsetzung der Ausgrabungen würden selbstverständlich gewesen sein, wenn die Kosten nicht so kolossal gewesen wären. Die Omnibusgesellschaft allein verlangte für ihr Grundstück, das allerdings durch seine günstige Lage einen bedeutenden Werth hat. 6 bis 800.000 Francs. Die noch nicht freigelegte Hälfte des Amphitheaters ruht, wie bemerkt, unter einem Kloster und dessen Gärten. Schon die Erwerbung des Bodens und die ersten Erdarbeiten hätten mehr als zwei Millionen beansprucht. Außerdem wären kleine Restaurationen nothwendig gewesen, der Platz um den Circus hätte gesäubert, decorirt, Aussichtspersonal angestellt werden müssen — bei der jetzigen Finanzlage war nicht daran zu denken, die erforderlichen Summen von der städtischen Verwaltung zu verlangen, und für archäologische Zwecke zwei Millionen durch Privatbeiträge aufzutreiben, wird wohl in der ganzen Welt, nicht nur in Frankreich, schwer halten. Dem Ausschusse, der die Leitung der Aus^ gravungen übernommen, muß man den Ruhm lassen, daß er Alles versucht hat, um die Theilnahme seiner Pariser Mitbürger für den Pariser Circus zu erregen, ihre Wißbegierde und ihr Interesse zu reizen. An Sachkenntniß scheinen seine Mitglieder recht arm gewesen zu sein, aber ihr guter Wille war sehr groß. Sie schrieen über Wandalismus und Barbarei im neunzehn¬ ten Jahrhundert. — freilich zu bedauern ist es, daß der Circus nicht erhal¬ ten werden kann, man muß aber auch bedenken, ob der wissenschaftliche oder künstlerische Gewinn zu den verlangten Opfern im Verhältnisse stünde, und darauf müssen wir mit Nein antworten. Wenn, wie wir hören, der Omni¬ bus-Gesellschaft wirklich die geforderte Summe angeboten worden ist und die Verhandlungen blos an der Halsstarrigkeit und dem bösen Willen der¬ selben gescheitert sind, dann müßten wir allerdings dies Verfahren als Van- dalismus bezeichnen. Es ist aber noch sehr fraglich, ob überhaupt schon 800,000 Francs zusammengekommen waren. Die im Circus gefundenen Gegenstände, also die Münzen, ein Paar gewöhnliche irdene Töpfe und Bronzenadeln. Ziegel und die wenigen In¬ schriften und Säulenkapitelle werden in dem städtischen Muse'e Carnavalet eine Stätte finden. Berliner Briefe. I. Sie haben mir erlaubt, als wir uns neulich in Leipzig trennten, fröh¬ lich ernst bewegt^ von dem Geiste, den ein unerwartetes, ungeheures Ge¬ schick über unser ganzes Volk ausgestoßen, Ihren Blättern von hier Grenzboten III. 1870 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/201>, abgerufen am 26.06.2024.