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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Zur Zeit der Husfeier im September v. I. hatten sich in Petersburg alle
dort anwesenden Czechen, Mähren, galizischen und ungarischen Russen. Ser¬
ben, Montenegriner :c. in einem Gasthause versammelt, um das S00jährige
Jubiläum des "heiligen Märtyrers" zu begehen. Das Slaven Comite! sandte
folgende Depesche nach Prag:

"Gruß den Brüdern, welche das Andenken ihres größten Volkshelden,
des besten Ruhmes des Slaventhums, des direkten Nachfolgers Christi feiern!
Möge die reine Lehre des heil. Märtyrers, des Predigers der Brüderlichkeit
und Freiheit, sich im Volksbewußtsein befestigen! Möge der Name Hus die
Bande des czechisch-mährischen Volkes mit allen slavischen Völkern und unserer
ganzen rechtgläubigen Welt, die mit der Lehre Hussens sympathisirte, Hiero-
nymus in ihre Gemeinschaft aufnahm und ihre Söhne unter die Fahnen
Ziska's und Prokop's sendete, noch befestigen. Wir bitten einen aus Hussinetz
gebürtigen armen Knaben auszuwählen, welcher auf Rechnung der Se. Peters¬
burger Abtheilung des Slaven-Unterstützungs-Comite's erzogen werden soll,
zu welchem Zwecke dieselbe 300 Gulden anweist."

Die Comite's sammeln bedeutende Gelder, wie z. B. das Petersburger
Filial-Comite' in zwei Jahren bereits ein Stammkapital von 15000 S. R.
beisammen hatte.

Mit diesen Mitteln wird außer für Volksschriften im panslavistischen
Interesse jetzt auch für die kirchlichen und Unterrichts-Bedürfnisse, nament¬
lich der unter türkischer Herrschaft stehenden slavischen Stämme, Sorge ge¬
tragen. Ebenso vermittelt nach den Mittheilungen der Ostseezeitung das
Comite Anstellungen für junge slavische Geistliche in Rußland und für rus¬
sisch-orthodoxe Geistliche in Bulgarien, Serbien und Bosnien, macht an grie¬
chisch-slavische Kirchen reiche Geschenke an heiligen Gerätschaften und geist¬
lichen Gewändern, und hat zur Errichtung von Volksschulen in Bosnien
zunächst die Summe von 3000 S. R. bestimmt. Die durch Vermittelung des
Comite's in der Türkei angestellten russisch-orthodoxen Geistlichen wirken zu¬
gleich als Agenten desselben für die panslavistische Propaganda. Mitunter
wagt man es auch, die Ideen ganz offen auszusprechen. Zur Zeit des
vorjährigen Aufstandes in Dalmatien z. B. sagte der "Golos" geradezu:
"Wir Russen machen kein Hehl daraus, daß wir unsere Stamm- und Glau¬
bensgenossen befreit zu sehen wünschen, aber wir glauben, daß ihre Befreiung
nicht durch vereinzelte lokale Aufstände, die durch die vereinigte Macht der
Feinde unterdrückt werden könne, bewirkt werden wird, sondern durch die
gleichzeitige Erhebung aller südslavischen Völkerschaften, die zur rechten Zeit
zu unterstützen wir für unsere Pflicht halten. Bis dahin müssen wir die
Slaven von allen unüberlegten Aufstands versuchen, die nur zur Schwächung der
eigenen Kraft führen, zurückhalten. Dies Alles aber bezieht sich selbstverständ-


Zur Zeit der Husfeier im September v. I. hatten sich in Petersburg alle
dort anwesenden Czechen, Mähren, galizischen und ungarischen Russen. Ser¬
ben, Montenegriner :c. in einem Gasthause versammelt, um das S00jährige
Jubiläum des „heiligen Märtyrers" zu begehen. Das Slaven Comite! sandte
folgende Depesche nach Prag:

„Gruß den Brüdern, welche das Andenken ihres größten Volkshelden,
des besten Ruhmes des Slaventhums, des direkten Nachfolgers Christi feiern!
Möge die reine Lehre des heil. Märtyrers, des Predigers der Brüderlichkeit
und Freiheit, sich im Volksbewußtsein befestigen! Möge der Name Hus die
Bande des czechisch-mährischen Volkes mit allen slavischen Völkern und unserer
ganzen rechtgläubigen Welt, die mit der Lehre Hussens sympathisirte, Hiero-
nymus in ihre Gemeinschaft aufnahm und ihre Söhne unter die Fahnen
Ziska's und Prokop's sendete, noch befestigen. Wir bitten einen aus Hussinetz
gebürtigen armen Knaben auszuwählen, welcher auf Rechnung der Se. Peters¬
burger Abtheilung des Slaven-Unterstützungs-Comite's erzogen werden soll,
zu welchem Zwecke dieselbe 300 Gulden anweist."

Die Comite's sammeln bedeutende Gelder, wie z. B. das Petersburger
Filial-Comite' in zwei Jahren bereits ein Stammkapital von 15000 S. R.
beisammen hatte.

Mit diesen Mitteln wird außer für Volksschriften im panslavistischen
Interesse jetzt auch für die kirchlichen und Unterrichts-Bedürfnisse, nament¬
lich der unter türkischer Herrschaft stehenden slavischen Stämme, Sorge ge¬
tragen. Ebenso vermittelt nach den Mittheilungen der Ostseezeitung das
Comite Anstellungen für junge slavische Geistliche in Rußland und für rus¬
sisch-orthodoxe Geistliche in Bulgarien, Serbien und Bosnien, macht an grie¬
chisch-slavische Kirchen reiche Geschenke an heiligen Gerätschaften und geist¬
lichen Gewändern, und hat zur Errichtung von Volksschulen in Bosnien
zunächst die Summe von 3000 S. R. bestimmt. Die durch Vermittelung des
Comite's in der Türkei angestellten russisch-orthodoxen Geistlichen wirken zu¬
gleich als Agenten desselben für die panslavistische Propaganda. Mitunter
wagt man es auch, die Ideen ganz offen auszusprechen. Zur Zeit des
vorjährigen Aufstandes in Dalmatien z. B. sagte der „Golos" geradezu:
„Wir Russen machen kein Hehl daraus, daß wir unsere Stamm- und Glau¬
bensgenossen befreit zu sehen wünschen, aber wir glauben, daß ihre Befreiung
nicht durch vereinzelte lokale Aufstände, die durch die vereinigte Macht der
Feinde unterdrückt werden könne, bewirkt werden wird, sondern durch die
gleichzeitige Erhebung aller südslavischen Völkerschaften, die zur rechten Zeit
zu unterstützen wir für unsere Pflicht halten. Bis dahin müssen wir die
Slaven von allen unüberlegten Aufstands versuchen, die nur zur Schwächung der
eigenen Kraft führen, zurückhalten. Dies Alles aber bezieht sich selbstverständ-


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[0018] Zur Zeit der Husfeier im September v. I. hatten sich in Petersburg alle dort anwesenden Czechen, Mähren, galizischen und ungarischen Russen. Ser¬ ben, Montenegriner :c. in einem Gasthause versammelt, um das S00jährige Jubiläum des „heiligen Märtyrers" zu begehen. Das Slaven Comite! sandte folgende Depesche nach Prag: „Gruß den Brüdern, welche das Andenken ihres größten Volkshelden, des besten Ruhmes des Slaventhums, des direkten Nachfolgers Christi feiern! Möge die reine Lehre des heil. Märtyrers, des Predigers der Brüderlichkeit und Freiheit, sich im Volksbewußtsein befestigen! Möge der Name Hus die Bande des czechisch-mährischen Volkes mit allen slavischen Völkern und unserer ganzen rechtgläubigen Welt, die mit der Lehre Hussens sympathisirte, Hiero- nymus in ihre Gemeinschaft aufnahm und ihre Söhne unter die Fahnen Ziska's und Prokop's sendete, noch befestigen. Wir bitten einen aus Hussinetz gebürtigen armen Knaben auszuwählen, welcher auf Rechnung der Se. Peters¬ burger Abtheilung des Slaven-Unterstützungs-Comite's erzogen werden soll, zu welchem Zwecke dieselbe 300 Gulden anweist." Die Comite's sammeln bedeutende Gelder, wie z. B. das Petersburger Filial-Comite' in zwei Jahren bereits ein Stammkapital von 15000 S. R. beisammen hatte. Mit diesen Mitteln wird außer für Volksschriften im panslavistischen Interesse jetzt auch für die kirchlichen und Unterrichts-Bedürfnisse, nament¬ lich der unter türkischer Herrschaft stehenden slavischen Stämme, Sorge ge¬ tragen. Ebenso vermittelt nach den Mittheilungen der Ostseezeitung das Comite Anstellungen für junge slavische Geistliche in Rußland und für rus¬ sisch-orthodoxe Geistliche in Bulgarien, Serbien und Bosnien, macht an grie¬ chisch-slavische Kirchen reiche Geschenke an heiligen Gerätschaften und geist¬ lichen Gewändern, und hat zur Errichtung von Volksschulen in Bosnien zunächst die Summe von 3000 S. R. bestimmt. Die durch Vermittelung des Comite's in der Türkei angestellten russisch-orthodoxen Geistlichen wirken zu¬ gleich als Agenten desselben für die panslavistische Propaganda. Mitunter wagt man es auch, die Ideen ganz offen auszusprechen. Zur Zeit des vorjährigen Aufstandes in Dalmatien z. B. sagte der „Golos" geradezu: „Wir Russen machen kein Hehl daraus, daß wir unsere Stamm- und Glau¬ bensgenossen befreit zu sehen wünschen, aber wir glauben, daß ihre Befreiung nicht durch vereinzelte lokale Aufstände, die durch die vereinigte Macht der Feinde unterdrückt werden könne, bewirkt werden wird, sondern durch die gleichzeitige Erhebung aller südslavischen Völkerschaften, die zur rechten Zeit zu unterstützen wir für unsere Pflicht halten. Bis dahin müssen wir die Slaven von allen unüberlegten Aufstands versuchen, die nur zur Schwächung der eigenen Kraft führen, zurückhalten. Dies Alles aber bezieht sich selbstverständ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/18>, abgerufen am 06.07.2024.