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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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-- das mag wahr sein, deshalb ist's gut, daß wir sprechen lernen, ehe wir
schwer auszusprechendes zu sagen haben, aber nicht mit Redensarten, sondern
mit natürlich einfachen Worten, ohne "demungeachtet", "zwar" und "nichts¬
destoweniger" wie sie die kindliche Rede nicht braucht, so wenig als allen
harmonischen, enharmonischen und unharmonisch-melodielosen Dunst unseres
unkindlichen musikalischen Jungthums. Mit dem harmonisch unklaren Wesen
geht das metrisch unklare gleichen Weg, ja es ist wohl innerlichst Eins mit
ihm. Für gesundes, selbständiges Metrum ist der Sinn so wenig da als für
gesunde Harmonie, man hört rhythmische Gruppen und Phrasen, aber keine
verständlichen Perioden. Wie es bei Wagner in den Accorden herumfaselt,
ebenso auch im Metrischen; könnte man nur solche Absurditäten, wie sie so
häufig vorkommen, auf irgend eine andere sichtbare oder handgreifliche Weise
darstellen, das Kunstnichts müßte auch dem Bornirtesten offenbar werden in
diesem "Gebühren". -- Um dieses Zustandes willen ist es nun auch gar sehr
erfreulich, daß Ihr Buch über Mozart eben jetzt kommt. Es gibt eine Art
verzerrte Figuren, die sich in krummen Spiegeln gerad zeigen, so die neue
Musik in der neuen Kritik, das Gerade macht diese krumm, das Krumme
gerad; für sie wird auch ein Mozartleben nichts Belehrendes haben können,
sie läßt ja diesen nur gelten als groß für seine kleine Zeit, bevor das neue
Licht aufging, alles Dagewesene vor ihm zu verdunkeln. Wenn nun mit
diesem neuen Licht Beethoven gemeint wäre, so möchte man es als einen
einseitigen bornirten Enthusiasmus, der in seinem großen Gegenstande eine
Rechtfertigung findet, gelten lassen, denn es gehört mehr echter Kunstsinn
dazu, die Größe Mozart's als Beethoven's zu erkennen. Es gibt eine Durch¬
gangsperiode, wo der Fidelio den Don Juan zurückstellen kann, wo man
sich gern auf's Aeußerste mag aufregen und anspannen lassen, darin das
Höchste setzt und das durchgebildetere, geebnetere Kunstwerk für weniger
poetisch hält. Diesen Beethoven aber meinen jene, wie wir wissen, nicht,
sondern Spätere, die das ausgeführt haben, was Beethoven wollte, aber
noch nicht konnte, was er nur in seinen letzten Tagen angestrebt hat. Neulich
ist die erste Symphonie im Gewandhausconcert gespielt worden und hat das
größte Vergnügen gemacht; die neue Zeitschrift ist aber indignirt, daß man
so Veraltetes, Philisterhaftes zu Beethovens Schande habe hervorsuchen
können. Ich freue mich nun auf die Fortsetzung des Mozart, die uns ihn
in bekannteren Regionen weiter führen wird; möchten Sie Zeit haben, recht
rasch damit vorzugehen, und dann, wenn dieser vollendet ist, an den Beethoven;
endlich auch an den Haydn -- es wäre gar zu schön, diese drei von Ihnen
zu haben.


M. Hauptmann.
11*

— das mag wahr sein, deshalb ist's gut, daß wir sprechen lernen, ehe wir
schwer auszusprechendes zu sagen haben, aber nicht mit Redensarten, sondern
mit natürlich einfachen Worten, ohne „demungeachtet", „zwar" und „nichts¬
destoweniger" wie sie die kindliche Rede nicht braucht, so wenig als allen
harmonischen, enharmonischen und unharmonisch-melodielosen Dunst unseres
unkindlichen musikalischen Jungthums. Mit dem harmonisch unklaren Wesen
geht das metrisch unklare gleichen Weg, ja es ist wohl innerlichst Eins mit
ihm. Für gesundes, selbständiges Metrum ist der Sinn so wenig da als für
gesunde Harmonie, man hört rhythmische Gruppen und Phrasen, aber keine
verständlichen Perioden. Wie es bei Wagner in den Accorden herumfaselt,
ebenso auch im Metrischen; könnte man nur solche Absurditäten, wie sie so
häufig vorkommen, auf irgend eine andere sichtbare oder handgreifliche Weise
darstellen, das Kunstnichts müßte auch dem Bornirtesten offenbar werden in
diesem „Gebühren". — Um dieses Zustandes willen ist es nun auch gar sehr
erfreulich, daß Ihr Buch über Mozart eben jetzt kommt. Es gibt eine Art
verzerrte Figuren, die sich in krummen Spiegeln gerad zeigen, so die neue
Musik in der neuen Kritik, das Gerade macht diese krumm, das Krumme
gerad; für sie wird auch ein Mozartleben nichts Belehrendes haben können,
sie läßt ja diesen nur gelten als groß für seine kleine Zeit, bevor das neue
Licht aufging, alles Dagewesene vor ihm zu verdunkeln. Wenn nun mit
diesem neuen Licht Beethoven gemeint wäre, so möchte man es als einen
einseitigen bornirten Enthusiasmus, der in seinem großen Gegenstande eine
Rechtfertigung findet, gelten lassen, denn es gehört mehr echter Kunstsinn
dazu, die Größe Mozart's als Beethoven's zu erkennen. Es gibt eine Durch¬
gangsperiode, wo der Fidelio den Don Juan zurückstellen kann, wo man
sich gern auf's Aeußerste mag aufregen und anspannen lassen, darin das
Höchste setzt und das durchgebildetere, geebnetere Kunstwerk für weniger
poetisch hält. Diesen Beethoven aber meinen jene, wie wir wissen, nicht,
sondern Spätere, die das ausgeführt haben, was Beethoven wollte, aber
noch nicht konnte, was er nur in seinen letzten Tagen angestrebt hat. Neulich
ist die erste Symphonie im Gewandhausconcert gespielt worden und hat das
größte Vergnügen gemacht; die neue Zeitschrift ist aber indignirt, daß man
so Veraltetes, Philisterhaftes zu Beethovens Schande habe hervorsuchen
können. Ich freue mich nun auf die Fortsetzung des Mozart, die uns ihn
in bekannteren Regionen weiter führen wird; möchten Sie Zeit haben, recht
rasch damit vorzugehen, und dann, wenn dieser vollendet ist, an den Beethoven;
endlich auch an den Haydn — es wäre gar zu schön, diese drei von Ihnen
zu haben.


M. Hauptmann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/89>, abgerufen am 27.07.2024.