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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Musikalische Briefe von Moriz Hauptmann.
I. An Otto Jahr.

Durch Mittheilung der hier folgenden musikalischen Briefe hofft dies
Blatt seinen Lesern einen Dienst zu erweisen. Der berühmte Verstorbene,
in dem wir nicht nur einen bedeutenden Componisten, auch den großen Theo¬
retiker seiner Kunst, in vielem die erste musikalische Autorität der jüngsten Ver¬
gangenheit verehren, hat in seiner Correspondenz mit Freunden eine Fülle
von seinen Beobachtungen und bedeutenden Urtheilen niedergelegt. Die
Wittwe, Frau Doctor Hauptmann, hatte die Güte, aus dem in ihren Hän¬
den befindlichen Bnefschatz uns einige charakteristische Stücke für den Ab¬
druck zu übergeben. Möge der Mittheilung an dieser Stelle die Herausgabe
der ganzen Sammlung recht bald folgen. -- Wir beginnen mit den Briefen,
welche Hauptmann an einen anderen werthen Verstorbenen geschrieben hat,
der selbst ein langjähriger Freund und Mitarbeiter der Grenzboten war:

Leipzig, den 16. Decbr. 18S5.


Lieber verehrter Freund!

Ihr erster Mozartband naht sich nun seinem Abschluß, es geht scharf
damit, täglich kommt ein neuer Bogen. Meinen herzlichen Glückwunsch zur
Vollendung dieses ersten Theiles. Es steckt viel Arbeit mit vieler Liebe
darin: es macht Ihnen das Niemand nach. Wie viel leichter ist's wohl, mit
enthusiastischen Phrasen zu verfahren wie Oulibischeff, oder mit selbstgemachten
Historien wie Rochlitz. Dann weiß ich nicht, warum eine musikalische No¬
velle von der Elise Polko nicht ebenso gut Biographie sein soll. Solche
Sachen kann ich aber nicht lesen. Bei Ihnen ist man immer auf festem
Grund und Boden, man hat von Haus aus Respect vor dem Fleiß und
der Treue und nimmt schon darum ein Interesse an der Besprechung auch
solcher Sachen, die man selbst nicht kennt und vielleicht nie weiter wird
kennen lernen, wie es ja fast alle in diesem Bande besprochenen sind.

In dem Buche wird nicht alles für Alle sein; mancher Leser wird man¬
ches überschlagen wollen. Das thut aber gar nichts, für Viele bleibt's ein


Grenzboten II. 1870. 11
Musikalische Briefe von Moriz Hauptmann.
I. An Otto Jahr.

Durch Mittheilung der hier folgenden musikalischen Briefe hofft dies
Blatt seinen Lesern einen Dienst zu erweisen. Der berühmte Verstorbene,
in dem wir nicht nur einen bedeutenden Componisten, auch den großen Theo¬
retiker seiner Kunst, in vielem die erste musikalische Autorität der jüngsten Ver¬
gangenheit verehren, hat in seiner Correspondenz mit Freunden eine Fülle
von seinen Beobachtungen und bedeutenden Urtheilen niedergelegt. Die
Wittwe, Frau Doctor Hauptmann, hatte die Güte, aus dem in ihren Hän¬
den befindlichen Bnefschatz uns einige charakteristische Stücke für den Ab¬
druck zu übergeben. Möge der Mittheilung an dieser Stelle die Herausgabe
der ganzen Sammlung recht bald folgen. — Wir beginnen mit den Briefen,
welche Hauptmann an einen anderen werthen Verstorbenen geschrieben hat,
der selbst ein langjähriger Freund und Mitarbeiter der Grenzboten war:

Leipzig, den 16. Decbr. 18S5.


Lieber verehrter Freund!

Ihr erster Mozartband naht sich nun seinem Abschluß, es geht scharf
damit, täglich kommt ein neuer Bogen. Meinen herzlichen Glückwunsch zur
Vollendung dieses ersten Theiles. Es steckt viel Arbeit mit vieler Liebe
darin: es macht Ihnen das Niemand nach. Wie viel leichter ist's wohl, mit
enthusiastischen Phrasen zu verfahren wie Oulibischeff, oder mit selbstgemachten
Historien wie Rochlitz. Dann weiß ich nicht, warum eine musikalische No¬
velle von der Elise Polko nicht ebenso gut Biographie sein soll. Solche
Sachen kann ich aber nicht lesen. Bei Ihnen ist man immer auf festem
Grund und Boden, man hat von Haus aus Respect vor dem Fleiß und
der Treue und nimmt schon darum ein Interesse an der Besprechung auch
solcher Sachen, die man selbst nicht kennt und vielleicht nie weiter wird
kennen lernen, wie es ja fast alle in diesem Bande besprochenen sind.

In dem Buche wird nicht alles für Alle sein; mancher Leser wird man¬
ches überschlagen wollen. Das thut aber gar nichts, für Viele bleibt's ein


Grenzboten II. 1870. 11
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[0087] Musikalische Briefe von Moriz Hauptmann. I. An Otto Jahr. Durch Mittheilung der hier folgenden musikalischen Briefe hofft dies Blatt seinen Lesern einen Dienst zu erweisen. Der berühmte Verstorbene, in dem wir nicht nur einen bedeutenden Componisten, auch den großen Theo¬ retiker seiner Kunst, in vielem die erste musikalische Autorität der jüngsten Ver¬ gangenheit verehren, hat in seiner Correspondenz mit Freunden eine Fülle von seinen Beobachtungen und bedeutenden Urtheilen niedergelegt. Die Wittwe, Frau Doctor Hauptmann, hatte die Güte, aus dem in ihren Hän¬ den befindlichen Bnefschatz uns einige charakteristische Stücke für den Ab¬ druck zu übergeben. Möge der Mittheilung an dieser Stelle die Herausgabe der ganzen Sammlung recht bald folgen. — Wir beginnen mit den Briefen, welche Hauptmann an einen anderen werthen Verstorbenen geschrieben hat, der selbst ein langjähriger Freund und Mitarbeiter der Grenzboten war: Leipzig, den 16. Decbr. 18S5. Lieber verehrter Freund! Ihr erster Mozartband naht sich nun seinem Abschluß, es geht scharf damit, täglich kommt ein neuer Bogen. Meinen herzlichen Glückwunsch zur Vollendung dieses ersten Theiles. Es steckt viel Arbeit mit vieler Liebe darin: es macht Ihnen das Niemand nach. Wie viel leichter ist's wohl, mit enthusiastischen Phrasen zu verfahren wie Oulibischeff, oder mit selbstgemachten Historien wie Rochlitz. Dann weiß ich nicht, warum eine musikalische No¬ velle von der Elise Polko nicht ebenso gut Biographie sein soll. Solche Sachen kann ich aber nicht lesen. Bei Ihnen ist man immer auf festem Grund und Boden, man hat von Haus aus Respect vor dem Fleiß und der Treue und nimmt schon darum ein Interesse an der Besprechung auch solcher Sachen, die man selbst nicht kennt und vielleicht nie weiter wird kennen lernen, wie es ja fast alle in diesem Bande besprochenen sind. In dem Buche wird nicht alles für Alle sein; mancher Leser wird man¬ ches überschlagen wollen. Das thut aber gar nichts, für Viele bleibt's ein Grenzboten II. 1870. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/87>, abgerufen am 27.07.2024.