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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Jahrhundert unserer Zeitrechnung, vom 8. bis 16., darunter auch ein Palimpsest;
sie enthielten eine Fülle von Thatsachen über die Geschichte und die Zustände der
Insel Sardinien durch das ganze Mittelalter, die ältesten Proben italienischer Sprache
in Bers und Prosa, Lebensgeschichten berühmter Sarden u. s. w.; sie erschienen
als Bestandtheile einer Sammlung, welche beim Erwachen der Humanitätsstudien
ein literarisch gebildeter Sarde angelegt hatte. Im Jahre 1846 wurde das erste
dieser Documente, 1863 die ganze Sammlung unter dem Titel: ?erZamo, ooäici
K toZU oarwesi 6i ^rdorsg, von Pietro Martini in stattlichem Werke heraus¬
gegeben. Die Sache machte großes Aufsehen zumeist in Italien, die Bereicherung
unseres Wissens war so plötzlich und auffallend, die ganze Culturgeschichte des
italienischen Mittelalters erhielt ein verändertes Aussehn. Aber auch an der Aecht-
heit des ganzen Fundes wurde gezweifelt und die Gelehrten Italiens nahmen eifrig
für und wider Partei. Als im März des vorigen Jahres Prof. Theodor Momm-
sen in Turin weilte, wurde ihm von Herrn Baudi ti Besme, Mitglied der Turi¬
ner Academie der Wissenschaften, welcher für die Aechtheit der Sammlung gekämpft
hatte, der Wunsch ausgesprochen, daß die königliche Academie der Wissenschaften zu
Berlin diese Frage einer sorgfältigen Prüfung unterziehen möge, er erbot sich
für diesen Fall zu veranlassen, daß eine Anzahl der Handschriften, welche jetzt in
der öffentlichen Bibliothek von Cagliari aufbewahrt werden, nach Berlin gesandt
werde. Die Berliner Academie ging auf diesen Antrag soweit ein, daß sie einige
sachkundige Gelehrte zu einer Prüfung veranlaßte. Philipp Jaffe beurtheilte die
alte Schrift. Adolph Tobler die alte italienische Sprache, Alfred Dove die histori¬
schen Momente, Theodor Mommsen die Inschriften, welche in der Sammlung nach
den Notizbüchern eines im Jahre 1510 verstorbenen sardinischen Sammlers mit¬
getheilt waren. Die vier Gutachten wurden im Januarbericht der Academie durch
Moriz Haupt veröffentlicht, sie lauteten einstimmig dahin, daß die sämmtlichen unter
dem Namen der Documente von Arborea mitgetheilten Handschriften und Schrift¬
stücke eine große, unverschämte, planvolle Fälschung sind.

Von vornherein war aufgefallen, daß dieser ganze Schatz eine gewisse einheit¬
liche Tendenz nicht verleugne, daß sämmtliche Manuscripte aus den verschiedenen
Jahrhunderten ihrem Inhalte nach den Ruhm der Insel Sardinien, seine alte Cul¬
tur, die Tapferkeit seiner Einwohner überliefern und daß sie alle zusammen wirken,
die Geschichte Sardiniens durch Thatsachen, Helden und Dichter zu schmücken, und
seine Literatur mit Inschriften, Geschichtswerken und Gesängen zu bereichern. Herr
Jaffe erkannte sofort, daß die in den Manuskripten des Mittelalters üblichen Ab¬
kürzungen in einer durchaus willkürlichen, in jedem Jahrhundert unerhörten Weise
gebraucht waren, und zwar sür die verschiedensten Jahrhunderte im Ganzen dieselbe
Methode der Abkürzungen; dann daß die Pergament- und Papier-Blätter, wenigstens
die Ränder, in mannigfache Flüssigkeiten getaucht und mit ungeschickter Industrie
durch künstliche Schmutzflecken verziert worden sind, um die Arbeit alt erscheinen zu
lassen. -- Ergötzlich ist, was Prof. Tobler über die Erfindungen des Fälschers mittheilt.
Dem Fälscher lag z. B. am Herzen eine Probe von Sardinischer Prosa aus dem 8. Jahr¬
hundert unserer Zeitrechnung zu beschaffen zum Ruhm seiner Insel. Er erfand also einen
Hirtenbrief eines sardinischen Bischofs vom Jahre 740, in dem dieser, wie gelegentlich, ein
Treffen zwischen Sarazenen und tapferen Sarden erwähnt. Weil aber die Herstellung
einer Handschrift aus dem Jahre 740 doch mißlich erschien, so erdachte der Fälscher eine
zwei bis dreimalige Abschrift dieses uralten Briefes, von denen die erste kurz nach
dem Jahre 1079 für eine Actensammlung erfolgt sein soll, und zwar in der Weise,
daß schon damals ein Notar der Abschrift ein Zeugniß beigelegt habe, das Original
sei in einem Zustand arger Zernagung gewesen, und es hätte sich nicht alles lesen lassen,
daher eine Anzahl Lücken. Mit noch größerer philologischer Genauigkeit beschreibt
der zweite erfundene Curiofitätensammler aus dem 14. Jahrhundert diese Acten-Samm-
lung ganz in der Weise eines Forschers, der für eine gelehrte Zeitung arbeitet.


Jahrhundert unserer Zeitrechnung, vom 8. bis 16., darunter auch ein Palimpsest;
sie enthielten eine Fülle von Thatsachen über die Geschichte und die Zustände der
Insel Sardinien durch das ganze Mittelalter, die ältesten Proben italienischer Sprache
in Bers und Prosa, Lebensgeschichten berühmter Sarden u. s. w.; sie erschienen
als Bestandtheile einer Sammlung, welche beim Erwachen der Humanitätsstudien
ein literarisch gebildeter Sarde angelegt hatte. Im Jahre 1846 wurde das erste
dieser Documente, 1863 die ganze Sammlung unter dem Titel: ?erZamo, ooäici
K toZU oarwesi 6i ^rdorsg, von Pietro Martini in stattlichem Werke heraus¬
gegeben. Die Sache machte großes Aufsehen zumeist in Italien, die Bereicherung
unseres Wissens war so plötzlich und auffallend, die ganze Culturgeschichte des
italienischen Mittelalters erhielt ein verändertes Aussehn. Aber auch an der Aecht-
heit des ganzen Fundes wurde gezweifelt und die Gelehrten Italiens nahmen eifrig
für und wider Partei. Als im März des vorigen Jahres Prof. Theodor Momm-
sen in Turin weilte, wurde ihm von Herrn Baudi ti Besme, Mitglied der Turi¬
ner Academie der Wissenschaften, welcher für die Aechtheit der Sammlung gekämpft
hatte, der Wunsch ausgesprochen, daß die königliche Academie der Wissenschaften zu
Berlin diese Frage einer sorgfältigen Prüfung unterziehen möge, er erbot sich
für diesen Fall zu veranlassen, daß eine Anzahl der Handschriften, welche jetzt in
der öffentlichen Bibliothek von Cagliari aufbewahrt werden, nach Berlin gesandt
werde. Die Berliner Academie ging auf diesen Antrag soweit ein, daß sie einige
sachkundige Gelehrte zu einer Prüfung veranlaßte. Philipp Jaffe beurtheilte die
alte Schrift. Adolph Tobler die alte italienische Sprache, Alfred Dove die histori¬
schen Momente, Theodor Mommsen die Inschriften, welche in der Sammlung nach
den Notizbüchern eines im Jahre 1510 verstorbenen sardinischen Sammlers mit¬
getheilt waren. Die vier Gutachten wurden im Januarbericht der Academie durch
Moriz Haupt veröffentlicht, sie lauteten einstimmig dahin, daß die sämmtlichen unter
dem Namen der Documente von Arborea mitgetheilten Handschriften und Schrift¬
stücke eine große, unverschämte, planvolle Fälschung sind.

Von vornherein war aufgefallen, daß dieser ganze Schatz eine gewisse einheit¬
liche Tendenz nicht verleugne, daß sämmtliche Manuscripte aus den verschiedenen
Jahrhunderten ihrem Inhalte nach den Ruhm der Insel Sardinien, seine alte Cul¬
tur, die Tapferkeit seiner Einwohner überliefern und daß sie alle zusammen wirken,
die Geschichte Sardiniens durch Thatsachen, Helden und Dichter zu schmücken, und
seine Literatur mit Inschriften, Geschichtswerken und Gesängen zu bereichern. Herr
Jaffe erkannte sofort, daß die in den Manuskripten des Mittelalters üblichen Ab¬
kürzungen in einer durchaus willkürlichen, in jedem Jahrhundert unerhörten Weise
gebraucht waren, und zwar sür die verschiedensten Jahrhunderte im Ganzen dieselbe
Methode der Abkürzungen; dann daß die Pergament- und Papier-Blätter, wenigstens
die Ränder, in mannigfache Flüssigkeiten getaucht und mit ungeschickter Industrie
durch künstliche Schmutzflecken verziert worden sind, um die Arbeit alt erscheinen zu
lassen. — Ergötzlich ist, was Prof. Tobler über die Erfindungen des Fälschers mittheilt.
Dem Fälscher lag z. B. am Herzen eine Probe von Sardinischer Prosa aus dem 8. Jahr¬
hundert unserer Zeitrechnung zu beschaffen zum Ruhm seiner Insel. Er erfand also einen
Hirtenbrief eines sardinischen Bischofs vom Jahre 740, in dem dieser, wie gelegentlich, ein
Treffen zwischen Sarazenen und tapferen Sarden erwähnt. Weil aber die Herstellung
einer Handschrift aus dem Jahre 740 doch mißlich erschien, so erdachte der Fälscher eine
zwei bis dreimalige Abschrift dieses uralten Briefes, von denen die erste kurz nach
dem Jahre 1079 für eine Actensammlung erfolgt sein soll, und zwar in der Weise,
daß schon damals ein Notar der Abschrift ein Zeugniß beigelegt habe, das Original
sei in einem Zustand arger Zernagung gewesen, und es hätte sich nicht alles lesen lassen,
daher eine Anzahl Lücken. Mit noch größerer philologischer Genauigkeit beschreibt
der zweite erfundene Curiofitätensammler aus dem 14. Jahrhundert diese Acten-Samm-
lung ganz in der Weise eines Forschers, der für eine gelehrte Zeitung arbeitet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/85>, abgerufen am 27.07.2024.