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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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heit wesentlich entsprechen. Freilich acht den Forderungen der Volksredner
auf den zahlreichen Versammlungen, welche die letzten Monate schwäbischer
Geschichte ausfüllten. Allein von diesen über die Jahrhunderte hinüberlau¬
fenden Forderungen und Doctrinen war ja in den bescheidenen Anträgen, die
vor den Ständesaal gebracht wurden, kaum mehr die Spur zu erkennen.
Vielmehr waren diese Anträge nur eine Copie derselben Wünsche und Beschwer¬
den, wie sie schon in den 30er und 40er Jahren nichts Ungewöhnliches in den
süddeutschen Ständeversammlungen waren, also in Zeiten, die so glücklich waren,
noch nichts von Cäsarismus und Militarismus, von drohender Verpreußung
oder von der Genfer Friedensliga und der Jacoby'sehen Theorie der Menschen¬
gesichter zu wissen. Auf solche neumodische Theorien war die Regierung nicht
veranlaßt', eine Antwort zu ertheilen, weil sie in officieller Form noch gar nicht
aufgetreten sind. Was aber der Antrag der 45 begehrte, namentlich wie ihn der
Abg. Probst erläuterte und wie ihn der Abg. Mohl in seinem Commissionsbericht
ausführlich motivirte, nämlich Ersparnisse im finanziellen und volkswirthschaft-
lichen Interesse, das ist die neue Regierung in der That bereit zuzugestehen.

Herr v. Succow nimmt es auf sich, an der neuen Wehrverfassung, die
wesentlich sein Werk ist, festzuhalten und gleichwohl Reductionen vorzunehmen,
welche die Wünsche der Mehrheit erfüllen sollen. Daß seine Ernennung an
Stelle des Herrn v. Wagner nicht eine einfache Umkehr bedeutet, dafür bürgt
schon seine ganze Vergangenheit, und dafür bürgt auch die Ansprache an das
k. Truppencorps, mit welcher er seine Amtsführung eingeleitet hat. Denn
danach hat er die Führung des Kriegsdepartements ausdrücklich übernommen,
"um der Armee unter schwierigen Verhältnissen die Bedingungen ihres Da¬
seins zu bewahren, die Thätigkeit und den Fortschritt in der Armee zu er¬
halten und vorwärts zu führen", und er fügt noch besonders hinzu, daß er
in seiner Amtsführung der von seinem Vorgänger eingeschlagenen Richtung
"in allen Stücken unverrückt" treu bleiben werde. Wenn er nun gleichwohl
zu Zugeständnissen sich herbeigelassen hat. die der Freiherr v. Wagner ver¬
weigern zu müssen glaubte, so that er dies ohne Zweisel im Vertrauen auf
sein organisatorisches Talent und in der Ueberzeugung, daß er Wesentliches
retten kann, indem er minder Wesentliches preisgibt, das im Augenblick über¬
haupt nicht festgehalten werden kann. Ein Plan, der möglichste Ersparnisse
erzielen soll, ist, wie der Staatsanzeiger angibt, bereits in der Ausarbeitung
begriffen, und als Bestandtheile desselben sind angegeben: Beschränkung des
Formationsstands der Linie, wodurch zugleich der Bedarf an Rekruten ver¬
mindert wird, sowie Festsetzung der Präsenz auf das niedrigste zulässige Maß.
Ferner sollen wesentliche Erleichterungen in den Controlvorfchriften für Re¬
serve und Landwehr eingeführt werden. Endlich ist eine beschränkte Wieder¬
einführung der Stellvertretung zum Zweck der Gewinnung eines tüchtigen
Unterofsiciersstands in Erwägung gezogen.


heit wesentlich entsprechen. Freilich acht den Forderungen der Volksredner
auf den zahlreichen Versammlungen, welche die letzten Monate schwäbischer
Geschichte ausfüllten. Allein von diesen über die Jahrhunderte hinüberlau¬
fenden Forderungen und Doctrinen war ja in den bescheidenen Anträgen, die
vor den Ständesaal gebracht wurden, kaum mehr die Spur zu erkennen.
Vielmehr waren diese Anträge nur eine Copie derselben Wünsche und Beschwer¬
den, wie sie schon in den 30er und 40er Jahren nichts Ungewöhnliches in den
süddeutschen Ständeversammlungen waren, also in Zeiten, die so glücklich waren,
noch nichts von Cäsarismus und Militarismus, von drohender Verpreußung
oder von der Genfer Friedensliga und der Jacoby'sehen Theorie der Menschen¬
gesichter zu wissen. Auf solche neumodische Theorien war die Regierung nicht
veranlaßt', eine Antwort zu ertheilen, weil sie in officieller Form noch gar nicht
aufgetreten sind. Was aber der Antrag der 45 begehrte, namentlich wie ihn der
Abg. Probst erläuterte und wie ihn der Abg. Mohl in seinem Commissionsbericht
ausführlich motivirte, nämlich Ersparnisse im finanziellen und volkswirthschaft-
lichen Interesse, das ist die neue Regierung in der That bereit zuzugestehen.

Herr v. Succow nimmt es auf sich, an der neuen Wehrverfassung, die
wesentlich sein Werk ist, festzuhalten und gleichwohl Reductionen vorzunehmen,
welche die Wünsche der Mehrheit erfüllen sollen. Daß seine Ernennung an
Stelle des Herrn v. Wagner nicht eine einfache Umkehr bedeutet, dafür bürgt
schon seine ganze Vergangenheit, und dafür bürgt auch die Ansprache an das
k. Truppencorps, mit welcher er seine Amtsführung eingeleitet hat. Denn
danach hat er die Führung des Kriegsdepartements ausdrücklich übernommen,
„um der Armee unter schwierigen Verhältnissen die Bedingungen ihres Da¬
seins zu bewahren, die Thätigkeit und den Fortschritt in der Armee zu er¬
halten und vorwärts zu führen", und er fügt noch besonders hinzu, daß er
in seiner Amtsführung der von seinem Vorgänger eingeschlagenen Richtung
„in allen Stücken unverrückt" treu bleiben werde. Wenn er nun gleichwohl
zu Zugeständnissen sich herbeigelassen hat. die der Freiherr v. Wagner ver¬
weigern zu müssen glaubte, so that er dies ohne Zweisel im Vertrauen auf
sein organisatorisches Talent und in der Ueberzeugung, daß er Wesentliches
retten kann, indem er minder Wesentliches preisgibt, das im Augenblick über¬
haupt nicht festgehalten werden kann. Ein Plan, der möglichste Ersparnisse
erzielen soll, ist, wie der Staatsanzeiger angibt, bereits in der Ausarbeitung
begriffen, und als Bestandtheile desselben sind angegeben: Beschränkung des
Formationsstands der Linie, wodurch zugleich der Bedarf an Rekruten ver¬
mindert wird, sowie Festsetzung der Präsenz auf das niedrigste zulässige Maß.
Ferner sollen wesentliche Erleichterungen in den Controlvorfchriften für Re¬
serve und Landwehr eingeführt werden. Endlich ist eine beschränkte Wieder¬
einführung der Stellvertretung zum Zweck der Gewinnung eines tüchtigen
Unterofsiciersstands in Erwägung gezogen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/82>, abgerufen am 27.07.2024.