Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

>
Den Stoff der Bevölkerungsstatistik liefern auf der einen Seite regel¬
mäßige, von Tag zu Tag fortgeführte Civilstandsregister, auf der anderen
gelegentliche, von Zeit zu Zeit wiederkehrende allgemeine Volkszählungen.
Jene sind etwa gleichzeitig unter Franz dem Ersten in Frankreich und unter
Heinrich dem Achten in England angeordnet worden; in Deutschland haben
wir sie in einzelnen Städten schon früher, z. B. in Augsburg seit 1500, für
ein größeres Gebiet zuerst durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg
im Jahre 1573. Veröffentlicht wurden sie zuerst in London unter Königin
Elisabeth, 1592, und regelmäßig seit 1603. Besonders genau wurden sie
seit 1686 in Schweden geführt, sodaß sie den Grund zu der dortigen, schon
seit langer Zeit musterhaften Behandlung der Bevölkerungsstatistik legen
konnten. Mit regelmäßig sich wiederholenden Volkszählungen sind die Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika der Alten Welt vorangegangen. Die
Censusperiode beträgt dort zehn Jahre; anderswo fünf, im deutschen Zoll¬
verein bisher nur drei, in Zukunft aber voraussichtlich ebenfalls fünf Jahre.
Während der letzten Jahrzehnte haben die Regierungen durchweg der perio¬
dischen Aufnahme der Bevölkerung viel Aufmerksamkeit zugewandt, und
statistische Congresse sind ihnen seit 1853, was die Verbesserung der Methode
betrifft, dabei zu Hilfe gekommen. Das Zählungsgeschäft, das in einem grö¬
ßeren Lande begreiflicher Weise sehr mühsam und kostspielig ist, wird neuer¬
dings durch die Anwendung der Selbstzählung. d. h. der Selbsteintragung
der Gezahlten in die ihnen zugestellten officiellen Formulare, und der Zähl-
blättchen bei der methodischen Zusammenstellung erleichtert. Dagegen ist es
zu internationalen Verständigungen über gleiche Perioden, gleiche Zahlungs-
termine, gleiches Verfahren bei der Erhebung und bei der Zusammenstellung
noch nicht gekommen, wiewohl dies alles in der Consequenz der gemeinschaft¬
lichen Erörterung der Methode auf einem periodischen statistischen Welt¬
kongreß zu liegen scheint.

Das neue Ministerium in Würtemlierg.

Die erste Ueberraschung über die Ministerveränderung in Würtemberg
hat sich gelegt. Schon nach wenigen Tagen hatte die Sprache der enttäuschten
Patrioten Mühe, sich auf der Höhe ihrer anfänglichen Entrüstung zu halten,
verstummt sind die extravaganten Muthmaßungen, was die neuen Persön¬
lichkeiten bedeuten mögen, das Land wartet die Handlungen ab, aus welchen
es ein sicheres Urtheil sich zu bilden vermag.

Eine Andeutung gibt das Ministerprogramm, das der Staatsanzeiger
am Abend des 28. März veröffentlichte. Zwar, was darin über die deutsche


>
Den Stoff der Bevölkerungsstatistik liefern auf der einen Seite regel¬
mäßige, von Tag zu Tag fortgeführte Civilstandsregister, auf der anderen
gelegentliche, von Zeit zu Zeit wiederkehrende allgemeine Volkszählungen.
Jene sind etwa gleichzeitig unter Franz dem Ersten in Frankreich und unter
Heinrich dem Achten in England angeordnet worden; in Deutschland haben
wir sie in einzelnen Städten schon früher, z. B. in Augsburg seit 1500, für
ein größeres Gebiet zuerst durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg
im Jahre 1573. Veröffentlicht wurden sie zuerst in London unter Königin
Elisabeth, 1592, und regelmäßig seit 1603. Besonders genau wurden sie
seit 1686 in Schweden geführt, sodaß sie den Grund zu der dortigen, schon
seit langer Zeit musterhaften Behandlung der Bevölkerungsstatistik legen
konnten. Mit regelmäßig sich wiederholenden Volkszählungen sind die Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika der Alten Welt vorangegangen. Die
Censusperiode beträgt dort zehn Jahre; anderswo fünf, im deutschen Zoll¬
verein bisher nur drei, in Zukunft aber voraussichtlich ebenfalls fünf Jahre.
Während der letzten Jahrzehnte haben die Regierungen durchweg der perio¬
dischen Aufnahme der Bevölkerung viel Aufmerksamkeit zugewandt, und
statistische Congresse sind ihnen seit 1853, was die Verbesserung der Methode
betrifft, dabei zu Hilfe gekommen. Das Zählungsgeschäft, das in einem grö¬
ßeren Lande begreiflicher Weise sehr mühsam und kostspielig ist, wird neuer¬
dings durch die Anwendung der Selbstzählung. d. h. der Selbsteintragung
der Gezahlten in die ihnen zugestellten officiellen Formulare, und der Zähl-
blättchen bei der methodischen Zusammenstellung erleichtert. Dagegen ist es
zu internationalen Verständigungen über gleiche Perioden, gleiche Zahlungs-
termine, gleiches Verfahren bei der Erhebung und bei der Zusammenstellung
noch nicht gekommen, wiewohl dies alles in der Consequenz der gemeinschaft¬
lichen Erörterung der Methode auf einem periodischen statistischen Welt¬
kongreß zu liegen scheint.

Das neue Ministerium in Würtemlierg.

Die erste Ueberraschung über die Ministerveränderung in Würtemberg
hat sich gelegt. Schon nach wenigen Tagen hatte die Sprache der enttäuschten
Patrioten Mühe, sich auf der Höhe ihrer anfänglichen Entrüstung zu halten,
verstummt sind die extravaganten Muthmaßungen, was die neuen Persön¬
lichkeiten bedeuten mögen, das Land wartet die Handlungen ab, aus welchen
es ein sicheres Urtheil sich zu bilden vermag.

Eine Andeutung gibt das Ministerprogramm, das der Staatsanzeiger
am Abend des 28. März veröffentlichte. Zwar, was darin über die deutsche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123700"/>
&gt;<lb/>
Den Stoff der Bevölkerungsstatistik liefern auf der einen Seite regel¬<lb/>
mäßige, von Tag zu Tag fortgeführte Civilstandsregister, auf der anderen<lb/>
gelegentliche, von Zeit zu Zeit wiederkehrende allgemeine Volkszählungen.<lb/>
Jene sind etwa gleichzeitig unter Franz dem Ersten in Frankreich und unter<lb/>
Heinrich dem Achten in England angeordnet worden; in Deutschland haben<lb/>
wir sie in einzelnen Städten schon früher, z. B. in Augsburg seit 1500, für<lb/>
ein größeres Gebiet zuerst durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg<lb/>
im Jahre 1573.  Veröffentlicht wurden sie zuerst in London unter Königin<lb/>
Elisabeth, 1592, und regelmäßig seit 1603.  Besonders genau wurden sie<lb/>
seit 1686 in Schweden geführt, sodaß sie den Grund zu der dortigen, schon<lb/>
seit langer Zeit musterhaften Behandlung der Bevölkerungsstatistik legen<lb/>
konnten. Mit regelmäßig sich wiederholenden Volkszählungen sind die Ver¬<lb/>
einigten Staaten von Nordamerika der Alten Welt vorangegangen. Die<lb/>
Censusperiode beträgt dort zehn Jahre; anderswo fünf, im deutschen Zoll¬<lb/>
verein bisher nur drei, in Zukunft aber voraussichtlich ebenfalls fünf Jahre.<lb/>
Während der letzten Jahrzehnte haben die Regierungen durchweg der perio¬<lb/>
dischen Aufnahme der Bevölkerung viel Aufmerksamkeit zugewandt, und<lb/>
statistische Congresse sind ihnen seit 1853, was die Verbesserung der Methode<lb/>
betrifft, dabei zu Hilfe gekommen. Das Zählungsgeschäft, das in einem grö¬<lb/>
ßeren Lande begreiflicher Weise sehr mühsam und kostspielig ist, wird neuer¬<lb/>
dings durch die Anwendung der Selbstzählung. d. h. der Selbsteintragung<lb/>
der Gezahlten in die ihnen zugestellten officiellen Formulare, und der Zähl-<lb/>
blättchen bei der methodischen Zusammenstellung erleichtert.  Dagegen ist es<lb/>
zu internationalen Verständigungen über gleiche Perioden, gleiche Zahlungs-<lb/>
termine, gleiches Verfahren bei der Erhebung und bei der Zusammenstellung<lb/>
noch nicht gekommen, wiewohl dies alles in der Consequenz der gemeinschaft¬<lb/>
lichen Erörterung der Methode auf einem periodischen statistischen Welt¬<lb/>
kongreß zu liegen scheint.<lb/><list><item/></list><lb/></p>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das neue Ministerium in Würtemlierg.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_190"> Die erste Ueberraschung über die Ministerveränderung in Würtemberg<lb/>
hat sich gelegt. Schon nach wenigen Tagen hatte die Sprache der enttäuschten<lb/>
Patrioten Mühe, sich auf der Höhe ihrer anfänglichen Entrüstung zu halten,<lb/>
verstummt sind die extravaganten Muthmaßungen, was die neuen Persön¬<lb/>
lichkeiten bedeuten mögen, das Land wartet die Handlungen ab, aus welchen<lb/>
es ein sicheres Urtheil sich zu bilden vermag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191" next="#ID_192"> Eine Andeutung gibt das Ministerprogramm, das der Staatsanzeiger<lb/>
am Abend des 28. März veröffentlichte. Zwar, was darin über die deutsche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0080] > Den Stoff der Bevölkerungsstatistik liefern auf der einen Seite regel¬ mäßige, von Tag zu Tag fortgeführte Civilstandsregister, auf der anderen gelegentliche, von Zeit zu Zeit wiederkehrende allgemeine Volkszählungen. Jene sind etwa gleichzeitig unter Franz dem Ersten in Frankreich und unter Heinrich dem Achten in England angeordnet worden; in Deutschland haben wir sie in einzelnen Städten schon früher, z. B. in Augsburg seit 1500, für ein größeres Gebiet zuerst durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg im Jahre 1573. Veröffentlicht wurden sie zuerst in London unter Königin Elisabeth, 1592, und regelmäßig seit 1603. Besonders genau wurden sie seit 1686 in Schweden geführt, sodaß sie den Grund zu der dortigen, schon seit langer Zeit musterhaften Behandlung der Bevölkerungsstatistik legen konnten. Mit regelmäßig sich wiederholenden Volkszählungen sind die Ver¬ einigten Staaten von Nordamerika der Alten Welt vorangegangen. Die Censusperiode beträgt dort zehn Jahre; anderswo fünf, im deutschen Zoll¬ verein bisher nur drei, in Zukunft aber voraussichtlich ebenfalls fünf Jahre. Während der letzten Jahrzehnte haben die Regierungen durchweg der perio¬ dischen Aufnahme der Bevölkerung viel Aufmerksamkeit zugewandt, und statistische Congresse sind ihnen seit 1853, was die Verbesserung der Methode betrifft, dabei zu Hilfe gekommen. Das Zählungsgeschäft, das in einem grö¬ ßeren Lande begreiflicher Weise sehr mühsam und kostspielig ist, wird neuer¬ dings durch die Anwendung der Selbstzählung. d. h. der Selbsteintragung der Gezahlten in die ihnen zugestellten officiellen Formulare, und der Zähl- blättchen bei der methodischen Zusammenstellung erleichtert. Dagegen ist es zu internationalen Verständigungen über gleiche Perioden, gleiche Zahlungs- termine, gleiches Verfahren bei der Erhebung und bei der Zusammenstellung noch nicht gekommen, wiewohl dies alles in der Consequenz der gemeinschaft¬ lichen Erörterung der Methode auf einem periodischen statistischen Welt¬ kongreß zu liegen scheint. Das neue Ministerium in Würtemlierg. Die erste Ueberraschung über die Ministerveränderung in Würtemberg hat sich gelegt. Schon nach wenigen Tagen hatte die Sprache der enttäuschten Patrioten Mühe, sich auf der Höhe ihrer anfänglichen Entrüstung zu halten, verstummt sind die extravaganten Muthmaßungen, was die neuen Persön¬ lichkeiten bedeuten mögen, das Land wartet die Handlungen ab, aus welchen es ein sicheres Urtheil sich zu bilden vermag. Eine Andeutung gibt das Ministerprogramm, das der Staatsanzeiger am Abend des 28. März veröffentlichte. Zwar, was darin über die deutsche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/80
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/80>, abgerufen am 18.12.2024.