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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Das ZMenverhältniß der beiden Geschlechter untereinander hat von je¬
her viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es steht ziemlich fest, daß in
allen Ländern mehr Knaben als Mädchen geboren werden, auch vom Orient,
wo man das Gegentheil angenommen hat, liegt kein wirklicher Beweis des¬
selben vor, so daß man noch nicht behaupten kann, die Polygamie erhalte
sich dort selbst. Der Ueberschuß pflegt auf je 100 Mädchen 4--7 Knaben
mehr zu betragen. Woher dies komme, und wie und wann sich das Geschlecht
einer Geburt überhaupt entscheide, darüber liegen die Statistiker mit den
Physiologen noch im Streit. Die einen sehen es meist als feststehend an.
daß die Entscheidung im ersten Anfang erfolge, und sind geneigt, dem höhe¬
ren Alter des einen oder andern Theils das Hauptgewicht beizulegen; die
anderen dagegen halten eine Entscheidung der Geschlechtsbestimmtheit während
der Entwickelung vor der Geburt noch für sehr wohl denkbar, und führen sie
zum Theil auf die bessere und mangelhaftere Ernährung zurück. Ausgeglichen
wird der Ueberschuß der Knaben in der Hauptsache schon ziemlich bald nach
der Geburt durch ihre stärkere Sterblichkett im Kindesalter. Nur in zweiter
Linie wirkt dazu die höhere Schädlichkeit und Gefährlichkeit so manches
männlichen Berufszweiges mit. Das Ergebniß aber ist, daß während der
mittleren, productiven Lebensjahre eine Art Gleichgewicht besteht und im
Greisenalter das' weibliche Geschlecht überwiegt.
Die ungefähre Gleichzahl beider Geschlechter, während den mittleren
physisch und wirthschaftlich productiven Lebensjahre scheint von selbst schon
auf die Institution der Ehe hinzuweisen. Im Gegensatz zum ledigen Stande
spricht auch die Aussicht auf Gesundheit und Lebensdauer für sie, und das
ist insofern gut, als wachsende Cultur sonst mannigfaltige Erschwerungen des
Entschlusses zur Ehe mit sich bringt. Im westlichen Europa sind nach
Wappäus durchschnittlich gegen 35 Procent oder etwas über ein Drittel der
Bevölkerung verheirathet, von den Erwachsenen etwas mehr als die Hälfte
oder 66 Procent. Die Zahl der Witwen ist reichlich doppelt so groß, wie
die Zahl der Witwer. Eine Trauung kommt im Jahre durchschnittlich auf
124 Einwohner, mit Schwankungen zwischen 116 (Preußen 1844--63) und
162 (Bayern 1842--51.) Nach einer Ermittelung, welche 5^ Millionen
Trauungen in neun europäischen Staaten umfaßt, werden durchschnittlich von
je tausend Ehen geschlossen:

822 zwischen Junggesellen und Mädchen. 43 ., " " Witwen. 99 ., Witwern " Mädchen, 36 " " " Witwen.
In allen Ländern heirathen vor dem 25. Lebensjahr mehr Frauen als
Männer, nach dem 25. Lebensjahr mehr Männer als Frauen. Das mittlere

Das ZMenverhältniß der beiden Geschlechter untereinander hat von je¬
her viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es steht ziemlich fest, daß in
allen Ländern mehr Knaben als Mädchen geboren werden, auch vom Orient,
wo man das Gegentheil angenommen hat, liegt kein wirklicher Beweis des¬
selben vor, so daß man noch nicht behaupten kann, die Polygamie erhalte
sich dort selbst. Der Ueberschuß pflegt auf je 100 Mädchen 4—7 Knaben
mehr zu betragen. Woher dies komme, und wie und wann sich das Geschlecht
einer Geburt überhaupt entscheide, darüber liegen die Statistiker mit den
Physiologen noch im Streit. Die einen sehen es meist als feststehend an.
daß die Entscheidung im ersten Anfang erfolge, und sind geneigt, dem höhe¬
ren Alter des einen oder andern Theils das Hauptgewicht beizulegen; die
anderen dagegen halten eine Entscheidung der Geschlechtsbestimmtheit während
der Entwickelung vor der Geburt noch für sehr wohl denkbar, und führen sie
zum Theil auf die bessere und mangelhaftere Ernährung zurück. Ausgeglichen
wird der Ueberschuß der Knaben in der Hauptsache schon ziemlich bald nach
der Geburt durch ihre stärkere Sterblichkett im Kindesalter. Nur in zweiter
Linie wirkt dazu die höhere Schädlichkeit und Gefährlichkeit so manches
männlichen Berufszweiges mit. Das Ergebniß aber ist, daß während der
mittleren, productiven Lebensjahre eine Art Gleichgewicht besteht und im
Greisenalter das' weibliche Geschlecht überwiegt.
Die ungefähre Gleichzahl beider Geschlechter, während den mittleren
physisch und wirthschaftlich productiven Lebensjahre scheint von selbst schon
auf die Institution der Ehe hinzuweisen. Im Gegensatz zum ledigen Stande
spricht auch die Aussicht auf Gesundheit und Lebensdauer für sie, und das
ist insofern gut, als wachsende Cultur sonst mannigfaltige Erschwerungen des
Entschlusses zur Ehe mit sich bringt. Im westlichen Europa sind nach
Wappäus durchschnittlich gegen 35 Procent oder etwas über ein Drittel der
Bevölkerung verheirathet, von den Erwachsenen etwas mehr als die Hälfte
oder 66 Procent. Die Zahl der Witwen ist reichlich doppelt so groß, wie
die Zahl der Witwer. Eine Trauung kommt im Jahre durchschnittlich auf
124 Einwohner, mit Schwankungen zwischen 116 (Preußen 1844—63) und
162 (Bayern 1842—51.) Nach einer Ermittelung, welche 5^ Millionen
Trauungen in neun europäischen Staaten umfaßt, werden durchschnittlich von
je tausend Ehen geschlossen:

822 zwischen Junggesellen und Mädchen. 43 ., „ „ Witwen. 99 ., Witwern „ Mädchen, 36 „ „ „ Witwen.
In allen Ländern heirathen vor dem 25. Lebensjahr mehr Frauen als
Männer, nach dem 25. Lebensjahr mehr Männer als Frauen. Das mittlere

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[0078] Das ZMenverhältniß der beiden Geschlechter untereinander hat von je¬ her viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es steht ziemlich fest, daß in allen Ländern mehr Knaben als Mädchen geboren werden, auch vom Orient, wo man das Gegentheil angenommen hat, liegt kein wirklicher Beweis des¬ selben vor, so daß man noch nicht behaupten kann, die Polygamie erhalte sich dort selbst. Der Ueberschuß pflegt auf je 100 Mädchen 4—7 Knaben mehr zu betragen. Woher dies komme, und wie und wann sich das Geschlecht einer Geburt überhaupt entscheide, darüber liegen die Statistiker mit den Physiologen noch im Streit. Die einen sehen es meist als feststehend an. daß die Entscheidung im ersten Anfang erfolge, und sind geneigt, dem höhe¬ ren Alter des einen oder andern Theils das Hauptgewicht beizulegen; die anderen dagegen halten eine Entscheidung der Geschlechtsbestimmtheit während der Entwickelung vor der Geburt noch für sehr wohl denkbar, und führen sie zum Theil auf die bessere und mangelhaftere Ernährung zurück. Ausgeglichen wird der Ueberschuß der Knaben in der Hauptsache schon ziemlich bald nach der Geburt durch ihre stärkere Sterblichkett im Kindesalter. Nur in zweiter Linie wirkt dazu die höhere Schädlichkeit und Gefährlichkeit so manches männlichen Berufszweiges mit. Das Ergebniß aber ist, daß während der mittleren, productiven Lebensjahre eine Art Gleichgewicht besteht und im Greisenalter das' weibliche Geschlecht überwiegt. Die ungefähre Gleichzahl beider Geschlechter, während den mittleren physisch und wirthschaftlich productiven Lebensjahre scheint von selbst schon auf die Institution der Ehe hinzuweisen. Im Gegensatz zum ledigen Stande spricht auch die Aussicht auf Gesundheit und Lebensdauer für sie, und das ist insofern gut, als wachsende Cultur sonst mannigfaltige Erschwerungen des Entschlusses zur Ehe mit sich bringt. Im westlichen Europa sind nach Wappäus durchschnittlich gegen 35 Procent oder etwas über ein Drittel der Bevölkerung verheirathet, von den Erwachsenen etwas mehr als die Hälfte oder 66 Procent. Die Zahl der Witwen ist reichlich doppelt so groß, wie die Zahl der Witwer. Eine Trauung kommt im Jahre durchschnittlich auf 124 Einwohner, mit Schwankungen zwischen 116 (Preußen 1844—63) und 162 (Bayern 1842—51.) Nach einer Ermittelung, welche 5^ Millionen Trauungen in neun europäischen Staaten umfaßt, werden durchschnittlich von je tausend Ehen geschlossen: 822 zwischen Junggesellen und Mädchen. 43 ., „ „ Witwen. 99 ., Witwern „ Mädchen, 36 „ „ „ Witwen. In allen Ländern heirathen vor dem 25. Lebensjahr mehr Frauen als Männer, nach dem 25. Lebensjahr mehr Männer als Frauen. Das mittlere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/78>, abgerufen am 01.09.2024.