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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Staat und Kirche in Sägern.

Die Circular-Depesche des Fürsten Hohenlohe über das Concil, welche
schließlich doch noch zu Ehren gekommen ist, hat zuerst die Augen des Aus¬
landes auf den Kampf gerichtet, der seit etwa 10 Jahren in Bayern gegen
die Ansprüche der Curie und gegen die romanistischen Tendenzen innerhalb
der katholischen Kirche überhaupt geführt wird. Die Depesche selbst ist nur
ein besonders hervorragender Punkt innerhalb desselben und kann ihrer Ent¬
stehung und Tendenz nach nur im Zusammenhang mit der Geschichte dieses
Kampfes recht begriffen werden. Was dem letzteren für lange Zeit eine
bleibende Bedeutung sichert, ist vor Allem der Umstand, daß hier neben der
Regierung und den liberalen Elementen des Landes auch ein Theil der katho¬
lischen Geistlichkeit gegen die Curie in Waffen steht. Erst durch das glück¬
liche Zusammentreffen dieser drei Factoren konnte der Streit Dimensionen an¬
nehmen, von denen, wenn in Rom nicht va daiuzue gespielt werden sollte,
ein Eindruck füglich zu erwarten stand. Vereinzelt wäre wohl keiner der
Consorten sehr weit gekommen; die Regierung allein wird in ihrem Kampf
gegen die Curie stets das Odium gegen sich haben, der katholischen Kirche
überhaupt zu Leibe gehen zu wollen, den opponirenden Geistlichen dagegen
würde die Curie sehr schnell Mittel gefunden haben, den Mund zu stopfen.
Die Verhältnisse, welche eine zur Eröffnung des Kampfes so aussichtsvolle
Konstellation herbeiführten, machen es nothwendig, zunächst auf die früheren
Beziehungen der bayrischen Regierung zum päpstlichen Stuhl und zu den
Bischöfen einzugehen.

Mit anderen Staatsverfassungen verglichen lautet die bayrische Constitu-
tionsurkunde. was die Regelung der kirchlichen Verhältnisse betrifft, sehr
energisch. Das Oberaussichtsrecht des Staates ist ausgiebig gewahrt und
die Ausscheidung des kirchlichen und staatlichen Gebiets mit Ausnahme der
Normen über die Ehegerichtsbarkeit so sauber und consequent durchgeführt,
daß selbst jetzt, nach mehr als 50 Jahren, kaum Aenderungen zu wünschen
wären. Leider wurde zugleich mit der Verfassung und als Bestandtheil der¬
selben auch das mit Rom vorher abgeschlossene Concordat publicirt, dessen
Bestimmungen in vielen und erheblichen Punkten mit dem Religionsedict in
Widerspruch standen. Gleich der 1. Artikel desselben lautet: "Die römisch-katho¬
lische Religion wird in Bayern mit allen Rechten und Prärogativen erhalten
werden, welche sie nach göttlicher Anordnung und den canonischen Satzungen
zu genießen hat." Wie konnte aber ein Zusammenleben der verschiedenen
christlichen Confessionen ermöglicht werden, wie sollte der moderne Staat


Staat und Kirche in Sägern.

Die Circular-Depesche des Fürsten Hohenlohe über das Concil, welche
schließlich doch noch zu Ehren gekommen ist, hat zuerst die Augen des Aus¬
landes auf den Kampf gerichtet, der seit etwa 10 Jahren in Bayern gegen
die Ansprüche der Curie und gegen die romanistischen Tendenzen innerhalb
der katholischen Kirche überhaupt geführt wird. Die Depesche selbst ist nur
ein besonders hervorragender Punkt innerhalb desselben und kann ihrer Ent¬
stehung und Tendenz nach nur im Zusammenhang mit der Geschichte dieses
Kampfes recht begriffen werden. Was dem letzteren für lange Zeit eine
bleibende Bedeutung sichert, ist vor Allem der Umstand, daß hier neben der
Regierung und den liberalen Elementen des Landes auch ein Theil der katho¬
lischen Geistlichkeit gegen die Curie in Waffen steht. Erst durch das glück¬
liche Zusammentreffen dieser drei Factoren konnte der Streit Dimensionen an¬
nehmen, von denen, wenn in Rom nicht va daiuzue gespielt werden sollte,
ein Eindruck füglich zu erwarten stand. Vereinzelt wäre wohl keiner der
Consorten sehr weit gekommen; die Regierung allein wird in ihrem Kampf
gegen die Curie stets das Odium gegen sich haben, der katholischen Kirche
überhaupt zu Leibe gehen zu wollen, den opponirenden Geistlichen dagegen
würde die Curie sehr schnell Mittel gefunden haben, den Mund zu stopfen.
Die Verhältnisse, welche eine zur Eröffnung des Kampfes so aussichtsvolle
Konstellation herbeiführten, machen es nothwendig, zunächst auf die früheren
Beziehungen der bayrischen Regierung zum päpstlichen Stuhl und zu den
Bischöfen einzugehen.

Mit anderen Staatsverfassungen verglichen lautet die bayrische Constitu-
tionsurkunde. was die Regelung der kirchlichen Verhältnisse betrifft, sehr
energisch. Das Oberaussichtsrecht des Staates ist ausgiebig gewahrt und
die Ausscheidung des kirchlichen und staatlichen Gebiets mit Ausnahme der
Normen über die Ehegerichtsbarkeit so sauber und consequent durchgeführt,
daß selbst jetzt, nach mehr als 50 Jahren, kaum Aenderungen zu wünschen
wären. Leider wurde zugleich mit der Verfassung und als Bestandtheil der¬
selben auch das mit Rom vorher abgeschlossene Concordat publicirt, dessen
Bestimmungen in vielen und erheblichen Punkten mit dem Religionsedict in
Widerspruch standen. Gleich der 1. Artikel desselben lautet: „Die römisch-katho¬
lische Religion wird in Bayern mit allen Rechten und Prärogativen erhalten
werden, welche sie nach göttlicher Anordnung und den canonischen Satzungen
zu genießen hat." Wie konnte aber ein Zusammenleben der verschiedenen
christlichen Confessionen ermöglicht werden, wie sollte der moderne Staat


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[0515] Staat und Kirche in Sägern. Die Circular-Depesche des Fürsten Hohenlohe über das Concil, welche schließlich doch noch zu Ehren gekommen ist, hat zuerst die Augen des Aus¬ landes auf den Kampf gerichtet, der seit etwa 10 Jahren in Bayern gegen die Ansprüche der Curie und gegen die romanistischen Tendenzen innerhalb der katholischen Kirche überhaupt geführt wird. Die Depesche selbst ist nur ein besonders hervorragender Punkt innerhalb desselben und kann ihrer Ent¬ stehung und Tendenz nach nur im Zusammenhang mit der Geschichte dieses Kampfes recht begriffen werden. Was dem letzteren für lange Zeit eine bleibende Bedeutung sichert, ist vor Allem der Umstand, daß hier neben der Regierung und den liberalen Elementen des Landes auch ein Theil der katho¬ lischen Geistlichkeit gegen die Curie in Waffen steht. Erst durch das glück¬ liche Zusammentreffen dieser drei Factoren konnte der Streit Dimensionen an¬ nehmen, von denen, wenn in Rom nicht va daiuzue gespielt werden sollte, ein Eindruck füglich zu erwarten stand. Vereinzelt wäre wohl keiner der Consorten sehr weit gekommen; die Regierung allein wird in ihrem Kampf gegen die Curie stets das Odium gegen sich haben, der katholischen Kirche überhaupt zu Leibe gehen zu wollen, den opponirenden Geistlichen dagegen würde die Curie sehr schnell Mittel gefunden haben, den Mund zu stopfen. Die Verhältnisse, welche eine zur Eröffnung des Kampfes so aussichtsvolle Konstellation herbeiführten, machen es nothwendig, zunächst auf die früheren Beziehungen der bayrischen Regierung zum päpstlichen Stuhl und zu den Bischöfen einzugehen. Mit anderen Staatsverfassungen verglichen lautet die bayrische Constitu- tionsurkunde. was die Regelung der kirchlichen Verhältnisse betrifft, sehr energisch. Das Oberaussichtsrecht des Staates ist ausgiebig gewahrt und die Ausscheidung des kirchlichen und staatlichen Gebiets mit Ausnahme der Normen über die Ehegerichtsbarkeit so sauber und consequent durchgeführt, daß selbst jetzt, nach mehr als 50 Jahren, kaum Aenderungen zu wünschen wären. Leider wurde zugleich mit der Verfassung und als Bestandtheil der¬ selben auch das mit Rom vorher abgeschlossene Concordat publicirt, dessen Bestimmungen in vielen und erheblichen Punkten mit dem Religionsedict in Widerspruch standen. Gleich der 1. Artikel desselben lautet: „Die römisch-katho¬ lische Religion wird in Bayern mit allen Rechten und Prärogativen erhalten werden, welche sie nach göttlicher Anordnung und den canonischen Satzungen zu genießen hat." Wie konnte aber ein Zusammenleben der verschiedenen christlichen Confessionen ermöglicht werden, wie sollte der moderne Staat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/515>, abgerufen am 18.12.2024.