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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Volk jene Mehrbelastung nicht zumuthen, so sind für uns einzig die inneren
finanziellen Bedürfnisse des Landes maßgebend." Jetzt war von solchen Be-
denken unter den nationalen Würtembergs nicht mehr die Rede, obwohl in
diesem Augenblick die Regierung selbst es für klug hielt, vor der drohenden
Kammermehrheit einen Schritt zurückzuweichen. Ohne Rücksicht auf eine
frühere oder spätere Vollendung des Einigungswerks stellten sie die nationale
Pflicht obenan, und der Erfolg der Landesversammlung hat gezeigt, daß dies
ihre Stellung anstatt gefährdet, vielmehr nur befestigt hat. Die deutsche
Partei gewann an Boden, nicht indem sie ihr Programm abschwächte, son¬
dern indem sie ihm eine immer schärfere Fassung gab.

Dieser Erfolg der Landesversammlung hat im ganzen Land der Partei-
thätigkcit einen neuen Aufschwung gegeben. Der "Beobachter" selbst hat
der deutschen Partei dieses Zeugniß ausgestellt, indem er sie anklagte, daß
sie seitdem eine ganz unerhörte Thätigkeit entwickelt habe. Wahr daran ist
soviel, daß die Organisation der Partei sich seitdem erheblich erweiterte; eine
Reihe neuer Vereine hat sich an Orten gebildet, wo sie bisher nur verein-
zelte Anhänger zählte. Die früher von den meisten Orten gemeldete schüch¬
terne Ausrede, es seien wohl Gesinnungsgenossen vorhanden, aber sie könnten
sich bei ihrer Abneigung gegen politischen Kampf und bei dem terroristischen
Druck der Gegenmeinung nicht entschließen, offen Farbe zu bekennen, wird
doch immer seltener gehört. Die nationale Presse hat einen erfreulichen Zu-
wachs erhalten durch die "Sonntagsblätter der deutschen Partei", eine popu¬
läre, für die ländlichen Massen bestimmte Publication. Und selbst die Un¬
gunst der vorrückenden Jahreszeit wurde von eifrigen Agitatoren besiegt, die
es sich angelegen sein ließen, die herkömmlichen Sonntagsausflüge, welche
die charakteristische Staffage der schwäbischen Landschaften in der Frühjahrs¬
zeit bilden, in den Dienst der politischen Propaganda zu ziehen und so das
Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Es verging kein Sonntag, an
welchem nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten kleinere Versammlungen ge¬
halten wurden und wackere Reiseprediger vor mehr oder weniger willigen
Hörern das Evangelium vom werdenden deutschen Reich auslegten und mit
nützlichen Gleichnissen verzierten. Und eben in diesen Tagen wird geschäftig
eine Expedition organtsirt, die anfänglich ganz nur als harmloses Sonntags¬
vergnügen der Stuttgarter Gesinnungsgenossen beabsichtigt, zu einer politi¬
schen Wallfahrt im großen Stil, zu einem Rendezvous der Partei des ganzen
Landes, ja fast zu einer Lseessio in montem sacrum zu werden verspricht:
es ist nämlich der Zollernburg ein Besuch der deutschen Partei aus Würtem-
berg zugedacht, und diese mag sich wohl im Voraus eines freundlicheren und
fröhlicheren Empfangs vertrösten, als er jener mit so beredtem Schweigen
ausgenommenen Invasion zu Theil wurde, welche im Sommer 1866 die


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Volk jene Mehrbelastung nicht zumuthen, so sind für uns einzig die inneren
finanziellen Bedürfnisse des Landes maßgebend." Jetzt war von solchen Be-
denken unter den nationalen Würtembergs nicht mehr die Rede, obwohl in
diesem Augenblick die Regierung selbst es für klug hielt, vor der drohenden
Kammermehrheit einen Schritt zurückzuweichen. Ohne Rücksicht auf eine
frühere oder spätere Vollendung des Einigungswerks stellten sie die nationale
Pflicht obenan, und der Erfolg der Landesversammlung hat gezeigt, daß dies
ihre Stellung anstatt gefährdet, vielmehr nur befestigt hat. Die deutsche
Partei gewann an Boden, nicht indem sie ihr Programm abschwächte, son¬
dern indem sie ihm eine immer schärfere Fassung gab.

Dieser Erfolg der Landesversammlung hat im ganzen Land der Partei-
thätigkcit einen neuen Aufschwung gegeben. Der „Beobachter" selbst hat
der deutschen Partei dieses Zeugniß ausgestellt, indem er sie anklagte, daß
sie seitdem eine ganz unerhörte Thätigkeit entwickelt habe. Wahr daran ist
soviel, daß die Organisation der Partei sich seitdem erheblich erweiterte; eine
Reihe neuer Vereine hat sich an Orten gebildet, wo sie bisher nur verein-
zelte Anhänger zählte. Die früher von den meisten Orten gemeldete schüch¬
terne Ausrede, es seien wohl Gesinnungsgenossen vorhanden, aber sie könnten
sich bei ihrer Abneigung gegen politischen Kampf und bei dem terroristischen
Druck der Gegenmeinung nicht entschließen, offen Farbe zu bekennen, wird
doch immer seltener gehört. Die nationale Presse hat einen erfreulichen Zu-
wachs erhalten durch die „Sonntagsblätter der deutschen Partei", eine popu¬
läre, für die ländlichen Massen bestimmte Publication. Und selbst die Un¬
gunst der vorrückenden Jahreszeit wurde von eifrigen Agitatoren besiegt, die
es sich angelegen sein ließen, die herkömmlichen Sonntagsausflüge, welche
die charakteristische Staffage der schwäbischen Landschaften in der Frühjahrs¬
zeit bilden, in den Dienst der politischen Propaganda zu ziehen und so das
Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Es verging kein Sonntag, an
welchem nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten kleinere Versammlungen ge¬
halten wurden und wackere Reiseprediger vor mehr oder weniger willigen
Hörern das Evangelium vom werdenden deutschen Reich auslegten und mit
nützlichen Gleichnissen verzierten. Und eben in diesen Tagen wird geschäftig
eine Expedition organtsirt, die anfänglich ganz nur als harmloses Sonntags¬
vergnügen der Stuttgarter Gesinnungsgenossen beabsichtigt, zu einer politi¬
schen Wallfahrt im großen Stil, zu einem Rendezvous der Partei des ganzen
Landes, ja fast zu einer Lseessio in montem sacrum zu werden verspricht:
es ist nämlich der Zollernburg ein Besuch der deutschen Partei aus Würtem-
berg zugedacht, und diese mag sich wohl im Voraus eines freundlicheren und
fröhlicheren Empfangs vertrösten, als er jener mit so beredtem Schweigen
ausgenommenen Invasion zu Theil wurde, welche im Sommer 1866 die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/513>, abgerufen am 01.09.2024.