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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Die Folgen dieser Peripetie aber sind sehr weitragende. Zunächst steht
fest, daß Napoleon HI. nicht nur thatsächlich wieder Meister der Geschicke
Frankreichs geworden, sondern daß seine persönliche Macht in den wesent¬
lichsten Punkten durch die neue Verfassung keine Einbuße erlitten, vielmehr
sich befestigt hat.

Der Schrecken, den die Wahlen von 1869 einflößten und welcher zum
Sturz von Rouher und Forcade führte, war wesentlich dem Umstände zu¬
zuschreiben, daß die gesammte liberale Partei mit den Republikanern gemein¬
same Sache gegen die officiellen Candidaten gemacht hatte. Napoleon fügte
sich und pochte nicht auf die nominelle Majorität in der Kammer, wie Karl X.
und. Guizot gethan, weil er fühlte, daß schroffer Widerstand die Opposition
nur steigern würde, aber er, der sein ganzes Leben gegen das parlamentarische
Regiment geschrieben und gesprochen, war keineswegs gesonnen, die Zügel
aus den Händen zu geben. Seine ganze Politik ging darauf aus, die Op¬
position wieder in zwei sich innerlich feindliche Theile aufzulösen und die noth¬
wendigen Concessionen innerhalb der Grenzen des persönlichen Regiments zu
halten. Beides gelang ihm durch den activen Beistand Olliviers und den
passiven der Liberalen, welche durch die Zügellosigkeit der Radicalen, denen
die Regierung bis Ende d. I. geflissentlich freien Spielraum gab, so erschreckt
wurden, daß sie glaubten, es um keinen Preis mit dem Kaiser zum Bruche
treiben zu dürfen. Als vermittelndes Organ mit dieser Partei leistete Ollivier
Napoleon unschätzbare Dienste, letzterer hatte sich schon von langer Hand den
eiteln Idealisten gesichert, um ihn bet schlechtem Wetter als konstitutionellen
Regenschirm zu brauchen. Der Prophet des liberalen Kaiserreichs mußte jetzt
für die Aufrichtigkeit der Bekehrung, die an höchster Stelle eingetreten war,
als Bürge dienen.

Wie gering aber die Bürgschaft war, welche Ollivier hierfür gewähren
konnte, zeigte sich sehr bald nachdem er Minister geworden. Das "Kie RKo-
äus, die falls," für eine wirklich repräsentative Regierung war die Wahlreform.
Die gegenwärtige Kammer war noch unter dem System der officiellen Can-
ditaturen gewählt, welche die Minister, Ollivier an der Spitze, als das Grund-
übel des persönlichen Regiments bekämpft hatten. Wollte das Ministerium
Ernst machen gegen den Kaiser, so mußte dies Grundübel beseitigt werden,
die Kammer durfte nur fortbestehen bis das Budget votirt und ein neues
Wahlgesetz geschaffen war. Dazu kam, daß keine der Parteien des gesetzgebenden
Körpers sich recht an ihrer Stelle fühlte. Allerdings verfügte das Ministe-
rium über eine starke Mehrheit, aber diese setzte sich zusammen aus der Rech¬
ten, welche den Maßregeln des Cabinets mit unverkennbarem Mißtrauen
folgte, und den beiden Centren, von welchen das linke seine Verstimmung sehr
bald deutlich durchblicken ließ. Sei es nun aber, daß die Minister diese pre-


Die Folgen dieser Peripetie aber sind sehr weitragende. Zunächst steht
fest, daß Napoleon HI. nicht nur thatsächlich wieder Meister der Geschicke
Frankreichs geworden, sondern daß seine persönliche Macht in den wesent¬
lichsten Punkten durch die neue Verfassung keine Einbuße erlitten, vielmehr
sich befestigt hat.

Der Schrecken, den die Wahlen von 1869 einflößten und welcher zum
Sturz von Rouher und Forcade führte, war wesentlich dem Umstände zu¬
zuschreiben, daß die gesammte liberale Partei mit den Republikanern gemein¬
same Sache gegen die officiellen Candidaten gemacht hatte. Napoleon fügte
sich und pochte nicht auf die nominelle Majorität in der Kammer, wie Karl X.
und. Guizot gethan, weil er fühlte, daß schroffer Widerstand die Opposition
nur steigern würde, aber er, der sein ganzes Leben gegen das parlamentarische
Regiment geschrieben und gesprochen, war keineswegs gesonnen, die Zügel
aus den Händen zu geben. Seine ganze Politik ging darauf aus, die Op¬
position wieder in zwei sich innerlich feindliche Theile aufzulösen und die noth¬
wendigen Concessionen innerhalb der Grenzen des persönlichen Regiments zu
halten. Beides gelang ihm durch den activen Beistand Olliviers und den
passiven der Liberalen, welche durch die Zügellosigkeit der Radicalen, denen
die Regierung bis Ende d. I. geflissentlich freien Spielraum gab, so erschreckt
wurden, daß sie glaubten, es um keinen Preis mit dem Kaiser zum Bruche
treiben zu dürfen. Als vermittelndes Organ mit dieser Partei leistete Ollivier
Napoleon unschätzbare Dienste, letzterer hatte sich schon von langer Hand den
eiteln Idealisten gesichert, um ihn bet schlechtem Wetter als konstitutionellen
Regenschirm zu brauchen. Der Prophet des liberalen Kaiserreichs mußte jetzt
für die Aufrichtigkeit der Bekehrung, die an höchster Stelle eingetreten war,
als Bürge dienen.

Wie gering aber die Bürgschaft war, welche Ollivier hierfür gewähren
konnte, zeigte sich sehr bald nachdem er Minister geworden. Das „Kie RKo-
äus, die falls," für eine wirklich repräsentative Regierung war die Wahlreform.
Die gegenwärtige Kammer war noch unter dem System der officiellen Can-
ditaturen gewählt, welche die Minister, Ollivier an der Spitze, als das Grund-
übel des persönlichen Regiments bekämpft hatten. Wollte das Ministerium
Ernst machen gegen den Kaiser, so mußte dies Grundübel beseitigt werden,
die Kammer durfte nur fortbestehen bis das Budget votirt und ein neues
Wahlgesetz geschaffen war. Dazu kam, daß keine der Parteien des gesetzgebenden
Körpers sich recht an ihrer Stelle fühlte. Allerdings verfügte das Ministe-
rium über eine starke Mehrheit, aber diese setzte sich zusammen aus der Rech¬
ten, welche den Maßregeln des Cabinets mit unverkennbarem Mißtrauen
folgte, und den beiden Centren, von welchen das linke seine Verstimmung sehr
bald deutlich durchblicken ließ. Sei es nun aber, daß die Minister diese pre-


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[0474] Die Folgen dieser Peripetie aber sind sehr weitragende. Zunächst steht fest, daß Napoleon HI. nicht nur thatsächlich wieder Meister der Geschicke Frankreichs geworden, sondern daß seine persönliche Macht in den wesent¬ lichsten Punkten durch die neue Verfassung keine Einbuße erlitten, vielmehr sich befestigt hat. Der Schrecken, den die Wahlen von 1869 einflößten und welcher zum Sturz von Rouher und Forcade führte, war wesentlich dem Umstände zu¬ zuschreiben, daß die gesammte liberale Partei mit den Republikanern gemein¬ same Sache gegen die officiellen Candidaten gemacht hatte. Napoleon fügte sich und pochte nicht auf die nominelle Majorität in der Kammer, wie Karl X. und. Guizot gethan, weil er fühlte, daß schroffer Widerstand die Opposition nur steigern würde, aber er, der sein ganzes Leben gegen das parlamentarische Regiment geschrieben und gesprochen, war keineswegs gesonnen, die Zügel aus den Händen zu geben. Seine ganze Politik ging darauf aus, die Op¬ position wieder in zwei sich innerlich feindliche Theile aufzulösen und die noth¬ wendigen Concessionen innerhalb der Grenzen des persönlichen Regiments zu halten. Beides gelang ihm durch den activen Beistand Olliviers und den passiven der Liberalen, welche durch die Zügellosigkeit der Radicalen, denen die Regierung bis Ende d. I. geflissentlich freien Spielraum gab, so erschreckt wurden, daß sie glaubten, es um keinen Preis mit dem Kaiser zum Bruche treiben zu dürfen. Als vermittelndes Organ mit dieser Partei leistete Ollivier Napoleon unschätzbare Dienste, letzterer hatte sich schon von langer Hand den eiteln Idealisten gesichert, um ihn bet schlechtem Wetter als konstitutionellen Regenschirm zu brauchen. Der Prophet des liberalen Kaiserreichs mußte jetzt für die Aufrichtigkeit der Bekehrung, die an höchster Stelle eingetreten war, als Bürge dienen. Wie gering aber die Bürgschaft war, welche Ollivier hierfür gewähren konnte, zeigte sich sehr bald nachdem er Minister geworden. Das „Kie RKo- äus, die falls," für eine wirklich repräsentative Regierung war die Wahlreform. Die gegenwärtige Kammer war noch unter dem System der officiellen Can- ditaturen gewählt, welche die Minister, Ollivier an der Spitze, als das Grund- übel des persönlichen Regiments bekämpft hatten. Wollte das Ministerium Ernst machen gegen den Kaiser, so mußte dies Grundübel beseitigt werden, die Kammer durfte nur fortbestehen bis das Budget votirt und ein neues Wahlgesetz geschaffen war. Dazu kam, daß keine der Parteien des gesetzgebenden Körpers sich recht an ihrer Stelle fühlte. Allerdings verfügte das Ministe- rium über eine starke Mehrheit, aber diese setzte sich zusammen aus der Rech¬ ten, welche den Maßregeln des Cabinets mit unverkennbarem Mißtrauen folgte, und den beiden Centren, von welchen das linke seine Verstimmung sehr bald deutlich durchblicken ließ. Sei es nun aber, daß die Minister diese pre-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/474>, abgerufen am 27.07.2024.