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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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den philharmonischen Concerten hat nicht stattgefunden; im Gegentheil be¬
grüßte dasselbe im ersten philharmonischen Concert den Dirigenten Dessoff mit
demonstrativen Beifall. Wohl aber dürften diese Abonnement-Concerte mit
der Zeit störend auf das Programm der philharmonischen und auch der Ge-
sellschafts'Concerte wirken. Das rasche Wiederholen derselben Werke durch ver¬
schiedene Corporationen zwingt überdieß zu unerquicklichen Vergleichen, die
zu nichts frommen und den Genuß der Empfänglichkeit stören. Alle ersten
Gesangskräfte des Hofoperntheaters und das vollständige Chor- und Orchester-
Personal standen dem Dirigenten zu Gebot, unter dessen schwungvoller Lei¬
tung in den beiden ersten Concerten besonders die Ouvertüren Leonore Ur.
2 und Athalia und die 3. und 5. Symphonie von Beethoven mit großem
Beifall aufgenommen wurden. Der Schlußsatz des zweiten Finale aus Don
Juan konnte nur abermals dessen Weglassung auf der Bühne rechtfertigen.
Die Einführung von Liedern mit Clavierbegleitung erwies sich, wie voraus¬
zusehen war, für diese Riesenräume als unstatthaft. Rossini's Mssg, solsrnuis
sand nur kühle Aufnahme und wird zu keiner Wiederholung reizen. Der
Besuch der drei ersten Abende war zahlreich. Der vierte und letzte Abend
war unzweckmäßig genug in die zweite Maihälfte verlegt. "Manfred" von
Schumann und Schubert's Operette "der häusliche Krieg" füllten wohl den
Abend aus, nicht aber das Theater selbst. Die Operette,, hier bereits von
der Bühne her bekannt, wurde im schwarzen Frack abgesungen, was gerade
nicht einladend wirkte. Man sagt, daß Chor und Orchester und auch die
Solisten nur ungern an die viermalige Aufgabe gingen, da sie durch den
Theaterdtenst ohnedies genug in Anspruch genommen waren.

Mit besonderer Befriedigung sind auch in dieser Saison die schönen Er¬
folge der Singakademie unter der sorgfältigen Leitung Weinwurm's
zu verzeichnen. Außer einer Anzahl Vocalchöre aus älterer und neuerer Zeit
stehen obenan die Aufführungen von Händels "Acis und Galatea" mit Mo¬
zart's vermehrter Orchesterbegleilung (im vorigen Jahre nach 60jähriger Ruhe
mit Clavierbegleitung gegeben), Händels kraftvolles "Jubilate" (1812 com-
ponirt und im Jahre 1870 für Wien als "neu" geltend!), und im dritten
Concert die Oper "Orpheus" von Gluck (seit 1782 in Wien nicht aufgeführt!).
Mußte der Musikfreund beschämt die arge Vernachlässigung solcher Werke
zugestehen, so hatte er wenigstens die Genugthuung, daß jedes derselben mit
allgemeinem Beifall aufgenommen wurde. Wenn auch die Singakademie im
Vergleich zum Singverein in mancher Beziehung zurücksteht, muß doch der
Eifer anerkannt werden, mit dem sie sich durch alle Hindernisse durchgekämpft
hat. So manche Vortheile, deren sich der Singverein erfreut, entbehrt ihre
Rivalin. Mit ihren Concerten und Proben wandert sie noch heute von
Local zu Local und erinnert hierin an die ersten Zeiten ihrer Schwester in


den philharmonischen Concerten hat nicht stattgefunden; im Gegentheil be¬
grüßte dasselbe im ersten philharmonischen Concert den Dirigenten Dessoff mit
demonstrativen Beifall. Wohl aber dürften diese Abonnement-Concerte mit
der Zeit störend auf das Programm der philharmonischen und auch der Ge-
sellschafts'Concerte wirken. Das rasche Wiederholen derselben Werke durch ver¬
schiedene Corporationen zwingt überdieß zu unerquicklichen Vergleichen, die
zu nichts frommen und den Genuß der Empfänglichkeit stören. Alle ersten
Gesangskräfte des Hofoperntheaters und das vollständige Chor- und Orchester-
Personal standen dem Dirigenten zu Gebot, unter dessen schwungvoller Lei¬
tung in den beiden ersten Concerten besonders die Ouvertüren Leonore Ur.
2 und Athalia und die 3. und 5. Symphonie von Beethoven mit großem
Beifall aufgenommen wurden. Der Schlußsatz des zweiten Finale aus Don
Juan konnte nur abermals dessen Weglassung auf der Bühne rechtfertigen.
Die Einführung von Liedern mit Clavierbegleitung erwies sich, wie voraus¬
zusehen war, für diese Riesenräume als unstatthaft. Rossini's Mssg, solsrnuis
sand nur kühle Aufnahme und wird zu keiner Wiederholung reizen. Der
Besuch der drei ersten Abende war zahlreich. Der vierte und letzte Abend
war unzweckmäßig genug in die zweite Maihälfte verlegt. „Manfred" von
Schumann und Schubert's Operette „der häusliche Krieg" füllten wohl den
Abend aus, nicht aber das Theater selbst. Die Operette,, hier bereits von
der Bühne her bekannt, wurde im schwarzen Frack abgesungen, was gerade
nicht einladend wirkte. Man sagt, daß Chor und Orchester und auch die
Solisten nur ungern an die viermalige Aufgabe gingen, da sie durch den
Theaterdtenst ohnedies genug in Anspruch genommen waren.

Mit besonderer Befriedigung sind auch in dieser Saison die schönen Er¬
folge der Singakademie unter der sorgfältigen Leitung Weinwurm's
zu verzeichnen. Außer einer Anzahl Vocalchöre aus älterer und neuerer Zeit
stehen obenan die Aufführungen von Händels „Acis und Galatea" mit Mo¬
zart's vermehrter Orchesterbegleilung (im vorigen Jahre nach 60jähriger Ruhe
mit Clavierbegleitung gegeben), Händels kraftvolles „Jubilate" (1812 com-
ponirt und im Jahre 1870 für Wien als „neu" geltend!), und im dritten
Concert die Oper „Orpheus" von Gluck (seit 1782 in Wien nicht aufgeführt!).
Mußte der Musikfreund beschämt die arge Vernachlässigung solcher Werke
zugestehen, so hatte er wenigstens die Genugthuung, daß jedes derselben mit
allgemeinem Beifall aufgenommen wurde. Wenn auch die Singakademie im
Vergleich zum Singverein in mancher Beziehung zurücksteht, muß doch der
Eifer anerkannt werden, mit dem sie sich durch alle Hindernisse durchgekämpft
hat. So manche Vortheile, deren sich der Singverein erfreut, entbehrt ihre
Rivalin. Mit ihren Concerten und Proben wandert sie noch heute von
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[0462] den philharmonischen Concerten hat nicht stattgefunden; im Gegentheil be¬ grüßte dasselbe im ersten philharmonischen Concert den Dirigenten Dessoff mit demonstrativen Beifall. Wohl aber dürften diese Abonnement-Concerte mit der Zeit störend auf das Programm der philharmonischen und auch der Ge- sellschafts'Concerte wirken. Das rasche Wiederholen derselben Werke durch ver¬ schiedene Corporationen zwingt überdieß zu unerquicklichen Vergleichen, die zu nichts frommen und den Genuß der Empfänglichkeit stören. Alle ersten Gesangskräfte des Hofoperntheaters und das vollständige Chor- und Orchester- Personal standen dem Dirigenten zu Gebot, unter dessen schwungvoller Lei¬ tung in den beiden ersten Concerten besonders die Ouvertüren Leonore Ur. 2 und Athalia und die 3. und 5. Symphonie von Beethoven mit großem Beifall aufgenommen wurden. Der Schlußsatz des zweiten Finale aus Don Juan konnte nur abermals dessen Weglassung auf der Bühne rechtfertigen. Die Einführung von Liedern mit Clavierbegleitung erwies sich, wie voraus¬ zusehen war, für diese Riesenräume als unstatthaft. Rossini's Mssg, solsrnuis sand nur kühle Aufnahme und wird zu keiner Wiederholung reizen. Der Besuch der drei ersten Abende war zahlreich. Der vierte und letzte Abend war unzweckmäßig genug in die zweite Maihälfte verlegt. „Manfred" von Schumann und Schubert's Operette „der häusliche Krieg" füllten wohl den Abend aus, nicht aber das Theater selbst. Die Operette,, hier bereits von der Bühne her bekannt, wurde im schwarzen Frack abgesungen, was gerade nicht einladend wirkte. Man sagt, daß Chor und Orchester und auch die Solisten nur ungern an die viermalige Aufgabe gingen, da sie durch den Theaterdtenst ohnedies genug in Anspruch genommen waren. Mit besonderer Befriedigung sind auch in dieser Saison die schönen Er¬ folge der Singakademie unter der sorgfältigen Leitung Weinwurm's zu verzeichnen. Außer einer Anzahl Vocalchöre aus älterer und neuerer Zeit stehen obenan die Aufführungen von Händels „Acis und Galatea" mit Mo¬ zart's vermehrter Orchesterbegleilung (im vorigen Jahre nach 60jähriger Ruhe mit Clavierbegleitung gegeben), Händels kraftvolles „Jubilate" (1812 com- ponirt und im Jahre 1870 für Wien als „neu" geltend!), und im dritten Concert die Oper „Orpheus" von Gluck (seit 1782 in Wien nicht aufgeführt!). Mußte der Musikfreund beschämt die arge Vernachlässigung solcher Werke zugestehen, so hatte er wenigstens die Genugthuung, daß jedes derselben mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurde. Wenn auch die Singakademie im Vergleich zum Singverein in mancher Beziehung zurücksteht, muß doch der Eifer anerkannt werden, mit dem sie sich durch alle Hindernisse durchgekämpft hat. So manche Vortheile, deren sich der Singverein erfreut, entbehrt ihre Rivalin. Mit ihren Concerten und Proben wandert sie noch heute von Local zu Local und erinnert hierin an die ersten Zeiten ihrer Schwester in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/462>, abgerufen am 27.07.2024.