Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Fürst Esterhazy "der Prächtige" mußte sich gestehen, daß seine Prachtliebe
hier überboten wurde. Er war aber in bester Laune, denn die deutschen
Tänze, die jetzt zum erstenmale aufgeführt und mit Begeisterung unzählige
Male zur Wiederholung verlangt wurden, waren von seinem Concertmeister
Johann Nepomuk Hummel. Er und nach ihm Pamer und Gruber wurden
die Vorläufer von Lanner und Strauß. Der Unternehmer aber zeigte sich
den Folgen des Finanzpatents vom Jahre 1811 und des Punzirungspatents
vom Jahre 1812, an dem allein er viele Hunderttausende verlor, nicht ge¬
wachsen und er und der Apollosaal verschwanden im Strome der Zeit. --
Wir wollen aus dieser historischen Anmerkung dem neuen Musik-Prunk-
Tempel kein Prognosticon ziehen; er ist nun einmal fertig und muß erhalten
werden. Aber jene Organe, welche vorzugsweise dazu berufen sind, Kunst
und Wissenschaft zu unterstützen, hätten der Uebertreibung rechtzeitig vor¬
beugen können. Unverantwortlich bleibt es vom Erbauer des Hauses oder
von jenen Directionsmitgliedern, die, im Uebrigen durchaus unmusikalisch,
nur zu dem Zwecke gewählt wurden, den Bau zu überwachen, und die sich
doch, was ihr eigenes Interesse betrifft, aufs Häuserbauen virtuosenmäßig
verstehen, einer Gesellschaft, die ohndies nur mit äußerster Kraftanstregung
aus überlebten Uebelständen sich loszuschälen bemühte, durch übertriebene
Anforderungen die Daumschrauben anzulegen. Der Bau war auf 500,000 si.
veranschlagt und hat nun eine Summe von achtmalhunderttaufend Gulden
verschlungen! Gewiß, jeder der Direktoren wäre vor der Perspektive zurück¬
geschreckt. Gewaltmittel mußten gebraucht werden, um das Werk nicht ins
Stocken zu bringen; zu wiederholten Anlehen mußte man Zuflucht nehmen;
Stifter und Gründer mußten unter Verpflichtungen gewonnen werden, die einer
späteren Direction noch manche Verlegenheit bereiten dürften. Es ist ein bitte-
res Wort, das der Präses der Gesellschaft in der Festrede gezwungen war
auszusprechen: "die Schule muß sich selbst zunächst aus ihren Schulgeldern
erhalten." Der'"kleingeschäftliche Organismus" des alten Hauses, so gering¬
schätzend man auf denselben nun herabblicken mag. hatte doch immer Mittel
gefunden, die Schule zu erhalten, denn Hauptzweck der Gesellschaft war und
blieb von allem Anbeginn die Gründung und Erhaltung ihres Konserva¬
toriums. Möge der Staat, ehe es zu spät ist, seine Stütze einem Institut
nicht versagen, das sich seit seiner Gründung mühsam durch so manche Ca-
lamität durchwinden mußte -- einem Institut, dem Tausende von Wienern
so manche genußreiche Stunde zu danken haben und das der Kirche, dem
Concert, dem Theater und Lehrfach seit Jahrzehnten eine Schaar tüchtiger
Kräfte zuführte. Aber was soll man von einem Staate hoffen, der Kasernen
über Kasernen aufführt und dabei den Wiener Universitätsbau von Jahr zu
Jahr (seit 1830) verschleppt und in dem ein Fürst Colloredo-Mansfeld an


Fürst Esterhazy „der Prächtige" mußte sich gestehen, daß seine Prachtliebe
hier überboten wurde. Er war aber in bester Laune, denn die deutschen
Tänze, die jetzt zum erstenmale aufgeführt und mit Begeisterung unzählige
Male zur Wiederholung verlangt wurden, waren von seinem Concertmeister
Johann Nepomuk Hummel. Er und nach ihm Pamer und Gruber wurden
die Vorläufer von Lanner und Strauß. Der Unternehmer aber zeigte sich
den Folgen des Finanzpatents vom Jahre 1811 und des Punzirungspatents
vom Jahre 1812, an dem allein er viele Hunderttausende verlor, nicht ge¬
wachsen und er und der Apollosaal verschwanden im Strome der Zeit. —
Wir wollen aus dieser historischen Anmerkung dem neuen Musik-Prunk-
Tempel kein Prognosticon ziehen; er ist nun einmal fertig und muß erhalten
werden. Aber jene Organe, welche vorzugsweise dazu berufen sind, Kunst
und Wissenschaft zu unterstützen, hätten der Uebertreibung rechtzeitig vor¬
beugen können. Unverantwortlich bleibt es vom Erbauer des Hauses oder
von jenen Directionsmitgliedern, die, im Uebrigen durchaus unmusikalisch,
nur zu dem Zwecke gewählt wurden, den Bau zu überwachen, und die sich
doch, was ihr eigenes Interesse betrifft, aufs Häuserbauen virtuosenmäßig
verstehen, einer Gesellschaft, die ohndies nur mit äußerster Kraftanstregung
aus überlebten Uebelständen sich loszuschälen bemühte, durch übertriebene
Anforderungen die Daumschrauben anzulegen. Der Bau war auf 500,000 si.
veranschlagt und hat nun eine Summe von achtmalhunderttaufend Gulden
verschlungen! Gewiß, jeder der Direktoren wäre vor der Perspektive zurück¬
geschreckt. Gewaltmittel mußten gebraucht werden, um das Werk nicht ins
Stocken zu bringen; zu wiederholten Anlehen mußte man Zuflucht nehmen;
Stifter und Gründer mußten unter Verpflichtungen gewonnen werden, die einer
späteren Direction noch manche Verlegenheit bereiten dürften. Es ist ein bitte-
res Wort, das der Präses der Gesellschaft in der Festrede gezwungen war
auszusprechen: „die Schule muß sich selbst zunächst aus ihren Schulgeldern
erhalten." Der'„kleingeschäftliche Organismus" des alten Hauses, so gering¬
schätzend man auf denselben nun herabblicken mag. hatte doch immer Mittel
gefunden, die Schule zu erhalten, denn Hauptzweck der Gesellschaft war und
blieb von allem Anbeginn die Gründung und Erhaltung ihres Konserva¬
toriums. Möge der Staat, ehe es zu spät ist, seine Stütze einem Institut
nicht versagen, das sich seit seiner Gründung mühsam durch so manche Ca-
lamität durchwinden mußte — einem Institut, dem Tausende von Wienern
so manche genußreiche Stunde zu danken haben und das der Kirche, dem
Concert, dem Theater und Lehrfach seit Jahrzehnten eine Schaar tüchtiger
Kräfte zuführte. Aber was soll man von einem Staate hoffen, der Kasernen
über Kasernen aufführt und dabei den Wiener Universitätsbau von Jahr zu
Jahr (seit 1830) verschleppt und in dem ein Fürst Colloredo-Mansfeld an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124079"/>
            <p xml:id="ID_1374" prev="#ID_1373" next="#ID_1375"> Fürst Esterhazy &#x201E;der Prächtige" mußte sich gestehen, daß seine Prachtliebe<lb/>
hier überboten wurde. Er war aber in bester Laune, denn die deutschen<lb/>
Tänze, die jetzt zum erstenmale aufgeführt und mit Begeisterung unzählige<lb/>
Male zur Wiederholung verlangt wurden, waren von seinem Concertmeister<lb/>
Johann Nepomuk Hummel. Er und nach ihm Pamer und Gruber wurden<lb/>
die Vorläufer von Lanner und Strauß. Der Unternehmer aber zeigte sich<lb/>
den Folgen des Finanzpatents vom Jahre 1811 und des Punzirungspatents<lb/>
vom Jahre 1812, an dem allein er viele Hunderttausende verlor, nicht ge¬<lb/>
wachsen und er und der Apollosaal verschwanden im Strome der Zeit. &#x2014;<lb/>
Wir wollen aus dieser historischen Anmerkung dem neuen Musik-Prunk-<lb/>
Tempel kein Prognosticon ziehen; er ist nun einmal fertig und muß erhalten<lb/>
werden. Aber jene Organe, welche vorzugsweise dazu berufen sind, Kunst<lb/>
und Wissenschaft zu unterstützen, hätten der Uebertreibung rechtzeitig vor¬<lb/>
beugen können. Unverantwortlich bleibt es vom Erbauer des Hauses oder<lb/>
von jenen Directionsmitgliedern, die, im Uebrigen durchaus unmusikalisch,<lb/>
nur zu dem Zwecke gewählt wurden, den Bau zu überwachen, und die sich<lb/>
doch, was ihr eigenes Interesse betrifft, aufs Häuserbauen virtuosenmäßig<lb/>
verstehen, einer Gesellschaft, die ohndies nur mit äußerster Kraftanstregung<lb/>
aus überlebten Uebelständen sich loszuschälen bemühte, durch übertriebene<lb/>
Anforderungen die Daumschrauben anzulegen. Der Bau war auf 500,000 si.<lb/>
veranschlagt und hat nun eine Summe von achtmalhunderttaufend Gulden<lb/>
verschlungen! Gewiß, jeder der Direktoren wäre vor der Perspektive zurück¬<lb/>
geschreckt. Gewaltmittel mußten gebraucht werden, um das Werk nicht ins<lb/>
Stocken zu bringen; zu wiederholten Anlehen mußte man Zuflucht nehmen;<lb/>
Stifter und Gründer mußten unter Verpflichtungen gewonnen werden, die einer<lb/>
späteren Direction noch manche Verlegenheit bereiten dürften. Es ist ein bitte-<lb/>
res Wort, das der Präses der Gesellschaft in der Festrede gezwungen war<lb/>
auszusprechen: &#x201E;die Schule muß sich selbst zunächst aus ihren Schulgeldern<lb/>
erhalten." Der'&#x201E;kleingeschäftliche Organismus" des alten Hauses, so gering¬<lb/>
schätzend man auf denselben nun herabblicken mag. hatte doch immer Mittel<lb/>
gefunden, die Schule zu erhalten, denn Hauptzweck der Gesellschaft war und<lb/>
blieb von allem Anbeginn die Gründung und Erhaltung ihres Konserva¬<lb/>
toriums. Möge der Staat, ehe es zu spät ist, seine Stütze einem Institut<lb/>
nicht versagen, das sich seit seiner Gründung mühsam durch so manche Ca-<lb/>
lamität durchwinden mußte &#x2014; einem Institut, dem Tausende von Wienern<lb/>
so manche genußreiche Stunde zu danken haben und das der Kirche, dem<lb/>
Concert, dem Theater und Lehrfach seit Jahrzehnten eine Schaar tüchtiger<lb/>
Kräfte zuführte. Aber was soll man von einem Staate hoffen, der Kasernen<lb/>
über Kasernen aufführt und dabei den Wiener Universitätsbau von Jahr zu<lb/>
Jahr (seit 1830) verschleppt und in dem ein Fürst Colloredo-Mansfeld an</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] Fürst Esterhazy „der Prächtige" mußte sich gestehen, daß seine Prachtliebe hier überboten wurde. Er war aber in bester Laune, denn die deutschen Tänze, die jetzt zum erstenmale aufgeführt und mit Begeisterung unzählige Male zur Wiederholung verlangt wurden, waren von seinem Concertmeister Johann Nepomuk Hummel. Er und nach ihm Pamer und Gruber wurden die Vorläufer von Lanner und Strauß. Der Unternehmer aber zeigte sich den Folgen des Finanzpatents vom Jahre 1811 und des Punzirungspatents vom Jahre 1812, an dem allein er viele Hunderttausende verlor, nicht ge¬ wachsen und er und der Apollosaal verschwanden im Strome der Zeit. — Wir wollen aus dieser historischen Anmerkung dem neuen Musik-Prunk- Tempel kein Prognosticon ziehen; er ist nun einmal fertig und muß erhalten werden. Aber jene Organe, welche vorzugsweise dazu berufen sind, Kunst und Wissenschaft zu unterstützen, hätten der Uebertreibung rechtzeitig vor¬ beugen können. Unverantwortlich bleibt es vom Erbauer des Hauses oder von jenen Directionsmitgliedern, die, im Uebrigen durchaus unmusikalisch, nur zu dem Zwecke gewählt wurden, den Bau zu überwachen, und die sich doch, was ihr eigenes Interesse betrifft, aufs Häuserbauen virtuosenmäßig verstehen, einer Gesellschaft, die ohndies nur mit äußerster Kraftanstregung aus überlebten Uebelständen sich loszuschälen bemühte, durch übertriebene Anforderungen die Daumschrauben anzulegen. Der Bau war auf 500,000 si. veranschlagt und hat nun eine Summe von achtmalhunderttaufend Gulden verschlungen! Gewiß, jeder der Direktoren wäre vor der Perspektive zurück¬ geschreckt. Gewaltmittel mußten gebraucht werden, um das Werk nicht ins Stocken zu bringen; zu wiederholten Anlehen mußte man Zuflucht nehmen; Stifter und Gründer mußten unter Verpflichtungen gewonnen werden, die einer späteren Direction noch manche Verlegenheit bereiten dürften. Es ist ein bitte- res Wort, das der Präses der Gesellschaft in der Festrede gezwungen war auszusprechen: „die Schule muß sich selbst zunächst aus ihren Schulgeldern erhalten." Der'„kleingeschäftliche Organismus" des alten Hauses, so gering¬ schätzend man auf denselben nun herabblicken mag. hatte doch immer Mittel gefunden, die Schule zu erhalten, denn Hauptzweck der Gesellschaft war und blieb von allem Anbeginn die Gründung und Erhaltung ihres Konserva¬ toriums. Möge der Staat, ehe es zu spät ist, seine Stütze einem Institut nicht versagen, das sich seit seiner Gründung mühsam durch so manche Ca- lamität durchwinden mußte — einem Institut, dem Tausende von Wienern so manche genußreiche Stunde zu danken haben und das der Kirche, dem Concert, dem Theater und Lehrfach seit Jahrzehnten eine Schaar tüchtiger Kräfte zuführte. Aber was soll man von einem Staate hoffen, der Kasernen über Kasernen aufführt und dabei den Wiener Universitätsbau von Jahr zu Jahr (seit 1830) verschleppt und in dem ein Fürst Colloredo-Mansfeld an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/459>, abgerufen am 18.12.2024.