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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Müller, Bignto, Mayerhofer, Beck, Draxler, Rokitansky und Schmid hat
der vorjährige Bericht das Nöthige gesagt, über den ansehnlichen neuen Per-
sonalzuwachs wird sich das Urtheil erst mit der Zeit befestigen. -- Mit be¬
greiflichen Interesse sah man der Aufführung der "Meistersinger", der ein¬
zigen Novität seit Jahresfrist, entgegen. Wagner's Oper erzeugte, wie
vorauszusehen war, auf beiden Seiten heftige Polemik, in der beide Theile
nur schrittweise nachgaben. Seit der ersten Aufführung am 27. Februar d. I.
wurde die Oper in immer längeren Intervallen noch siebenmal wiederholt.
,Freunde und Feinde des Wagner'schen Princips haben sich auch durch diese
Oper um keinen Schritt genähert; die Urtheile sind immer dieselben ab¬
sprechender und verhimmelnden. Die Einen bedauern die Sänger, die An¬
deren wissen nicht genug die "vielen schönen Einzelheiten im Orchester" zu
betonen. Die Oper wurde mit Geschmack in Scene gesetzt und von Herbeck
mit großem Fleiße einstudirt; daß Vieles gestrichen wurde (etwa 17 Seiten
im Textbuch) konnte der Aufnahme für die hiesigen Verhältnisse nur zum
Vortheil gereichen. Die Aufführung von Gluck's "Armida" (in Wien im
Jahre 1808 ein einziges Mal gegeben und am 20. Nov. 1869 neu in Scene
gesetzt) war ein Fest für die Freunde classischer Musik, und auch das größere
Publicum, das dem breiten großen Stile dieser Gattung so ganz entfremdet
war, zeigte für sie empfänglichen Sinn. Gluck hat bekanntlich Vieles aus
seinen früheren Opern in die Armida aufgenommen, aus ?ariäö ca
Lima, 1s> Olkmensg, ni lito und namentlich aus lelemacoo. Für
die hiesige Aufführung hatte Esser die Jnstrumentation bearbeitet und sich
darin als feinfühliger Musiker bewie.sen, indem er dieselbe nicht unnöthig
überlud oder mit modernen Effecten ausstaffirte. Noch wenige Jahre
und diese Oper feiert ihr Jubiläumsfest (am 23. September 1877).

Die Ausstattung spielte in diesem ersten Theaterjahr im neuen Gebäude
die Hauptrolle. Die Sänger sanken mitunter zur bloßen Staffage herab.
Sensation machte die durch den Maler I. Hoffmann bis ins kleinste Detail in
Decoration und Costümen wissenschaftlich durchgeführte Darstellung der Zauber¬
flöte, der man damit einen durchaus nicht bedingten egyptischen Hintergrund
aufzwang. Diese Vorstellung von Mozarts Oper sucht ihres Gleichen, aber
sie wurde auch dadurch ein bloßes Ausstattungsstück, bet der die Musik nur
so nebenher lief. Tell, die Stumme, die Hugenotten und ähnliche Opern
überboten sich an blendenden Dekorationen, bunter Costümpracht und reicher
Rise-co-seönö. Die Sucht nach grellen, vielfarbigen Beleuchtungs-Effecten,
Massen.Evolutionen u. tgi. ist namentlich im Ballet so sehr auf die Spitze ge¬
trieben, daß schon jetzt eine Abstumpfung eintritt. Man betrachte nur das
Publicum -- steif und blasirt sitzt es da; für feinere wirklich künstlerische
Wiedergabe hat es kaum mehr ein Zeichen jenes zustimmenden Beifalls, der


Müller, Bignto, Mayerhofer, Beck, Draxler, Rokitansky und Schmid hat
der vorjährige Bericht das Nöthige gesagt, über den ansehnlichen neuen Per-
sonalzuwachs wird sich das Urtheil erst mit der Zeit befestigen. — Mit be¬
greiflichen Interesse sah man der Aufführung der „Meistersinger", der ein¬
zigen Novität seit Jahresfrist, entgegen. Wagner's Oper erzeugte, wie
vorauszusehen war, auf beiden Seiten heftige Polemik, in der beide Theile
nur schrittweise nachgaben. Seit der ersten Aufführung am 27. Februar d. I.
wurde die Oper in immer längeren Intervallen noch siebenmal wiederholt.
,Freunde und Feinde des Wagner'schen Princips haben sich auch durch diese
Oper um keinen Schritt genähert; die Urtheile sind immer dieselben ab¬
sprechender und verhimmelnden. Die Einen bedauern die Sänger, die An¬
deren wissen nicht genug die „vielen schönen Einzelheiten im Orchester" zu
betonen. Die Oper wurde mit Geschmack in Scene gesetzt und von Herbeck
mit großem Fleiße einstudirt; daß Vieles gestrichen wurde (etwa 17 Seiten
im Textbuch) konnte der Aufnahme für die hiesigen Verhältnisse nur zum
Vortheil gereichen. Die Aufführung von Gluck's „Armida" (in Wien im
Jahre 1808 ein einziges Mal gegeben und am 20. Nov. 1869 neu in Scene
gesetzt) war ein Fest für die Freunde classischer Musik, und auch das größere
Publicum, das dem breiten großen Stile dieser Gattung so ganz entfremdet
war, zeigte für sie empfänglichen Sinn. Gluck hat bekanntlich Vieles aus
seinen früheren Opern in die Armida aufgenommen, aus ?ariäö ca
Lima, 1s> Olkmensg, ni lito und namentlich aus lelemacoo. Für
die hiesige Aufführung hatte Esser die Jnstrumentation bearbeitet und sich
darin als feinfühliger Musiker bewie.sen, indem er dieselbe nicht unnöthig
überlud oder mit modernen Effecten ausstaffirte. Noch wenige Jahre
und diese Oper feiert ihr Jubiläumsfest (am 23. September 1877).

Die Ausstattung spielte in diesem ersten Theaterjahr im neuen Gebäude
die Hauptrolle. Die Sänger sanken mitunter zur bloßen Staffage herab.
Sensation machte die durch den Maler I. Hoffmann bis ins kleinste Detail in
Decoration und Costümen wissenschaftlich durchgeführte Darstellung der Zauber¬
flöte, der man damit einen durchaus nicht bedingten egyptischen Hintergrund
aufzwang. Diese Vorstellung von Mozarts Oper sucht ihres Gleichen, aber
sie wurde auch dadurch ein bloßes Ausstattungsstück, bet der die Musik nur
so nebenher lief. Tell, die Stumme, die Hugenotten und ähnliche Opern
überboten sich an blendenden Dekorationen, bunter Costümpracht und reicher
Rise-co-seönö. Die Sucht nach grellen, vielfarbigen Beleuchtungs-Effecten,
Massen.Evolutionen u. tgi. ist namentlich im Ballet so sehr auf die Spitze ge¬
trieben, daß schon jetzt eine Abstumpfung eintritt. Man betrachte nur das
Publicum — steif und blasirt sitzt es da; für feinere wirklich künstlerische
Wiedergabe hat es kaum mehr ein Zeichen jenes zustimmenden Beifalls, der


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[0454] Müller, Bignto, Mayerhofer, Beck, Draxler, Rokitansky und Schmid hat der vorjährige Bericht das Nöthige gesagt, über den ansehnlichen neuen Per- sonalzuwachs wird sich das Urtheil erst mit der Zeit befestigen. — Mit be¬ greiflichen Interesse sah man der Aufführung der „Meistersinger", der ein¬ zigen Novität seit Jahresfrist, entgegen. Wagner's Oper erzeugte, wie vorauszusehen war, auf beiden Seiten heftige Polemik, in der beide Theile nur schrittweise nachgaben. Seit der ersten Aufführung am 27. Februar d. I. wurde die Oper in immer längeren Intervallen noch siebenmal wiederholt. ,Freunde und Feinde des Wagner'schen Princips haben sich auch durch diese Oper um keinen Schritt genähert; die Urtheile sind immer dieselben ab¬ sprechender und verhimmelnden. Die Einen bedauern die Sänger, die An¬ deren wissen nicht genug die „vielen schönen Einzelheiten im Orchester" zu betonen. Die Oper wurde mit Geschmack in Scene gesetzt und von Herbeck mit großem Fleiße einstudirt; daß Vieles gestrichen wurde (etwa 17 Seiten im Textbuch) konnte der Aufnahme für die hiesigen Verhältnisse nur zum Vortheil gereichen. Die Aufführung von Gluck's „Armida" (in Wien im Jahre 1808 ein einziges Mal gegeben und am 20. Nov. 1869 neu in Scene gesetzt) war ein Fest für die Freunde classischer Musik, und auch das größere Publicum, das dem breiten großen Stile dieser Gattung so ganz entfremdet war, zeigte für sie empfänglichen Sinn. Gluck hat bekanntlich Vieles aus seinen früheren Opern in die Armida aufgenommen, aus ?ariäö ca Lima, 1s> Olkmensg, ni lito und namentlich aus lelemacoo. Für die hiesige Aufführung hatte Esser die Jnstrumentation bearbeitet und sich darin als feinfühliger Musiker bewie.sen, indem er dieselbe nicht unnöthig überlud oder mit modernen Effecten ausstaffirte. Noch wenige Jahre und diese Oper feiert ihr Jubiläumsfest (am 23. September 1877). Die Ausstattung spielte in diesem ersten Theaterjahr im neuen Gebäude die Hauptrolle. Die Sänger sanken mitunter zur bloßen Staffage herab. Sensation machte die durch den Maler I. Hoffmann bis ins kleinste Detail in Decoration und Costümen wissenschaftlich durchgeführte Darstellung der Zauber¬ flöte, der man damit einen durchaus nicht bedingten egyptischen Hintergrund aufzwang. Diese Vorstellung von Mozarts Oper sucht ihres Gleichen, aber sie wurde auch dadurch ein bloßes Ausstattungsstück, bet der die Musik nur so nebenher lief. Tell, die Stumme, die Hugenotten und ähnliche Opern überboten sich an blendenden Dekorationen, bunter Costümpracht und reicher Rise-co-seönö. Die Sucht nach grellen, vielfarbigen Beleuchtungs-Effecten, Massen.Evolutionen u. tgi. ist namentlich im Ballet so sehr auf die Spitze ge¬ trieben, daß schon jetzt eine Abstumpfung eintritt. Man betrachte nur das Publicum — steif und blasirt sitzt es da; für feinere wirklich künstlerische Wiedergabe hat es kaum mehr ein Zeichen jenes zustimmenden Beifalls, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/454>, abgerufen am 27.07.2024.