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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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zu ziehen, und am 6. April genehmigte der Reichstag diesen Antrag in fol¬
gender von Grundrecht vorgeschlagener Fassung:


"Z. 1. Bis zur gesetzlichen Feststellung der Grundsätze über die Emission
von Papiergeld -- Art. 4 Ur. 3 der B.-V. -- darf von den Staaten des
Norddeutschen Bundes nur auf Grund eines auf den Antrag der betheilig,
ten Landesregierung erlassenen Bundesgesetzes unverzinsliches Papiergeld aus-
gegeben, oder dessen Ausgabe gestattet werden. -- §. 2. Das zur Zeit um-
laufende Papiergeld nach stattgefundener Einziehung durch neue Werthzeichen
zu ersetzen, beziehungsweise dagegen umzutauschen, ist gestattet. -- Hierbet
darf jedoch Papiergeld von geringem Nennwerthe an die Stelle von Papier¬
geld höheren Nennwerthes nicht gesetzt werden."

Dieser Gesetzentwurf ist der einzige, über den bis jetzt eine definitive Be-
schlußfassung des Bundesrathes nicht erfolgt ist. Nach den im Laufe der
Debatte vom Minister Delbrück gethanen Aeußerungen war nicht daran zu
Zweifeln, daß derselbe seitens der Präsidialmacht gebilligt wird, der es doch
nicht mißlingen dürfte, dem Entwurf auch im Bundesrath die Majorität zu
verschaffen. Aber sei dem. wie ihm wolle: nachdem der Antrag vom Reichstag
einmal angenommen war. durfte keine Einzelregierung vor etwaniger Abich.
mung desselben durch den Bundesrath im Widerspruch mit demselben vor¬
gehen, ohne sich denselben, wenn nicht schärfern Vorwürfen auszusetzen, als
sie der Reußifchen Regierung in dem oben erwähnten Falle gemacht wurden.
Mecklenburg-Schwerin handelte anders. Es benutzte die Zwischenzeit bis zur
Entscheidung des Bundesraths zur Ausführung eines Finanzmanövers, für
dessen Kennzeichnung wir kaum einen passenderen Vergleich wüßten, als das
Verfahren eines materiell insolventen Schuldners, der vor Ausbruch des for-
wellen Concurses noch zu retten sucht, was sich retten läßt.

Die Leser der Grenzboten werden sich erinnern, wie viel über die ver¬
zinslichen Rentereianweisungen gesprochen und geschrieben ist, welche Mecklen-
burg-Schwerin nach dem Vorgang von Strelitz mittels einer im November
v-J. publicirten. aber auffälliger Weise schon anderthalb Jahre früher
datirten Verordnung zu creiren versuchte. Auf Andrängen der Stände
Wurde diese Emission später auf eine halbe Million beschränkt.

Jetzt hat plötzlich die großherzogliche Regierung die Wiedereinziehung
dieser mit 2<H verzinslichen Rentereianweisungen angeordnet, zu welchem
Zwecke eine Million unverzinslicher Renterei-Cassenscheine ausgegeben werden
soll! Die Ausgabe verzinslicher Anweisungen bedroht auch die Zukunft mit
keinem Hinderniß, aber der fatale Miquel'sche Gesetzentwurf droht die Papier-
geldpresse für unverzinsliche Noten baldigst lahm zu legen und deshalb mußte
Mecklenburg rasch noch mit diesen, ihm bisher in eigenem Fabrikat unbe¬
kannten Werthzeichen beglückt werden.


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zu ziehen, und am 6. April genehmigte der Reichstag diesen Antrag in fol¬
gender von Grundrecht vorgeschlagener Fassung:


„Z. 1. Bis zur gesetzlichen Feststellung der Grundsätze über die Emission
von Papiergeld — Art. 4 Ur. 3 der B.-V. — darf von den Staaten des
Norddeutschen Bundes nur auf Grund eines auf den Antrag der betheilig,
ten Landesregierung erlassenen Bundesgesetzes unverzinsliches Papiergeld aus-
gegeben, oder dessen Ausgabe gestattet werden. — §. 2. Das zur Zeit um-
laufende Papiergeld nach stattgefundener Einziehung durch neue Werthzeichen
zu ersetzen, beziehungsweise dagegen umzutauschen, ist gestattet. — Hierbet
darf jedoch Papiergeld von geringem Nennwerthe an die Stelle von Papier¬
geld höheren Nennwerthes nicht gesetzt werden."

Dieser Gesetzentwurf ist der einzige, über den bis jetzt eine definitive Be-
schlußfassung des Bundesrathes nicht erfolgt ist. Nach den im Laufe der
Debatte vom Minister Delbrück gethanen Aeußerungen war nicht daran zu
Zweifeln, daß derselbe seitens der Präsidialmacht gebilligt wird, der es doch
nicht mißlingen dürfte, dem Entwurf auch im Bundesrath die Majorität zu
verschaffen. Aber sei dem. wie ihm wolle: nachdem der Antrag vom Reichstag
einmal angenommen war. durfte keine Einzelregierung vor etwaniger Abich.
mung desselben durch den Bundesrath im Widerspruch mit demselben vor¬
gehen, ohne sich denselben, wenn nicht schärfern Vorwürfen auszusetzen, als
sie der Reußifchen Regierung in dem oben erwähnten Falle gemacht wurden.
Mecklenburg-Schwerin handelte anders. Es benutzte die Zwischenzeit bis zur
Entscheidung des Bundesraths zur Ausführung eines Finanzmanövers, für
dessen Kennzeichnung wir kaum einen passenderen Vergleich wüßten, als das
Verfahren eines materiell insolventen Schuldners, der vor Ausbruch des for-
wellen Concurses noch zu retten sucht, was sich retten läßt.

Die Leser der Grenzboten werden sich erinnern, wie viel über die ver¬
zinslichen Rentereianweisungen gesprochen und geschrieben ist, welche Mecklen-
burg-Schwerin nach dem Vorgang von Strelitz mittels einer im November
v-J. publicirten. aber auffälliger Weise schon anderthalb Jahre früher
datirten Verordnung zu creiren versuchte. Auf Andrängen der Stände
Wurde diese Emission später auf eine halbe Million beschränkt.

Jetzt hat plötzlich die großherzogliche Regierung die Wiedereinziehung
dieser mit 2<H verzinslichen Rentereianweisungen angeordnet, zu welchem
Zwecke eine Million unverzinslicher Renterei-Cassenscheine ausgegeben werden
soll! Die Ausgabe verzinslicher Anweisungen bedroht auch die Zukunft mit
keinem Hinderniß, aber der fatale Miquel'sche Gesetzentwurf droht die Papier-
geldpresse für unverzinsliche Noten baldigst lahm zu legen und deshalb mußte
Mecklenburg rasch noch mit diesen, ihm bisher in eigenem Fabrikat unbe¬
kannten Werthzeichen beglückt werden.


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[0441] zu ziehen, und am 6. April genehmigte der Reichstag diesen Antrag in fol¬ gender von Grundrecht vorgeschlagener Fassung: „Z. 1. Bis zur gesetzlichen Feststellung der Grundsätze über die Emission von Papiergeld — Art. 4 Ur. 3 der B.-V. — darf von den Staaten des Norddeutschen Bundes nur auf Grund eines auf den Antrag der betheilig, ten Landesregierung erlassenen Bundesgesetzes unverzinsliches Papiergeld aus- gegeben, oder dessen Ausgabe gestattet werden. — §. 2. Das zur Zeit um- laufende Papiergeld nach stattgefundener Einziehung durch neue Werthzeichen zu ersetzen, beziehungsweise dagegen umzutauschen, ist gestattet. — Hierbet darf jedoch Papiergeld von geringem Nennwerthe an die Stelle von Papier¬ geld höheren Nennwerthes nicht gesetzt werden." Dieser Gesetzentwurf ist der einzige, über den bis jetzt eine definitive Be- schlußfassung des Bundesrathes nicht erfolgt ist. Nach den im Laufe der Debatte vom Minister Delbrück gethanen Aeußerungen war nicht daran zu Zweifeln, daß derselbe seitens der Präsidialmacht gebilligt wird, der es doch nicht mißlingen dürfte, dem Entwurf auch im Bundesrath die Majorität zu verschaffen. Aber sei dem. wie ihm wolle: nachdem der Antrag vom Reichstag einmal angenommen war. durfte keine Einzelregierung vor etwaniger Abich. mung desselben durch den Bundesrath im Widerspruch mit demselben vor¬ gehen, ohne sich denselben, wenn nicht schärfern Vorwürfen auszusetzen, als sie der Reußifchen Regierung in dem oben erwähnten Falle gemacht wurden. Mecklenburg-Schwerin handelte anders. Es benutzte die Zwischenzeit bis zur Entscheidung des Bundesraths zur Ausführung eines Finanzmanövers, für dessen Kennzeichnung wir kaum einen passenderen Vergleich wüßten, als das Verfahren eines materiell insolventen Schuldners, der vor Ausbruch des for- wellen Concurses noch zu retten sucht, was sich retten läßt. Die Leser der Grenzboten werden sich erinnern, wie viel über die ver¬ zinslichen Rentereianweisungen gesprochen und geschrieben ist, welche Mecklen- burg-Schwerin nach dem Vorgang von Strelitz mittels einer im November v-J. publicirten. aber auffälliger Weise schon anderthalb Jahre früher datirten Verordnung zu creiren versuchte. Auf Andrängen der Stände Wurde diese Emission später auf eine halbe Million beschränkt. Jetzt hat plötzlich die großherzogliche Regierung die Wiedereinziehung dieser mit 2<H verzinslichen Rentereianweisungen angeordnet, zu welchem Zwecke eine Million unverzinslicher Renterei-Cassenscheine ausgegeben werden soll! Die Ausgabe verzinslicher Anweisungen bedroht auch die Zukunft mit keinem Hinderniß, aber der fatale Miquel'sche Gesetzentwurf droht die Papier- geldpresse für unverzinsliche Noten baldigst lahm zu legen und deshalb mußte Mecklenburg rasch noch mit diesen, ihm bisher in eigenem Fabrikat unbe¬ kannten Werthzeichen beglückt werden. 55*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/441>, abgerufen am 27.07.2024.