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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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wie Herr Frese. Herr Mayer, Herr Klopp und wie die anderen heißen, deren
Gebahren schon eine Demüthigung für Deutschland ist. Gewiß würde kein
vernünftiger Mensch etwas dagegen einwenden, wenn der Märker auch vom
Slaven stammte, denn es kommt darauf an, was eine Sache ist, aber nicht
aus welchen Atomen sie sich zusammengesetzt hat, aber da die Tendenzpolitik
mit diesem Irrthum so frech zu operiren pflegt, so ist es wünschenswerth,
daß er von jedem, der seiner nicht zu diesem Zwecke bedarf, bei Seite ge-
than werde.

Unwillkürlich arbeitet dadurch der wohlgesinnte Verfasser seinem eigenen
Zwecke entgegen. Er versichert uns und wir haben Grund seiner Versiche-
rung zu glauben, daß es ihm darum zu thun, die Lichtseiten des Nordens,
wie des Südens aufzusuchen und mit gleicher Freudigkeit anzuerkennen, da¬
neben die Schattenseiten nicht gänzlich zu übersehen und mittels einer natur¬
getreuen Zeichnung von Land und Leuten sein bescheiden Theil dazu bei¬
zutragen, die hüben und drüben noch bestehenden Vorurtheile zu entfernen.
Denn "der Süden kennt den Norden, der Norden den Süden noch viel zü
wenig. Das, was beide Theile von einander kennen, sind oft nur ihre beider-
seitigen Mängel." Oder: "Im.wesentlichen stehen sich alle deutschen Stämme,
stehen sich der deutsche Norden und Süden näher, als es auf den ersten An¬
blick scheint -- viel näher als unsere Stämme im Norden und Süden selbst
^ meinen und vermuthen."

"Trotz dieser inneren Annäherung, dieser entschiedenen Wahlverwandt¬
schaft unseres Nordens und Südens hegen diese beiden Hälften unseres
Vaterlandes doch noch immer -- zu ihrem eigenen Schaden!- die abenteuer¬
lichsten Vorurtheile, die ungegründetsten Antipathien gegen einander; Zu¬
stände und Thatsachen, die, so beklagenswerth sie im Interesse unserer natio¬
nalen Einheit und Macht sind, zugleich eine so entschieden komische Seite
haben, daß man im Norden wie im Süden unwillkürlich an jene famose Ge-
schichte "von den zwei Gespenstern" erinnert wird."

"Um die Geisterstunde, bei Nacht und Nebel, begegnen sich an einem
Kreuzwege zwei Gespenster. Sie bleiben gegenseitig erschreckt stehen und
starren regungslos einander an. bis es Tag wird, wo die beiden Gespenster
sich dann als Bauerweiber und Schwestern gegenseitig erkennen und beschämt
davon eilen."

..Aehnlich ergeht es noch heute vielen Norddeutschen, wenn sie zum ersten
Male in ihrem Leben einen Süddeutschen oder gar einen geborenen Oestreicher
^ und umgekehrt geht es so vielen Süddeutschen, wenn sie zum ersten Male
einen Norddeutschen oder gar einen Berliner erblicken."

Das alles mag nun recht wohl gemeint sein, doch wird das Bedauern nicht
viel helfen, wenn der eigentliche Grund dieser Mißverständnisse -- wenigstens


wie Herr Frese. Herr Mayer, Herr Klopp und wie die anderen heißen, deren
Gebahren schon eine Demüthigung für Deutschland ist. Gewiß würde kein
vernünftiger Mensch etwas dagegen einwenden, wenn der Märker auch vom
Slaven stammte, denn es kommt darauf an, was eine Sache ist, aber nicht
aus welchen Atomen sie sich zusammengesetzt hat, aber da die Tendenzpolitik
mit diesem Irrthum so frech zu operiren pflegt, so ist es wünschenswerth,
daß er von jedem, der seiner nicht zu diesem Zwecke bedarf, bei Seite ge-
than werde.

Unwillkürlich arbeitet dadurch der wohlgesinnte Verfasser seinem eigenen
Zwecke entgegen. Er versichert uns und wir haben Grund seiner Versiche-
rung zu glauben, daß es ihm darum zu thun, die Lichtseiten des Nordens,
wie des Südens aufzusuchen und mit gleicher Freudigkeit anzuerkennen, da¬
neben die Schattenseiten nicht gänzlich zu übersehen und mittels einer natur¬
getreuen Zeichnung von Land und Leuten sein bescheiden Theil dazu bei¬
zutragen, die hüben und drüben noch bestehenden Vorurtheile zu entfernen.
Denn „der Süden kennt den Norden, der Norden den Süden noch viel zü
wenig. Das, was beide Theile von einander kennen, sind oft nur ihre beider-
seitigen Mängel." Oder: „Im.wesentlichen stehen sich alle deutschen Stämme,
stehen sich der deutsche Norden und Süden näher, als es auf den ersten An¬
blick scheint — viel näher als unsere Stämme im Norden und Süden selbst
^ meinen und vermuthen."

„Trotz dieser inneren Annäherung, dieser entschiedenen Wahlverwandt¬
schaft unseres Nordens und Südens hegen diese beiden Hälften unseres
Vaterlandes doch noch immer — zu ihrem eigenen Schaden!- die abenteuer¬
lichsten Vorurtheile, die ungegründetsten Antipathien gegen einander; Zu¬
stände und Thatsachen, die, so beklagenswerth sie im Interesse unserer natio¬
nalen Einheit und Macht sind, zugleich eine so entschieden komische Seite
haben, daß man im Norden wie im Süden unwillkürlich an jene famose Ge-
schichte „von den zwei Gespenstern" erinnert wird."

„Um die Geisterstunde, bei Nacht und Nebel, begegnen sich an einem
Kreuzwege zwei Gespenster. Sie bleiben gegenseitig erschreckt stehen und
starren regungslos einander an. bis es Tag wird, wo die beiden Gespenster
sich dann als Bauerweiber und Schwestern gegenseitig erkennen und beschämt
davon eilen."

..Aehnlich ergeht es noch heute vielen Norddeutschen, wenn sie zum ersten
Male in ihrem Leben einen Süddeutschen oder gar einen geborenen Oestreicher
^ und umgekehrt geht es so vielen Süddeutschen, wenn sie zum ersten Male
einen Norddeutschen oder gar einen Berliner erblicken."

Das alles mag nun recht wohl gemeint sein, doch wird das Bedauern nicht
viel helfen, wenn der eigentliche Grund dieser Mißverständnisse — wenigstens


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[0427] wie Herr Frese. Herr Mayer, Herr Klopp und wie die anderen heißen, deren Gebahren schon eine Demüthigung für Deutschland ist. Gewiß würde kein vernünftiger Mensch etwas dagegen einwenden, wenn der Märker auch vom Slaven stammte, denn es kommt darauf an, was eine Sache ist, aber nicht aus welchen Atomen sie sich zusammengesetzt hat, aber da die Tendenzpolitik mit diesem Irrthum so frech zu operiren pflegt, so ist es wünschenswerth, daß er von jedem, der seiner nicht zu diesem Zwecke bedarf, bei Seite ge- than werde. Unwillkürlich arbeitet dadurch der wohlgesinnte Verfasser seinem eigenen Zwecke entgegen. Er versichert uns und wir haben Grund seiner Versiche- rung zu glauben, daß es ihm darum zu thun, die Lichtseiten des Nordens, wie des Südens aufzusuchen und mit gleicher Freudigkeit anzuerkennen, da¬ neben die Schattenseiten nicht gänzlich zu übersehen und mittels einer natur¬ getreuen Zeichnung von Land und Leuten sein bescheiden Theil dazu bei¬ zutragen, die hüben und drüben noch bestehenden Vorurtheile zu entfernen. Denn „der Süden kennt den Norden, der Norden den Süden noch viel zü wenig. Das, was beide Theile von einander kennen, sind oft nur ihre beider- seitigen Mängel." Oder: „Im.wesentlichen stehen sich alle deutschen Stämme, stehen sich der deutsche Norden und Süden näher, als es auf den ersten An¬ blick scheint — viel näher als unsere Stämme im Norden und Süden selbst ^ meinen und vermuthen." „Trotz dieser inneren Annäherung, dieser entschiedenen Wahlverwandt¬ schaft unseres Nordens und Südens hegen diese beiden Hälften unseres Vaterlandes doch noch immer — zu ihrem eigenen Schaden!- die abenteuer¬ lichsten Vorurtheile, die ungegründetsten Antipathien gegen einander; Zu¬ stände und Thatsachen, die, so beklagenswerth sie im Interesse unserer natio¬ nalen Einheit und Macht sind, zugleich eine so entschieden komische Seite haben, daß man im Norden wie im Süden unwillkürlich an jene famose Ge- schichte „von den zwei Gespenstern" erinnert wird." „Um die Geisterstunde, bei Nacht und Nebel, begegnen sich an einem Kreuzwege zwei Gespenster. Sie bleiben gegenseitig erschreckt stehen und starren regungslos einander an. bis es Tag wird, wo die beiden Gespenster sich dann als Bauerweiber und Schwestern gegenseitig erkennen und beschämt davon eilen." ..Aehnlich ergeht es noch heute vielen Norddeutschen, wenn sie zum ersten Male in ihrem Leben einen Süddeutschen oder gar einen geborenen Oestreicher ^ und umgekehrt geht es so vielen Süddeutschen, wenn sie zum ersten Male einen Norddeutschen oder gar einen Berliner erblicken." Das alles mag nun recht wohl gemeint sein, doch wird das Bedauern nicht viel helfen, wenn der eigentliche Grund dieser Mißverständnisse — wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/427>, abgerufen am 27.07.2024.