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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Was vor ihm liegt, hat, wie in seiner Art Droysen geistvoll und energisch
zeigt -- allerdings nicht blos archäologisches, sondern theilweise ein ganz
reales Interesse für die Gegenwart, während es seit dem ersten Tage des
großen Kurfürsten keine Phase in der preußischen Geschichte gibt, deren
lebendige Nachwirkungen wir nicht noch heute, sei es zu unserem Glücke, sei
es zu unserem Schaden empfänden.

Die verständige Einsicht in das geschichtliche Werden gibt überall und
so auch hier das eigentliche Verständniß des Gewordenen und den Schlüssel
seiner Zukunft. Vergleichen wir den systematischen Theil unseres preußischen
Staatsrechtes, so weit er bis jetzt vorliegt, also die Lehre von der königlichen
Gewalt in Preußen mit dem, was uns die preußische Geschichte über die
Thätigkeit der concreten Lenker des Staates sagt, so ist es nicht schwer zu
begreifen, daß das preußische Königthum etwas ganz anderes sein muß, als
etwa das englische, oder, um auf deutschem Boden zu bleiben, das von
Napoleons Gnaden gekrönte Particularfürstenthum. Kein besonnener Denker
kann sich dieser Einsicht verschließen, aber sie fut).r,t noch lange nicht dazu,
den monarchischen Absolutismus in dieser oder 'jener Form als den nor-
malen Zustand des preußischen Staatswesens aufzustellen. Im Gegentheil
ist es gerade die gewissenhafte und verständige Betrachtung der Geschichte,
aus welcher sich die allmälig vollzogene und noch lange nicht abgeschlossene
Umwandlung und Beschränkung des monarchischen Absolutismus durch den
Hinzutritt und die Theilnahme anderer, aus dem Volke stammender Elemente
an der Leitung des Staates, allein erklärt und rechtfertigt, ebenso wie nur
daraus die Umbildung aus dem anfänglich allein berechtigten und mög¬
lichen aristokratischen oder oligarchischen Bestandtheile des Beamtenthums in
die mehr demokratischen oder volksthümlichen Formen des modernen Consti-
tutionalismus begreiflich wird. Reactionäre aller Sorten und unsere nicht
weniger unbrauchbaren Doctrinäre des vulgären Liberalismus und der radi¬
kalen Presse werden daher an einer geschichtlichen Begründung der facti-
schen Zustände des preußischen Staatswesens, wie sie uns gegeben ist.
sich nicht sehr erbauen, und ihr Urheber muß es sich natürlich gefallen
lassen, worauf er. wie wir vermuthen, schon vorbereitet ist, sich von der
einen Seite als gefährlicher Reactionär verschreien zu hören. Dafür mag er
sich mit der Zustimmung aller derer trösten, denen die Vernunft und das
Gewissen höher steht als die Parteiparole, und für solche hat er eigentlich
auch nur sein Buch geschrieben. Die anderen sind doch unfähig zu lernen,
wie ja die Erfahrung eines jeden Tages zeigt. --

Denn das preußische Königthum nach seiner gesunden, auf die Logik der
Geschichte unwiderleglich gegründeten Auffassung entspricht weder dem


Trcnzbottn it. 1S70. 60

Was vor ihm liegt, hat, wie in seiner Art Droysen geistvoll und energisch
zeigt — allerdings nicht blos archäologisches, sondern theilweise ein ganz
reales Interesse für die Gegenwart, während es seit dem ersten Tage des
großen Kurfürsten keine Phase in der preußischen Geschichte gibt, deren
lebendige Nachwirkungen wir nicht noch heute, sei es zu unserem Glücke, sei
es zu unserem Schaden empfänden.

Die verständige Einsicht in das geschichtliche Werden gibt überall und
so auch hier das eigentliche Verständniß des Gewordenen und den Schlüssel
seiner Zukunft. Vergleichen wir den systematischen Theil unseres preußischen
Staatsrechtes, so weit er bis jetzt vorliegt, also die Lehre von der königlichen
Gewalt in Preußen mit dem, was uns die preußische Geschichte über die
Thätigkeit der concreten Lenker des Staates sagt, so ist es nicht schwer zu
begreifen, daß das preußische Königthum etwas ganz anderes sein muß, als
etwa das englische, oder, um auf deutschem Boden zu bleiben, das von
Napoleons Gnaden gekrönte Particularfürstenthum. Kein besonnener Denker
kann sich dieser Einsicht verschließen, aber sie fut).r,t noch lange nicht dazu,
den monarchischen Absolutismus in dieser oder 'jener Form als den nor-
malen Zustand des preußischen Staatswesens aufzustellen. Im Gegentheil
ist es gerade die gewissenhafte und verständige Betrachtung der Geschichte,
aus welcher sich die allmälig vollzogene und noch lange nicht abgeschlossene
Umwandlung und Beschränkung des monarchischen Absolutismus durch den
Hinzutritt und die Theilnahme anderer, aus dem Volke stammender Elemente
an der Leitung des Staates, allein erklärt und rechtfertigt, ebenso wie nur
daraus die Umbildung aus dem anfänglich allein berechtigten und mög¬
lichen aristokratischen oder oligarchischen Bestandtheile des Beamtenthums in
die mehr demokratischen oder volksthümlichen Formen des modernen Consti-
tutionalismus begreiflich wird. Reactionäre aller Sorten und unsere nicht
weniger unbrauchbaren Doctrinäre des vulgären Liberalismus und der radi¬
kalen Presse werden daher an einer geschichtlichen Begründung der facti-
schen Zustände des preußischen Staatswesens, wie sie uns gegeben ist.
sich nicht sehr erbauen, und ihr Urheber muß es sich natürlich gefallen
lassen, worauf er. wie wir vermuthen, schon vorbereitet ist, sich von der
einen Seite als gefährlicher Reactionär verschreien zu hören. Dafür mag er
sich mit der Zustimmung aller derer trösten, denen die Vernunft und das
Gewissen höher steht als die Parteiparole, und für solche hat er eigentlich
auch nur sein Buch geschrieben. Die anderen sind doch unfähig zu lernen,
wie ja die Erfahrung eines jeden Tages zeigt. —

Denn das preußische Königthum nach seiner gesunden, auf die Logik der
Geschichte unwiderleglich gegründeten Auffassung entspricht weder dem


Trcnzbottn it. 1S70. 60
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[0399] Was vor ihm liegt, hat, wie in seiner Art Droysen geistvoll und energisch zeigt — allerdings nicht blos archäologisches, sondern theilweise ein ganz reales Interesse für die Gegenwart, während es seit dem ersten Tage des großen Kurfürsten keine Phase in der preußischen Geschichte gibt, deren lebendige Nachwirkungen wir nicht noch heute, sei es zu unserem Glücke, sei es zu unserem Schaden empfänden. Die verständige Einsicht in das geschichtliche Werden gibt überall und so auch hier das eigentliche Verständniß des Gewordenen und den Schlüssel seiner Zukunft. Vergleichen wir den systematischen Theil unseres preußischen Staatsrechtes, so weit er bis jetzt vorliegt, also die Lehre von der königlichen Gewalt in Preußen mit dem, was uns die preußische Geschichte über die Thätigkeit der concreten Lenker des Staates sagt, so ist es nicht schwer zu begreifen, daß das preußische Königthum etwas ganz anderes sein muß, als etwa das englische, oder, um auf deutschem Boden zu bleiben, das von Napoleons Gnaden gekrönte Particularfürstenthum. Kein besonnener Denker kann sich dieser Einsicht verschließen, aber sie fut).r,t noch lange nicht dazu, den monarchischen Absolutismus in dieser oder 'jener Form als den nor- malen Zustand des preußischen Staatswesens aufzustellen. Im Gegentheil ist es gerade die gewissenhafte und verständige Betrachtung der Geschichte, aus welcher sich die allmälig vollzogene und noch lange nicht abgeschlossene Umwandlung und Beschränkung des monarchischen Absolutismus durch den Hinzutritt und die Theilnahme anderer, aus dem Volke stammender Elemente an der Leitung des Staates, allein erklärt und rechtfertigt, ebenso wie nur daraus die Umbildung aus dem anfänglich allein berechtigten und mög¬ lichen aristokratischen oder oligarchischen Bestandtheile des Beamtenthums in die mehr demokratischen oder volksthümlichen Formen des modernen Consti- tutionalismus begreiflich wird. Reactionäre aller Sorten und unsere nicht weniger unbrauchbaren Doctrinäre des vulgären Liberalismus und der radi¬ kalen Presse werden daher an einer geschichtlichen Begründung der facti- schen Zustände des preußischen Staatswesens, wie sie uns gegeben ist. sich nicht sehr erbauen, und ihr Urheber muß es sich natürlich gefallen lassen, worauf er. wie wir vermuthen, schon vorbereitet ist, sich von der einen Seite als gefährlicher Reactionär verschreien zu hören. Dafür mag er sich mit der Zustimmung aller derer trösten, denen die Vernunft und das Gewissen höher steht als die Parteiparole, und für solche hat er eigentlich auch nur sein Buch geschrieben. Die anderen sind doch unfähig zu lernen, wie ja die Erfahrung eines jeden Tages zeigt. — Denn das preußische Königthum nach seiner gesunden, auf die Logik der Geschichte unwiderleglich gegründeten Auffassung entspricht weder dem Trcnzbottn it. 1S70. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/399>, abgerufen am 27.07.2024.