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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Ausgabe 1817 an. Einen andern bezüglichen Archaismus haben die älteren
der Druckausgaben noch mit unserer Handschrift gemein. Am Schluß der
Schilderung von dem Siegesjubel der Knaben in der Freundschaftslaube
lesen wir, wie unter der Löwenhaut, auf der sie sitzen, ein Murmelkasten
vorgucke: "Daraus denn bald ein Jedermann (Z. 156) Ihre hohe Ankunft
errathen kann." Erst die Ausgabe von 1840, wie dann auch die neueste
Cottasche (Ausgew. W. Bd. 16, Stuttgart 1867) hat Abkunft. Daß dieses
ganz sinngemäß sei, unterliegt keinem Zweifel. Da aber Luther und über¬
haupt die Sprache des 16. Jahrhunderts, die sich der jugendliche Goethe so
mannigfach angeeignet hat, Ankunft in dem Sinne gebrauchte, in welchem
wir jetzt nur Herkunft oder Abkunft sagen, und da in unserem Gedicht an
dieser Stelle alle bei Goethe's Leben erschienenen Druckausgaben und die
von ihm dictirte Tiefurter Handschrift Ankunft haben, so ist zuverlässig,
daß er hier dieses Wort gesetzt und nicht Abkunft. Auch in Goethe's Iphi-
genie findet sich (beiläufig bemerkt) eben diese Variante, worüber unlängst
Sauppe (Göttinger Sommerprogramm 1870 S. 7 f.) gesprochen hat. An
einer Stelle, wo zwei von den ältesten Bearbeitungen, wie auch die Fest¬
ausgabe von 1825 und von der des Jahres 1828 an alle folgenden Aus¬
gaben die Lesart: "das Geheimniß deiner Ankunft" geben, hat man aus an¬
deren Recensionen Abkunft als allein passend vorziehen wollen. Dies be¬
seitigt Sauppe durch den Nachweis, daß Jphigeniens Verschweigen ihrer
Herkunft und Vergangenheit untrennbar sei von dem Schweigen über Art
und Weg ihrer Ankunft im taurischen Heiligthum, welche sie und Thoas
einfach als unmittelbare Handlung der Göttin und Einsetzung zu ihrer Prie¬
sterin anzunehmen haben. Zugleich bemerkt Sauppe, der Dichter brauche
wiederholt in diesem Drama den Ausdruck Herkunft, niemals Abkunft.
Hierzu kann der Zusatz gemacht werden, daß auf Grund des älteren Sprach¬
gebrauchs (den Grimm's Wörterbuch auch noch bei Opitz und noch bei
Schriftstellern des 18. Jahrhunderts nachweist) und kraft der Stelle unseres
Gedichts, wo der Ausdruck Ankunft jene Deutung, die in der Iphigenie
ihm gegeben werden kann, nicht zuläßt, unleugbar Goethe zur Zeit der Ab¬
fassung seiner Iphigenie Ankunft gleichbedeutend mit Herkunft gebraucht
hat. Dieses sei für die Quellnähe der Tiefurter Handschrift angeführt, nicht
um es zu tadeln, wenn man für neuere Leser "Abkunft" drucken läßt. Der¬
gleichen Aenderungen in das zur Zeit Currentere hat Goethe bei Leben Cor-
rectoren und Revisoren zugestanden; auch wohl einmal selbst vorgenommen.
Es ist etwas Aehnliches, daß er die ursprünglich gebrauchte mundartliche
Wortform für den Druck in die schriftdeutsche hat ändern lassen Z. 218 un¬
seres Gedichtes, wo in der Tiefurter Handschrift die Epigrammendichter mit
"Lettichkugeln" schießen, schon im ersten Druck aber hochdeutsch mit


Ausgabe 1817 an. Einen andern bezüglichen Archaismus haben die älteren
der Druckausgaben noch mit unserer Handschrift gemein. Am Schluß der
Schilderung von dem Siegesjubel der Knaben in der Freundschaftslaube
lesen wir, wie unter der Löwenhaut, auf der sie sitzen, ein Murmelkasten
vorgucke: „Daraus denn bald ein Jedermann (Z. 156) Ihre hohe Ankunft
errathen kann." Erst die Ausgabe von 1840, wie dann auch die neueste
Cottasche (Ausgew. W. Bd. 16, Stuttgart 1867) hat Abkunft. Daß dieses
ganz sinngemäß sei, unterliegt keinem Zweifel. Da aber Luther und über¬
haupt die Sprache des 16. Jahrhunderts, die sich der jugendliche Goethe so
mannigfach angeeignet hat, Ankunft in dem Sinne gebrauchte, in welchem
wir jetzt nur Herkunft oder Abkunft sagen, und da in unserem Gedicht an
dieser Stelle alle bei Goethe's Leben erschienenen Druckausgaben und die
von ihm dictirte Tiefurter Handschrift Ankunft haben, so ist zuverlässig,
daß er hier dieses Wort gesetzt und nicht Abkunft. Auch in Goethe's Iphi-
genie findet sich (beiläufig bemerkt) eben diese Variante, worüber unlängst
Sauppe (Göttinger Sommerprogramm 1870 S. 7 f.) gesprochen hat. An
einer Stelle, wo zwei von den ältesten Bearbeitungen, wie auch die Fest¬
ausgabe von 1825 und von der des Jahres 1828 an alle folgenden Aus¬
gaben die Lesart: „das Geheimniß deiner Ankunft" geben, hat man aus an¬
deren Recensionen Abkunft als allein passend vorziehen wollen. Dies be¬
seitigt Sauppe durch den Nachweis, daß Jphigeniens Verschweigen ihrer
Herkunft und Vergangenheit untrennbar sei von dem Schweigen über Art
und Weg ihrer Ankunft im taurischen Heiligthum, welche sie und Thoas
einfach als unmittelbare Handlung der Göttin und Einsetzung zu ihrer Prie¬
sterin anzunehmen haben. Zugleich bemerkt Sauppe, der Dichter brauche
wiederholt in diesem Drama den Ausdruck Herkunft, niemals Abkunft.
Hierzu kann der Zusatz gemacht werden, daß auf Grund des älteren Sprach¬
gebrauchs (den Grimm's Wörterbuch auch noch bei Opitz und noch bei
Schriftstellern des 18. Jahrhunderts nachweist) und kraft der Stelle unseres
Gedichts, wo der Ausdruck Ankunft jene Deutung, die in der Iphigenie
ihm gegeben werden kann, nicht zuläßt, unleugbar Goethe zur Zeit der Ab¬
fassung seiner Iphigenie Ankunft gleichbedeutend mit Herkunft gebraucht
hat. Dieses sei für die Quellnähe der Tiefurter Handschrift angeführt, nicht
um es zu tadeln, wenn man für neuere Leser „Abkunft" drucken läßt. Der¬
gleichen Aenderungen in das zur Zeit Currentere hat Goethe bei Leben Cor-
rectoren und Revisoren zugestanden; auch wohl einmal selbst vorgenommen.
Es ist etwas Aehnliches, daß er die ursprünglich gebrauchte mundartliche
Wortform für den Druck in die schriftdeutsche hat ändern lassen Z. 218 un¬
seres Gedichtes, wo in der Tiefurter Handschrift die Epigrammendichter mit
„Lettichkugeln" schießen, schon im ersten Druck aber hochdeutsch mit


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[0352] Ausgabe 1817 an. Einen andern bezüglichen Archaismus haben die älteren der Druckausgaben noch mit unserer Handschrift gemein. Am Schluß der Schilderung von dem Siegesjubel der Knaben in der Freundschaftslaube lesen wir, wie unter der Löwenhaut, auf der sie sitzen, ein Murmelkasten vorgucke: „Daraus denn bald ein Jedermann (Z. 156) Ihre hohe Ankunft errathen kann." Erst die Ausgabe von 1840, wie dann auch die neueste Cottasche (Ausgew. W. Bd. 16, Stuttgart 1867) hat Abkunft. Daß dieses ganz sinngemäß sei, unterliegt keinem Zweifel. Da aber Luther und über¬ haupt die Sprache des 16. Jahrhunderts, die sich der jugendliche Goethe so mannigfach angeeignet hat, Ankunft in dem Sinne gebrauchte, in welchem wir jetzt nur Herkunft oder Abkunft sagen, und da in unserem Gedicht an dieser Stelle alle bei Goethe's Leben erschienenen Druckausgaben und die von ihm dictirte Tiefurter Handschrift Ankunft haben, so ist zuverlässig, daß er hier dieses Wort gesetzt und nicht Abkunft. Auch in Goethe's Iphi- genie findet sich (beiläufig bemerkt) eben diese Variante, worüber unlängst Sauppe (Göttinger Sommerprogramm 1870 S. 7 f.) gesprochen hat. An einer Stelle, wo zwei von den ältesten Bearbeitungen, wie auch die Fest¬ ausgabe von 1825 und von der des Jahres 1828 an alle folgenden Aus¬ gaben die Lesart: „das Geheimniß deiner Ankunft" geben, hat man aus an¬ deren Recensionen Abkunft als allein passend vorziehen wollen. Dies be¬ seitigt Sauppe durch den Nachweis, daß Jphigeniens Verschweigen ihrer Herkunft und Vergangenheit untrennbar sei von dem Schweigen über Art und Weg ihrer Ankunft im taurischen Heiligthum, welche sie und Thoas einfach als unmittelbare Handlung der Göttin und Einsetzung zu ihrer Prie¬ sterin anzunehmen haben. Zugleich bemerkt Sauppe, der Dichter brauche wiederholt in diesem Drama den Ausdruck Herkunft, niemals Abkunft. Hierzu kann der Zusatz gemacht werden, daß auf Grund des älteren Sprach¬ gebrauchs (den Grimm's Wörterbuch auch noch bei Opitz und noch bei Schriftstellern des 18. Jahrhunderts nachweist) und kraft der Stelle unseres Gedichts, wo der Ausdruck Ankunft jene Deutung, die in der Iphigenie ihm gegeben werden kann, nicht zuläßt, unleugbar Goethe zur Zeit der Ab¬ fassung seiner Iphigenie Ankunft gleichbedeutend mit Herkunft gebraucht hat. Dieses sei für die Quellnähe der Tiefurter Handschrift angeführt, nicht um es zu tadeln, wenn man für neuere Leser „Abkunft" drucken läßt. Der¬ gleichen Aenderungen in das zur Zeit Currentere hat Goethe bei Leben Cor- rectoren und Revisoren zugestanden; auch wohl einmal selbst vorgenommen. Es ist etwas Aehnliches, daß er die ursprünglich gebrauchte mundartliche Wortform für den Druck in die schriftdeutsche hat ändern lassen Z. 218 un¬ seres Gedichtes, wo in der Tiefurter Handschrift die Epigrammendichter mit „Lettichkugeln" schießen, schon im ersten Druck aber hochdeutsch mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/352>, abgerufen am 01.09.2024.