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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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gegeben, was er aber vom Text des Gedichtes beifügte, der Druckausgabe
von Goethe's Werken entnommen.

Allein in jenem Zimmer zu Tiefurt lag und liegt unter dem' von Diez-
mann vervielfältigten Original des Bildes auch noch eine Handschrift des
Gedichtes, die'füglich ein Original-Man uscript heißen kann. Die Verse
Zwar und das kurze Vorwort (kürzer als jenes 1816 der Druckausgabe vor¬
ausgeschickte) sind nicht eigenhändig vom Dichter geschrieben, sondern von
seinem Schreiber, aber die Unterschrift unter dem'Vorwort: I. W. v. Goethe
ist eigenhändig und bezeugt mit dem Datum daneben: Weimar, den 6. De¬
cember 1827, daß Goethe selbst, noch in Karl August's Tagen (im
letzten Lebensjahr seines fürstlichen Freundes), die Handschrift als eine Fest¬
gabe an den Hof gesandt hat, etwa dem Erbprinzen Karl Friedrich zu
einer Erlustigung am Nicolaustage', der ja aus den 6. December fällt und
stets von Karl Friedrich mit seiner hohen Gemahlin durch eine heitere Feier
bezeichnet wurde. Als eine Festgabe, geschmückt von des greisen Dichters
eigner Hand, gibt sich das Manuscript auch äußerlich zu erkennen. Es ist
nämlich in Carton-Futteral ein Quartheft, in Pappe gebunden, und der Deckel
hat auf beiden Außenseiten eine gezeichnete, leicht mit Farben ausgeführte
Arabeske zur Verzierung. Zwei ovale Guirlandenringe liegen übers Kreuz
in Diagonale, so daß ihre Enden auf die Ecken des Deckels zu gehen; da,
Wo sie einander durchschneiden, in der Mitte ein vierseitig begrenztes Feld
entsteht, und um dasselbe in den vier Enden der beiden Guirlanden bogen¬
förmige Felderchen. In den letzteren schweben Schmetterlinge, in dem mitt¬
leren Feld aber lacht ein Satyrkopf; und die Deckel-Ecken füllen vier Masken
aus, durch deren Augenlöcher die Guirlanden hindurchgezogen sind. Was
nun in dieser Handschrist das Authentische des Gedichttextes betrifft, so hat
Goethe diesen nicht etwa vom Schreiber nach dem seit zehn Jahren vorhande¬
nen gedruckten copiren lassen, sondern ihm denselben aus seinem Original dictirt.

Das ergibt sich mit Sicherheit aus den Varianten Und den Ergänzungen,
Wie sie dieser geschriebene Text, gegen den gedruckten gehalten, darbeut. Die
Handschrift ergibt hiernach für die philologische Textkritik die ältesten, der
Quelle nächsten Lesarten.

Diese Nähe am Original verräth sich in unserer Handschrift zum Theil schon
an der sprachlichen Form. So heißt es an der Stelle, wo von der Frau Kritik die
Rede ist, die in ihrem gemächerretchen Serail allerart Leute aufnimmt, Zeile 86
"Doch läßt aus Furcht für Neidesflammen Sie ihre Freunde nie zusammen";
eine Anwendung der Präposition für, die im vorigen Jahrhundert zUr Zeit der
Entstehung des Gedichts noch guter deutscher Sprachgebrauch war, während in
unserem Jahrhundert in solchen Bezügen immer ausschließlicher vor an ihre
Stelle trat und so auch beim Druck unseres Gedichtes gleich von der ersten


Vrenjbotm II. 1870. 44

gegeben, was er aber vom Text des Gedichtes beifügte, der Druckausgabe
von Goethe's Werken entnommen.

Allein in jenem Zimmer zu Tiefurt lag und liegt unter dem' von Diez-
mann vervielfältigten Original des Bildes auch noch eine Handschrift des
Gedichtes, die'füglich ein Original-Man uscript heißen kann. Die Verse
Zwar und das kurze Vorwort (kürzer als jenes 1816 der Druckausgabe vor¬
ausgeschickte) sind nicht eigenhändig vom Dichter geschrieben, sondern von
seinem Schreiber, aber die Unterschrift unter dem'Vorwort: I. W. v. Goethe
ist eigenhändig und bezeugt mit dem Datum daneben: Weimar, den 6. De¬
cember 1827, daß Goethe selbst, noch in Karl August's Tagen (im
letzten Lebensjahr seines fürstlichen Freundes), die Handschrift als eine Fest¬
gabe an den Hof gesandt hat, etwa dem Erbprinzen Karl Friedrich zu
einer Erlustigung am Nicolaustage', der ja aus den 6. December fällt und
stets von Karl Friedrich mit seiner hohen Gemahlin durch eine heitere Feier
bezeichnet wurde. Als eine Festgabe, geschmückt von des greisen Dichters
eigner Hand, gibt sich das Manuscript auch äußerlich zu erkennen. Es ist
nämlich in Carton-Futteral ein Quartheft, in Pappe gebunden, und der Deckel
hat auf beiden Außenseiten eine gezeichnete, leicht mit Farben ausgeführte
Arabeske zur Verzierung. Zwei ovale Guirlandenringe liegen übers Kreuz
in Diagonale, so daß ihre Enden auf die Ecken des Deckels zu gehen; da,
Wo sie einander durchschneiden, in der Mitte ein vierseitig begrenztes Feld
entsteht, und um dasselbe in den vier Enden der beiden Guirlanden bogen¬
förmige Felderchen. In den letzteren schweben Schmetterlinge, in dem mitt¬
leren Feld aber lacht ein Satyrkopf; und die Deckel-Ecken füllen vier Masken
aus, durch deren Augenlöcher die Guirlanden hindurchgezogen sind. Was
nun in dieser Handschrist das Authentische des Gedichttextes betrifft, so hat
Goethe diesen nicht etwa vom Schreiber nach dem seit zehn Jahren vorhande¬
nen gedruckten copiren lassen, sondern ihm denselben aus seinem Original dictirt.

Das ergibt sich mit Sicherheit aus den Varianten Und den Ergänzungen,
Wie sie dieser geschriebene Text, gegen den gedruckten gehalten, darbeut. Die
Handschrift ergibt hiernach für die philologische Textkritik die ältesten, der
Quelle nächsten Lesarten.

Diese Nähe am Original verräth sich in unserer Handschrift zum Theil schon
an der sprachlichen Form. So heißt es an der Stelle, wo von der Frau Kritik die
Rede ist, die in ihrem gemächerretchen Serail allerart Leute aufnimmt, Zeile 86
»Doch läßt aus Furcht für Neidesflammen Sie ihre Freunde nie zusammen";
eine Anwendung der Präposition für, die im vorigen Jahrhundert zUr Zeit der
Entstehung des Gedichts noch guter deutscher Sprachgebrauch war, während in
unserem Jahrhundert in solchen Bezügen immer ausschließlicher vor an ihre
Stelle trat und so auch beim Druck unseres Gedichtes gleich von der ersten


Vrenjbotm II. 1870. 44
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[0351] gegeben, was er aber vom Text des Gedichtes beifügte, der Druckausgabe von Goethe's Werken entnommen. Allein in jenem Zimmer zu Tiefurt lag und liegt unter dem' von Diez- mann vervielfältigten Original des Bildes auch noch eine Handschrift des Gedichtes, die'füglich ein Original-Man uscript heißen kann. Die Verse Zwar und das kurze Vorwort (kürzer als jenes 1816 der Druckausgabe vor¬ ausgeschickte) sind nicht eigenhändig vom Dichter geschrieben, sondern von seinem Schreiber, aber die Unterschrift unter dem'Vorwort: I. W. v. Goethe ist eigenhändig und bezeugt mit dem Datum daneben: Weimar, den 6. De¬ cember 1827, daß Goethe selbst, noch in Karl August's Tagen (im letzten Lebensjahr seines fürstlichen Freundes), die Handschrift als eine Fest¬ gabe an den Hof gesandt hat, etwa dem Erbprinzen Karl Friedrich zu einer Erlustigung am Nicolaustage', der ja aus den 6. December fällt und stets von Karl Friedrich mit seiner hohen Gemahlin durch eine heitere Feier bezeichnet wurde. Als eine Festgabe, geschmückt von des greisen Dichters eigner Hand, gibt sich das Manuscript auch äußerlich zu erkennen. Es ist nämlich in Carton-Futteral ein Quartheft, in Pappe gebunden, und der Deckel hat auf beiden Außenseiten eine gezeichnete, leicht mit Farben ausgeführte Arabeske zur Verzierung. Zwei ovale Guirlandenringe liegen übers Kreuz in Diagonale, so daß ihre Enden auf die Ecken des Deckels zu gehen; da, Wo sie einander durchschneiden, in der Mitte ein vierseitig begrenztes Feld entsteht, und um dasselbe in den vier Enden der beiden Guirlanden bogen¬ förmige Felderchen. In den letzteren schweben Schmetterlinge, in dem mitt¬ leren Feld aber lacht ein Satyrkopf; und die Deckel-Ecken füllen vier Masken aus, durch deren Augenlöcher die Guirlanden hindurchgezogen sind. Was nun in dieser Handschrist das Authentische des Gedichttextes betrifft, so hat Goethe diesen nicht etwa vom Schreiber nach dem seit zehn Jahren vorhande¬ nen gedruckten copiren lassen, sondern ihm denselben aus seinem Original dictirt. Das ergibt sich mit Sicherheit aus den Varianten Und den Ergänzungen, Wie sie dieser geschriebene Text, gegen den gedruckten gehalten, darbeut. Die Handschrift ergibt hiernach für die philologische Textkritik die ältesten, der Quelle nächsten Lesarten. Diese Nähe am Original verräth sich in unserer Handschrift zum Theil schon an der sprachlichen Form. So heißt es an der Stelle, wo von der Frau Kritik die Rede ist, die in ihrem gemächerretchen Serail allerart Leute aufnimmt, Zeile 86 »Doch läßt aus Furcht für Neidesflammen Sie ihre Freunde nie zusammen"; eine Anwendung der Präposition für, die im vorigen Jahrhundert zUr Zeit der Entstehung des Gedichts noch guter deutscher Sprachgebrauch war, während in unserem Jahrhundert in solchen Bezügen immer ausschließlicher vor an ihre Stelle trat und so auch beim Druck unseres Gedichtes gleich von der ersten Vrenjbotm II. 1870. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/351>, abgerufen am 27.07.2024.