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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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würtembergischen Armee fühlt und seine gefährdete Schöpfung nicht in die
HSnde von Pfuschern gelangen lassen wollte. Er wird wenigstens retten,
was unter den heutigen Verhältnissen überhaupt zu retten ist.

Ein wahres Verdienst um die Presse ist es aber, daß die Regierung
ihren Entschluß gefaßt hat. bevor es zur wirklichen Verhandlung über den
Antrag der 45 in der Kammer kam. Eine achttägige Debatte über den Fluch
des Militarismus, die doch nur der Wiederhall aller zum Ueberdruß gehörten
Phrasen der Volksversammlungen gewesen wäre, ist damit glücklicherweise
abgewendet. Zu dieser Beschleunigung mag vollends die mehr offenherzige
als taktvolle Behandlung der Allianzfrage durch den Abgeordneten Schott
(den Verfasser der "Menschlichen Schwächen") beigetragen haben. Die Jnter-
pellation wegen des essus koeäeris war zwar zunächst gegen die früheren
Flunkereien des Herrn v. Varnbüler gerichtet und sollte diesen persönlich in
Verlegenheit setzen, aber sie hatte zugleich eine Spitze gegen das Allianzver-
hältniß überhaupt. Die polternde Rede Schott's am 22. März rührte geradezu
an die Giltigkeit des Allianzvertrags. Seitdem die Patrioten demselben
nicht mehr von vorne beikommen können, versuchen sie es mit schwäbischer
Pfiffigkeit ihm wenigstens eine solche Auslegung zu geben, daß er je nach
den Umständen auch den gemüthlichen Vertragsbruch zulasse. Diese Theorie
blieb sehr ungefährlich in den Spalten der patriotischen Blätter, -aber man
durfte sie nicht in die Kammer tragen. Es war eine Ueberspannung des
Bogens, die Herrn v. Varnbüler zu statten kam. Wenn seine persönliche Ver-
theidigungsrede nichts weniger als glänzend war. so gab ihm die Jnterpella¬
tion doch willkommenen Anlaß aufs stärkste zu betonen, daß er. so lange er
Minister sei. nicht dulden werde, daß an dem Vertrag gerüttelt werde. Diese
Erklärung, abgegeben während der schwebenden Ministerkrisis, war ein An-
zeichen, daß Varnbüler bereits über die Krisis sich hinübergerettet hatte, und
ließ zugleich voraussehen, daß der Ausgang am wenigsten zu einer Demon¬
stration gegen den Nordbund sich gestalten werde.

So ist denn der neueste Angriff der Patrioten auf die vertragsmäßige
Stellung des Landes, nach Preisgebung eines kleinen Außenwerks, glück¬
lich zurückgeschlagen. Die Aehnlichkeit mit dem mißlungenen Angriff im
December 1868 springt in die Augen. Damals beantragte die Volkspartei
eine Adresse, welche den Südbund verlangte. Die Großdeutschen wanden
ihr den Antrag aus der Hand und verwässerten ihn so, daß er sich zum Zu¬
kunftsprogramm eines großdeutschen Ministeriums gebrauchen ließ. Die
Schlacht schien bereits gewonnen, als unversehens ein geschicktes Manöver
der Regierungspartet die Gegner verwirrte, und schließlich blieb die aus¬
drückliche Anerkennung der Verträge das einzige Resultat, während im Uebri-
gen das ganze Adreßprojeet ins Wasser fiel. Auch bei dem neuesten Angriff


würtembergischen Armee fühlt und seine gefährdete Schöpfung nicht in die
HSnde von Pfuschern gelangen lassen wollte. Er wird wenigstens retten,
was unter den heutigen Verhältnissen überhaupt zu retten ist.

Ein wahres Verdienst um die Presse ist es aber, daß die Regierung
ihren Entschluß gefaßt hat. bevor es zur wirklichen Verhandlung über den
Antrag der 45 in der Kammer kam. Eine achttägige Debatte über den Fluch
des Militarismus, die doch nur der Wiederhall aller zum Ueberdruß gehörten
Phrasen der Volksversammlungen gewesen wäre, ist damit glücklicherweise
abgewendet. Zu dieser Beschleunigung mag vollends die mehr offenherzige
als taktvolle Behandlung der Allianzfrage durch den Abgeordneten Schott
(den Verfasser der „Menschlichen Schwächen") beigetragen haben. Die Jnter-
pellation wegen des essus koeäeris war zwar zunächst gegen die früheren
Flunkereien des Herrn v. Varnbüler gerichtet und sollte diesen persönlich in
Verlegenheit setzen, aber sie hatte zugleich eine Spitze gegen das Allianzver-
hältniß überhaupt. Die polternde Rede Schott's am 22. März rührte geradezu
an die Giltigkeit des Allianzvertrags. Seitdem die Patrioten demselben
nicht mehr von vorne beikommen können, versuchen sie es mit schwäbischer
Pfiffigkeit ihm wenigstens eine solche Auslegung zu geben, daß er je nach
den Umständen auch den gemüthlichen Vertragsbruch zulasse. Diese Theorie
blieb sehr ungefährlich in den Spalten der patriotischen Blätter, -aber man
durfte sie nicht in die Kammer tragen. Es war eine Ueberspannung des
Bogens, die Herrn v. Varnbüler zu statten kam. Wenn seine persönliche Ver-
theidigungsrede nichts weniger als glänzend war. so gab ihm die Jnterpella¬
tion doch willkommenen Anlaß aufs stärkste zu betonen, daß er. so lange er
Minister sei. nicht dulden werde, daß an dem Vertrag gerüttelt werde. Diese
Erklärung, abgegeben während der schwebenden Ministerkrisis, war ein An-
zeichen, daß Varnbüler bereits über die Krisis sich hinübergerettet hatte, und
ließ zugleich voraussehen, daß der Ausgang am wenigsten zu einer Demon¬
stration gegen den Nordbund sich gestalten werde.

So ist denn der neueste Angriff der Patrioten auf die vertragsmäßige
Stellung des Landes, nach Preisgebung eines kleinen Außenwerks, glück¬
lich zurückgeschlagen. Die Aehnlichkeit mit dem mißlungenen Angriff im
December 1868 springt in die Augen. Damals beantragte die Volkspartei
eine Adresse, welche den Südbund verlangte. Die Großdeutschen wanden
ihr den Antrag aus der Hand und verwässerten ihn so, daß er sich zum Zu¬
kunftsprogramm eines großdeutschen Ministeriums gebrauchen ließ. Die
Schlacht schien bereits gewonnen, als unversehens ein geschicktes Manöver
der Regierungspartet die Gegner verwirrte, und schließlich blieb die aus¬
drückliche Anerkennung der Verträge das einzige Resultat, während im Uebri-
gen das ganze Adreßprojeet ins Wasser fiel. Auch bei dem neuesten Angriff


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/35>, abgerufen am 27.07.2024.