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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Bildung, die diesen Kaiser auszeichnet, blieb ohne Wirkung auf seine Unter¬
thanen in Ostia.

Das Cultusbild der Göttin ist zerstört, ein besseres Schicksal fand eine
Statue ihres Lieblings Attis. die der Inschrift zufolge ausdrücklich auf Ge-
heiß der großen Göttin gewidmet worden ist. In künstlerischer wie sacraler
Beziehung bietet sie das bedeutendste Bild des Gottes. Seine mannweib¬
liche Natur, verursacht durch die Verstümmelung, die er selber an sich vollzog,
prägt sich in der liegenden Haltung der unentschiedenen Formen gut aus
und wird auch durch das Arrangement seines Gewandes hervorgehoben.
Der Kopfschmuck, Mondsichel und Strahlen, ein doppelter Fruchtkranz und
Aehren. Alles dieses in nicht allzu bizarrer Weise auf seine phrygische Mütze
aufgehäuft, zeigt in Verbindung mit anderen Früchten, die seine Rechte hält,
daß er als eine zugleich Licht und Frucht spendende Gottheit gefeiert wer¬
den soll, und bietet somit einen neuen Beweis dafür, wie umfassend die
synkretistische Neigung der späteren Zeiten das Wesen und die Macht der
einzelnen Gottheiten zu gestalten suchte. Mehr und mehr wurde man auf
die Idee des Monotheismus hingeführt.

Unter den Bewohnern Ostia's scheint vornehmlich die Corporation der
Cannophoren dieser Religion ergeben gewesen zu sein. Es waren dies wahr¬
scheinlich auch Handwerker, Träger von Canna, wie diese ungemein nützliche
Rohrpflanze in Italien mehr als ein Gewerbe beschäftigt. Von ihnen gibt
es wiederum eine Reihe von Inschriften, welche sich auf Stiftungen beziehen,
die von ihnen ausgingen oder ihnen gemacht wurden, in ersterem Falle Sta¬
tuetten von Kaisern, im letzteren Büsten der Göttin und des Attis. Meist
sind diese von Silber gewesen, ein Luxus, welcher der späteren Zeit dieser
Dedicationen entspricht. Auch die vorhin erwähnten Dendrophoren haben
sich später an dem Cultus der Mutter der Göttin betheiligt, bei der großen
Procession, die am ersten Tage ihres Hauptfestes stattfand, wurde eine Fichte
als heiliges Symbol zur Erinnerung an die That des Attis umhergetragen
und die Baumträger werden dabei thätig mitgewirkt haben. Daß es eben¬
sowenig den Cannophoren an einer passenden Betheiligung an dem Aufzuge
gefehlt hat, beweist ein im Bereiche des Tempelbezirks gefundenes Relief,
welches Attis und die Löwen der Göttin vom Schilfrohr umgeben darstellt.

Das erwähnte Relief befindet sich an einem auf den ersten Blick sehr
sonderbaren und so auch von den Herren Visconti nicht völlig verstandenen
Monumente, nämlich an einem mit Aehren gefüllten Scheffel, auf dem ein
fetter Capaun steht. Die Inschrift löst das Räthsel, sie nennt den M. Modius
Maximus Archigallus von Ostia. Archigallus ist einerseits der der Phrygi-
schen Sprache entnommene sacrale Titel des Oberpriesters der großen Göttin,
und dieser mußte ein Verschnittener sein, andererseits aber bedeutet der Aus-


Bildung, die diesen Kaiser auszeichnet, blieb ohne Wirkung auf seine Unter¬
thanen in Ostia.

Das Cultusbild der Göttin ist zerstört, ein besseres Schicksal fand eine
Statue ihres Lieblings Attis. die der Inschrift zufolge ausdrücklich auf Ge-
heiß der großen Göttin gewidmet worden ist. In künstlerischer wie sacraler
Beziehung bietet sie das bedeutendste Bild des Gottes. Seine mannweib¬
liche Natur, verursacht durch die Verstümmelung, die er selber an sich vollzog,
prägt sich in der liegenden Haltung der unentschiedenen Formen gut aus
und wird auch durch das Arrangement seines Gewandes hervorgehoben.
Der Kopfschmuck, Mondsichel und Strahlen, ein doppelter Fruchtkranz und
Aehren. Alles dieses in nicht allzu bizarrer Weise auf seine phrygische Mütze
aufgehäuft, zeigt in Verbindung mit anderen Früchten, die seine Rechte hält,
daß er als eine zugleich Licht und Frucht spendende Gottheit gefeiert wer¬
den soll, und bietet somit einen neuen Beweis dafür, wie umfassend die
synkretistische Neigung der späteren Zeiten das Wesen und die Macht der
einzelnen Gottheiten zu gestalten suchte. Mehr und mehr wurde man auf
die Idee des Monotheismus hingeführt.

Unter den Bewohnern Ostia's scheint vornehmlich die Corporation der
Cannophoren dieser Religion ergeben gewesen zu sein. Es waren dies wahr¬
scheinlich auch Handwerker, Träger von Canna, wie diese ungemein nützliche
Rohrpflanze in Italien mehr als ein Gewerbe beschäftigt. Von ihnen gibt
es wiederum eine Reihe von Inschriften, welche sich auf Stiftungen beziehen,
die von ihnen ausgingen oder ihnen gemacht wurden, in ersterem Falle Sta¬
tuetten von Kaisern, im letzteren Büsten der Göttin und des Attis. Meist
sind diese von Silber gewesen, ein Luxus, welcher der späteren Zeit dieser
Dedicationen entspricht. Auch die vorhin erwähnten Dendrophoren haben
sich später an dem Cultus der Mutter der Göttin betheiligt, bei der großen
Procession, die am ersten Tage ihres Hauptfestes stattfand, wurde eine Fichte
als heiliges Symbol zur Erinnerung an die That des Attis umhergetragen
und die Baumträger werden dabei thätig mitgewirkt haben. Daß es eben¬
sowenig den Cannophoren an einer passenden Betheiligung an dem Aufzuge
gefehlt hat, beweist ein im Bereiche des Tempelbezirks gefundenes Relief,
welches Attis und die Löwen der Göttin vom Schilfrohr umgeben darstellt.

Das erwähnte Relief befindet sich an einem auf den ersten Blick sehr
sonderbaren und so auch von den Herren Visconti nicht völlig verstandenen
Monumente, nämlich an einem mit Aehren gefüllten Scheffel, auf dem ein
fetter Capaun steht. Die Inschrift löst das Räthsel, sie nennt den M. Modius
Maximus Archigallus von Ostia. Archigallus ist einerseits der der Phrygi-
schen Sprache entnommene sacrale Titel des Oberpriesters der großen Göttin,
und dieser mußte ein Verschnittener sein, andererseits aber bedeutet der Aus-


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[0348] Bildung, die diesen Kaiser auszeichnet, blieb ohne Wirkung auf seine Unter¬ thanen in Ostia. Das Cultusbild der Göttin ist zerstört, ein besseres Schicksal fand eine Statue ihres Lieblings Attis. die der Inschrift zufolge ausdrücklich auf Ge- heiß der großen Göttin gewidmet worden ist. In künstlerischer wie sacraler Beziehung bietet sie das bedeutendste Bild des Gottes. Seine mannweib¬ liche Natur, verursacht durch die Verstümmelung, die er selber an sich vollzog, prägt sich in der liegenden Haltung der unentschiedenen Formen gut aus und wird auch durch das Arrangement seines Gewandes hervorgehoben. Der Kopfschmuck, Mondsichel und Strahlen, ein doppelter Fruchtkranz und Aehren. Alles dieses in nicht allzu bizarrer Weise auf seine phrygische Mütze aufgehäuft, zeigt in Verbindung mit anderen Früchten, die seine Rechte hält, daß er als eine zugleich Licht und Frucht spendende Gottheit gefeiert wer¬ den soll, und bietet somit einen neuen Beweis dafür, wie umfassend die synkretistische Neigung der späteren Zeiten das Wesen und die Macht der einzelnen Gottheiten zu gestalten suchte. Mehr und mehr wurde man auf die Idee des Monotheismus hingeführt. Unter den Bewohnern Ostia's scheint vornehmlich die Corporation der Cannophoren dieser Religion ergeben gewesen zu sein. Es waren dies wahr¬ scheinlich auch Handwerker, Träger von Canna, wie diese ungemein nützliche Rohrpflanze in Italien mehr als ein Gewerbe beschäftigt. Von ihnen gibt es wiederum eine Reihe von Inschriften, welche sich auf Stiftungen beziehen, die von ihnen ausgingen oder ihnen gemacht wurden, in ersterem Falle Sta¬ tuetten von Kaisern, im letzteren Büsten der Göttin und des Attis. Meist sind diese von Silber gewesen, ein Luxus, welcher der späteren Zeit dieser Dedicationen entspricht. Auch die vorhin erwähnten Dendrophoren haben sich später an dem Cultus der Mutter der Göttin betheiligt, bei der großen Procession, die am ersten Tage ihres Hauptfestes stattfand, wurde eine Fichte als heiliges Symbol zur Erinnerung an die That des Attis umhergetragen und die Baumträger werden dabei thätig mitgewirkt haben. Daß es eben¬ sowenig den Cannophoren an einer passenden Betheiligung an dem Aufzuge gefehlt hat, beweist ein im Bereiche des Tempelbezirks gefundenes Relief, welches Attis und die Löwen der Göttin vom Schilfrohr umgeben darstellt. Das erwähnte Relief befindet sich an einem auf den ersten Blick sehr sonderbaren und so auch von den Herren Visconti nicht völlig verstandenen Monumente, nämlich an einem mit Aehren gefüllten Scheffel, auf dem ein fetter Capaun steht. Die Inschrift löst das Räthsel, sie nennt den M. Modius Maximus Archigallus von Ostia. Archigallus ist einerseits der der Phrygi- schen Sprache entnommene sacrale Titel des Oberpriesters der großen Göttin, und dieser mußte ein Verschnittener sein, andererseits aber bedeutet der Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/348>, abgerufen am 27.07.2024.