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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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reiche Träger der Bewegung in allen Theilen des Landes die Pflicht und Noth¬
wendigkeit, eine allgemeine amerikanische Gesellschaft unter solchen Auspicien und in
so repräsentativer Gestalt ins Leben zu rufen, daß sie mit Recht das öffentliche
Vertrauen in Anspruch nehmen könne. Demgemäß wurde im August 1869 von
Seiten des Vorstandes New England Woman Suffrage Association ein Circular
erlassen, welches eine neue constituirende Versammlung einzuberufen empfahl, "ohne
dem Werthe schon bestehender Vereine Eintrag zu thun." Leitende Freunde der Sache
in zweiundzwanzig Staaten der Union unterzeichneten den Aufruf und Hunderte von
Zeitungen in allen Theilen des Landes druckten ihn ab. Der Zweck war darin
ganz bestimmt bezeichnet: Bildung eines Vertretungskörpers, an der Delegirte aller
Stimmrechts-Vereine in den verschiedenen Staaten theilnehmen sollten.

"Die Versammlung fand zu Cleveland in Ohio statt und rief die American
Woman Suffrage Association ins Leben. Sie tagte nicht in einem Wohnzimmer,
sondern in einer öffentlichen Halle vor einem gedrängt vollen Publicum. Die Ver¬
handlungen gingen auf telegraphischem Wege in die Presse über. Nicht ein Wort
siel von den Lippen der Redner, das andere Vereine oder mit der Bewegung ver¬
knüpfte Persönlichkeiten hätte kränken können; die größte Harmonie gab sich kund.
Männer und Frauen mit gleichem Maße messend, lud die junge Gesellschaft alle
Gleichgesinnten herzlich ein, die Lasten und Ehren des Kampfes zu theilen, und
stellte den Geistlichen Henry Ward Beecher (den gefeiertsten Prediger Newyorks
und der ganzen Union) als Präsidenten an ihre Spitze."

Unter Henry Ward Beecher's Vorsitz wird denn nun am 11. und
12. Mai auch die erste große Versammlung dieser neuen Association in
Newyork stattgefunden haben, nicht um die andere Partei in ihrem eigenen
Lager anzugreifen, sondern um die auch dort zahlreich vorhandenen Anhänger
der jüngeren, aber minder exclusiver und radicalen Fahne zu sammeln und
sichtbar darzuthun, daß dieselbe auch in der größten Stadt des Landes es
wohl wagen darf, öffentlich aufzutreten. Der eigentliche Sitz dieses Armes
der Bewegung ist sonst theils in Boston, theils in Chicago; sein Organ,
das vo'trefflich redigirte Wochenblatt "The Woman's Journal", erscheint in
diesen beiden Hauptstädten Neu-Englands und des Westens zugleich. Aber,
der Verein macht Anspruch darauf, der nationalere, allgemein giltigere zu
sein, und muß daher nothwendig auch Newyork für sich in Beschlag nehmen.

Die Aoschließung eines Theils der agnirenden Frauen gegen uneigen¬
nützigen männlichen Beistand ist bekanntlich auch in Deutschland vorgekom¬
men. Sie erklärt sich unschwer aus verschiedenen Motiven: hier aus einer
vielleicht unbewußten psychologischen Reaction gegen die Zurücksetzung der
Frauen, ihre Ausschließung von so manchen Zirkeln, Berufszweigen und Be¬
strebungen, ihre falsche Beurtheilung und ungerechte Behandlung durch die
Masse der Männer; dort aus einem hochgetriebener Selbstbewußtsein, das
allen Aufgaben der Agitation allein gewachsen zu sein glaubt; zuweilen end-


reiche Träger der Bewegung in allen Theilen des Landes die Pflicht und Noth¬
wendigkeit, eine allgemeine amerikanische Gesellschaft unter solchen Auspicien und in
so repräsentativer Gestalt ins Leben zu rufen, daß sie mit Recht das öffentliche
Vertrauen in Anspruch nehmen könne. Demgemäß wurde im August 1869 von
Seiten des Vorstandes New England Woman Suffrage Association ein Circular
erlassen, welches eine neue constituirende Versammlung einzuberufen empfahl, „ohne
dem Werthe schon bestehender Vereine Eintrag zu thun." Leitende Freunde der Sache
in zweiundzwanzig Staaten der Union unterzeichneten den Aufruf und Hunderte von
Zeitungen in allen Theilen des Landes druckten ihn ab. Der Zweck war darin
ganz bestimmt bezeichnet: Bildung eines Vertretungskörpers, an der Delegirte aller
Stimmrechts-Vereine in den verschiedenen Staaten theilnehmen sollten.

„Die Versammlung fand zu Cleveland in Ohio statt und rief die American
Woman Suffrage Association ins Leben. Sie tagte nicht in einem Wohnzimmer,
sondern in einer öffentlichen Halle vor einem gedrängt vollen Publicum. Die Ver¬
handlungen gingen auf telegraphischem Wege in die Presse über. Nicht ein Wort
siel von den Lippen der Redner, das andere Vereine oder mit der Bewegung ver¬
knüpfte Persönlichkeiten hätte kränken können; die größte Harmonie gab sich kund.
Männer und Frauen mit gleichem Maße messend, lud die junge Gesellschaft alle
Gleichgesinnten herzlich ein, die Lasten und Ehren des Kampfes zu theilen, und
stellte den Geistlichen Henry Ward Beecher (den gefeiertsten Prediger Newyorks
und der ganzen Union) als Präsidenten an ihre Spitze."

Unter Henry Ward Beecher's Vorsitz wird denn nun am 11. und
12. Mai auch die erste große Versammlung dieser neuen Association in
Newyork stattgefunden haben, nicht um die andere Partei in ihrem eigenen
Lager anzugreifen, sondern um die auch dort zahlreich vorhandenen Anhänger
der jüngeren, aber minder exclusiver und radicalen Fahne zu sammeln und
sichtbar darzuthun, daß dieselbe auch in der größten Stadt des Landes es
wohl wagen darf, öffentlich aufzutreten. Der eigentliche Sitz dieses Armes
der Bewegung ist sonst theils in Boston, theils in Chicago; sein Organ,
das vo'trefflich redigirte Wochenblatt „The Woman's Journal", erscheint in
diesen beiden Hauptstädten Neu-Englands und des Westens zugleich. Aber,
der Verein macht Anspruch darauf, der nationalere, allgemein giltigere zu
sein, und muß daher nothwendig auch Newyork für sich in Beschlag nehmen.

Die Aoschließung eines Theils der agnirenden Frauen gegen uneigen¬
nützigen männlichen Beistand ist bekanntlich auch in Deutschland vorgekom¬
men. Sie erklärt sich unschwer aus verschiedenen Motiven: hier aus einer
vielleicht unbewußten psychologischen Reaction gegen die Zurücksetzung der
Frauen, ihre Ausschließung von so manchen Zirkeln, Berufszweigen und Be¬
strebungen, ihre falsche Beurtheilung und ungerechte Behandlung durch die
Masse der Männer; dort aus einem hochgetriebener Selbstbewußtsein, das
allen Aufgaben der Agitation allein gewachsen zu sein glaubt; zuweilen end-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/306>, abgerufen am 18.12.2024.