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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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werden sollen, definitiv festgestellt werden, denn dieselben müssen nicht blos
den Kriegsetat sondern nach Billigkeit auch die andern Departements, und
besonders den etwas luxuriös ausgestatteten Etat des Herrn Golther be¬
treffen. Da der nunmehrige Nachfolger des letzteren bisher die Stelle des
Präsidenten der Abgeordnetenkammer bekleidete, wird die Wiedereröffnung
der Session zunächst durch einen Kampf um den Präsidentenstuhl bezeichnet
sein. Doch ist wie heute die Parteiverhältnisse liegen, an dem Sieg der
verbündeten ultramontanen und demokratischen Partei nicht zu zweifeln, so
daß die Krone in der Lage sein wird, unter drei aus dieser Kategorie ihr
präsentirten Ecmdidcrten die unerfreuliche Wahl zu treffen.

Dem Ministerium vom 24. März bringt diese Ernennung eine tüchtige
Kraft zu, an der Befähigung Geßlers zu seinem neuen Amt zweifelt Nie¬
mand. Vor Allem wird nun ein ruhigeres Temperament in die Geschäfte
dieses Departements kommen. Unstreitig hatte Golther mit der ihm eigenen
ehrgeizigen Thätigkeit seine Verdienste, besonders für die Förderung der ver¬
schiedenen Zweige des realistischen Unterrichts. Aber es war etwas Unruhi¬
ges, Uebereifriges, Foreirtes in seinen unablässigen Reformen. Würtemberg
sollte ein Treibhaus für verfeinerte europäische Cultur werden. Man be¬
gnügte sich nicht, da wo es nothwendig war zu bessern, die Hauptsache schien,
daß Alles gehörig in Scene gesetzt wurde. Man arbeitete nicht auf den
Schein, doch auf den Effect. Nicht geringen Theil an den Neuerungen im
Unterrichtswesen, die von einer diensteifrigen Presse als epochemachend aus¬
posaunt wurden, hatte die Eitelkeit, und nicht zum wenigsten die Eitelkeit
des Stammes, dem täglich die süße Rede ins Ohr geträufelt wurde, zwar
sei Würtemberg ein Reich von bescheidenem Umfang, dennoch dürfe es mit
Fug und Recht den Großstaaten mit ihrer eingebildeten militärischen Größe
sich an die Seite stellen, ja es sei ihnen in der Pflege geistiger Interessen
weit vorausgeeilt, es sei die Bewunderung Europas, das Mekka für die, Be¬
lehrung schöpfenden, Schulmänner aus allen fünf Welttheilen, und alles
dies Dank der unermüdlichen Fürsorge Sr. Excellenz des Herrn Cultus¬
ministers von Golther. So wurde die Ueberreizung auf diesem Gebiet ge¬
radezu ein berechnetes Moment der würtembergischen Politik. Sie trug nicht
wenig dazu bei jenen Stammesdünkel zu nähren, der doch der letzte Grund
aller abstoßenden Erscheinungen am oberen Neckar ist. Aus dieser be¬
sonderen Culturmisston schöpfte man, wie man sich einredete, die Berechti¬
gung zum Widerstand gegen den rohen Militarismus des norddeutschen
Staatswesens. Die Stände selbst, sonst so karg, fühlten sich geschmeichelt,
durch reiche Bewilligungen zu diesem Ruhm des Landes beitragen zu dürfen.
Während sonst an allen Orten und Enden jedes angebliche Bedürfniß scru-


Grenzboten II. 1870. 34

werden sollen, definitiv festgestellt werden, denn dieselben müssen nicht blos
den Kriegsetat sondern nach Billigkeit auch die andern Departements, und
besonders den etwas luxuriös ausgestatteten Etat des Herrn Golther be¬
treffen. Da der nunmehrige Nachfolger des letzteren bisher die Stelle des
Präsidenten der Abgeordnetenkammer bekleidete, wird die Wiedereröffnung
der Session zunächst durch einen Kampf um den Präsidentenstuhl bezeichnet
sein. Doch ist wie heute die Parteiverhältnisse liegen, an dem Sieg der
verbündeten ultramontanen und demokratischen Partei nicht zu zweifeln, so
daß die Krone in der Lage sein wird, unter drei aus dieser Kategorie ihr
präsentirten Ecmdidcrten die unerfreuliche Wahl zu treffen.

Dem Ministerium vom 24. März bringt diese Ernennung eine tüchtige
Kraft zu, an der Befähigung Geßlers zu seinem neuen Amt zweifelt Nie¬
mand. Vor Allem wird nun ein ruhigeres Temperament in die Geschäfte
dieses Departements kommen. Unstreitig hatte Golther mit der ihm eigenen
ehrgeizigen Thätigkeit seine Verdienste, besonders für die Förderung der ver¬
schiedenen Zweige des realistischen Unterrichts. Aber es war etwas Unruhi¬
ges, Uebereifriges, Foreirtes in seinen unablässigen Reformen. Würtemberg
sollte ein Treibhaus für verfeinerte europäische Cultur werden. Man be¬
gnügte sich nicht, da wo es nothwendig war zu bessern, die Hauptsache schien,
daß Alles gehörig in Scene gesetzt wurde. Man arbeitete nicht auf den
Schein, doch auf den Effect. Nicht geringen Theil an den Neuerungen im
Unterrichtswesen, die von einer diensteifrigen Presse als epochemachend aus¬
posaunt wurden, hatte die Eitelkeit, und nicht zum wenigsten die Eitelkeit
des Stammes, dem täglich die süße Rede ins Ohr geträufelt wurde, zwar
sei Würtemberg ein Reich von bescheidenem Umfang, dennoch dürfe es mit
Fug und Recht den Großstaaten mit ihrer eingebildeten militärischen Größe
sich an die Seite stellen, ja es sei ihnen in der Pflege geistiger Interessen
weit vorausgeeilt, es sei die Bewunderung Europas, das Mekka für die, Be¬
lehrung schöpfenden, Schulmänner aus allen fünf Welttheilen, und alles
dies Dank der unermüdlichen Fürsorge Sr. Excellenz des Herrn Cultus¬
ministers von Golther. So wurde die Ueberreizung auf diesem Gebiet ge¬
radezu ein berechnetes Moment der würtembergischen Politik. Sie trug nicht
wenig dazu bei jenen Stammesdünkel zu nähren, der doch der letzte Grund
aller abstoßenden Erscheinungen am oberen Neckar ist. Aus dieser be¬
sonderen Culturmisston schöpfte man, wie man sich einredete, die Berechti¬
gung zum Widerstand gegen den rohen Militarismus des norddeutschen
Staatswesens. Die Stände selbst, sonst so karg, fühlten sich geschmeichelt,
durch reiche Bewilligungen zu diesem Ruhm des Landes beitragen zu dürfen.
Während sonst an allen Orten und Enden jedes angebliche Bedürfniß scru-


Grenzboten II. 1870. 34
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[0271] werden sollen, definitiv festgestellt werden, denn dieselben müssen nicht blos den Kriegsetat sondern nach Billigkeit auch die andern Departements, und besonders den etwas luxuriös ausgestatteten Etat des Herrn Golther be¬ treffen. Da der nunmehrige Nachfolger des letzteren bisher die Stelle des Präsidenten der Abgeordnetenkammer bekleidete, wird die Wiedereröffnung der Session zunächst durch einen Kampf um den Präsidentenstuhl bezeichnet sein. Doch ist wie heute die Parteiverhältnisse liegen, an dem Sieg der verbündeten ultramontanen und demokratischen Partei nicht zu zweifeln, so daß die Krone in der Lage sein wird, unter drei aus dieser Kategorie ihr präsentirten Ecmdidcrten die unerfreuliche Wahl zu treffen. Dem Ministerium vom 24. März bringt diese Ernennung eine tüchtige Kraft zu, an der Befähigung Geßlers zu seinem neuen Amt zweifelt Nie¬ mand. Vor Allem wird nun ein ruhigeres Temperament in die Geschäfte dieses Departements kommen. Unstreitig hatte Golther mit der ihm eigenen ehrgeizigen Thätigkeit seine Verdienste, besonders für die Förderung der ver¬ schiedenen Zweige des realistischen Unterrichts. Aber es war etwas Unruhi¬ ges, Uebereifriges, Foreirtes in seinen unablässigen Reformen. Würtemberg sollte ein Treibhaus für verfeinerte europäische Cultur werden. Man be¬ gnügte sich nicht, da wo es nothwendig war zu bessern, die Hauptsache schien, daß Alles gehörig in Scene gesetzt wurde. Man arbeitete nicht auf den Schein, doch auf den Effect. Nicht geringen Theil an den Neuerungen im Unterrichtswesen, die von einer diensteifrigen Presse als epochemachend aus¬ posaunt wurden, hatte die Eitelkeit, und nicht zum wenigsten die Eitelkeit des Stammes, dem täglich die süße Rede ins Ohr geträufelt wurde, zwar sei Würtemberg ein Reich von bescheidenem Umfang, dennoch dürfe es mit Fug und Recht den Großstaaten mit ihrer eingebildeten militärischen Größe sich an die Seite stellen, ja es sei ihnen in der Pflege geistiger Interessen weit vorausgeeilt, es sei die Bewunderung Europas, das Mekka für die, Be¬ lehrung schöpfenden, Schulmänner aus allen fünf Welttheilen, und alles dies Dank der unermüdlichen Fürsorge Sr. Excellenz des Herrn Cultus¬ ministers von Golther. So wurde die Ueberreizung auf diesem Gebiet ge¬ radezu ein berechnetes Moment der würtembergischen Politik. Sie trug nicht wenig dazu bei jenen Stammesdünkel zu nähren, der doch der letzte Grund aller abstoßenden Erscheinungen am oberen Neckar ist. Aus dieser be¬ sonderen Culturmisston schöpfte man, wie man sich einredete, die Berechti¬ gung zum Widerstand gegen den rohen Militarismus des norddeutschen Staatswesens. Die Stände selbst, sonst so karg, fühlten sich geschmeichelt, durch reiche Bewilligungen zu diesem Ruhm des Landes beitragen zu dürfen. Während sonst an allen Orten und Enden jedes angebliche Bedürfniß scru- Grenzboten II. 1870. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/271>, abgerufen am 27.07.2024.