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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Kaiserin und er nicht in Sewastopol seien, um von da aus sogleich mit
Kanonen dem Großherrn einen guten Morgen zuzurufen (S. 299). Die
Verpflichtung. Rußland im Falle eines Angriffs beizuspringen, erfüllte Joseph
gewissenhaft. Auch er erklärte der Pforte den Krieg, obgleich er seine Besorg-
niß vor einem etwaigen Einschreiten Preußens zu Gunsten der Pforte nicht
verhehlte.

Die Feldzüge der Jahre 1788 und 1789 waren weder russischer- noch
östreichischerseits reich an Erfolgen. Mit einem großen Aufwands von Zeit
und Mitteln gelang es den Russen, Otschakow, den Oestreichern Belgrad zu
nehmeÄ. Die Alliirten klagten einander fortwährend der Unthätigkeit an
und reclamirten gegenseitige Hilfeleistung. In dem Briefwechsel zwischen
Joseph und Katharina ist indessen in dieser letzten Zeit nicht die Gereiztheit
wahrzunehmen, welche sich in einigen Aeußerungen Potemkin's, Rumjanzow's
und de Ltgne's kund thut. Katharina und der Kaiser beglückwünschen ein¬
ander zu Kriegserfolgen, so spärlich dieselben auch errungen wurden, theilen
einander Einzelnheiten und Entwürfe über die Feldzüge mit und berühren
gelegentlich andere Fragen der allgemeinen europäischen Politik.

Joseph's Stimmung verdüsterte sich mehr und mehr. In einem Hand¬
billet an Kaunitz (S. 329) tadelt er in starken Ausdrücken die Kriegspläne
der Russen; in den Briefen an Katharina klagt er über den Aufstand in
den Niederlanden, über die Gefahr von Seiten Preußens, über seine Krank¬
heit, deren Zerstörungswerk Katharina mit ängstlicher Spannung beobachtete.
Noch war der Krieg nicht beendet, während dessen das auf acht Jahre
zwischen Joseph und Katharina im Jahre 1781 abgeschlossene Bündniß auf
weitere acht Jahre erneuert wurde; noch war man weit vom Frieden, den
Joseph, wie aus mehreren Briefen hervorgeht, sehnlichst herbeiwünschte, ja in
welchem er die einzige Rettung für die östreichische Monarchie sah, als
Joseph's Tod den innigen Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich ein
Ende machte. Leopold's Haltung und Politik waren völlig andere. Katha¬
rina hatte in Joseph einen Freund und einen Bundesgenossen verloren, dessen
Bedeutung für Rußland man erst durch Herrn von Arneth's Buch hinreichend
zu würdigen in Stand gesetzt ist.




33 *

Kaiserin und er nicht in Sewastopol seien, um von da aus sogleich mit
Kanonen dem Großherrn einen guten Morgen zuzurufen (S. 299). Die
Verpflichtung. Rußland im Falle eines Angriffs beizuspringen, erfüllte Joseph
gewissenhaft. Auch er erklärte der Pforte den Krieg, obgleich er seine Besorg-
niß vor einem etwaigen Einschreiten Preußens zu Gunsten der Pforte nicht
verhehlte.

Die Feldzüge der Jahre 1788 und 1789 waren weder russischer- noch
östreichischerseits reich an Erfolgen. Mit einem großen Aufwands von Zeit
und Mitteln gelang es den Russen, Otschakow, den Oestreichern Belgrad zu
nehmeÄ. Die Alliirten klagten einander fortwährend der Unthätigkeit an
und reclamirten gegenseitige Hilfeleistung. In dem Briefwechsel zwischen
Joseph und Katharina ist indessen in dieser letzten Zeit nicht die Gereiztheit
wahrzunehmen, welche sich in einigen Aeußerungen Potemkin's, Rumjanzow's
und de Ltgne's kund thut. Katharina und der Kaiser beglückwünschen ein¬
ander zu Kriegserfolgen, so spärlich dieselben auch errungen wurden, theilen
einander Einzelnheiten und Entwürfe über die Feldzüge mit und berühren
gelegentlich andere Fragen der allgemeinen europäischen Politik.

Joseph's Stimmung verdüsterte sich mehr und mehr. In einem Hand¬
billet an Kaunitz (S. 329) tadelt er in starken Ausdrücken die Kriegspläne
der Russen; in den Briefen an Katharina klagt er über den Aufstand in
den Niederlanden, über die Gefahr von Seiten Preußens, über seine Krank¬
heit, deren Zerstörungswerk Katharina mit ängstlicher Spannung beobachtete.
Noch war der Krieg nicht beendet, während dessen das auf acht Jahre
zwischen Joseph und Katharina im Jahre 1781 abgeschlossene Bündniß auf
weitere acht Jahre erneuert wurde; noch war man weit vom Frieden, den
Joseph, wie aus mehreren Briefen hervorgeht, sehnlichst herbeiwünschte, ja in
welchem er die einzige Rettung für die östreichische Monarchie sah, als
Joseph's Tod den innigen Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich ein
Ende machte. Leopold's Haltung und Politik waren völlig andere. Katha¬
rina hatte in Joseph einen Freund und einen Bundesgenossen verloren, dessen
Bedeutung für Rußland man erst durch Herrn von Arneth's Buch hinreichend
zu würdigen in Stand gesetzt ist.




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[0265] Kaiserin und er nicht in Sewastopol seien, um von da aus sogleich mit Kanonen dem Großherrn einen guten Morgen zuzurufen (S. 299). Die Verpflichtung. Rußland im Falle eines Angriffs beizuspringen, erfüllte Joseph gewissenhaft. Auch er erklärte der Pforte den Krieg, obgleich er seine Besorg- niß vor einem etwaigen Einschreiten Preußens zu Gunsten der Pforte nicht verhehlte. Die Feldzüge der Jahre 1788 und 1789 waren weder russischer- noch östreichischerseits reich an Erfolgen. Mit einem großen Aufwands von Zeit und Mitteln gelang es den Russen, Otschakow, den Oestreichern Belgrad zu nehmeÄ. Die Alliirten klagten einander fortwährend der Unthätigkeit an und reclamirten gegenseitige Hilfeleistung. In dem Briefwechsel zwischen Joseph und Katharina ist indessen in dieser letzten Zeit nicht die Gereiztheit wahrzunehmen, welche sich in einigen Aeußerungen Potemkin's, Rumjanzow's und de Ltgne's kund thut. Katharina und der Kaiser beglückwünschen ein¬ ander zu Kriegserfolgen, so spärlich dieselben auch errungen wurden, theilen einander Einzelnheiten und Entwürfe über die Feldzüge mit und berühren gelegentlich andere Fragen der allgemeinen europäischen Politik. Joseph's Stimmung verdüsterte sich mehr und mehr. In einem Hand¬ billet an Kaunitz (S. 329) tadelt er in starken Ausdrücken die Kriegspläne der Russen; in den Briefen an Katharina klagt er über den Aufstand in den Niederlanden, über die Gefahr von Seiten Preußens, über seine Krank¬ heit, deren Zerstörungswerk Katharina mit ängstlicher Spannung beobachtete. Noch war der Krieg nicht beendet, während dessen das auf acht Jahre zwischen Joseph und Katharina im Jahre 1781 abgeschlossene Bündniß auf weitere acht Jahre erneuert wurde; noch war man weit vom Frieden, den Joseph, wie aus mehreren Briefen hervorgeht, sehnlichst herbeiwünschte, ja in welchem er die einzige Rettung für die östreichische Monarchie sah, als Joseph's Tod den innigen Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich ein Ende machte. Leopold's Haltung und Politik waren völlig andere. Katha¬ rina hatte in Joseph einen Freund und einen Bundesgenossen verloren, dessen Bedeutung für Rußland man erst durch Herrn von Arneth's Buch hinreichend zu würdigen in Stand gesetzt ist. 33 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/265>, abgerufen am 27.07.2024.