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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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westeurpäischen Entwürfe nehmen ihn in Anspruch. Doch war der Krieg
nur vertagt. Bald hörte man von Rüstungen in der Türkei. Französische
Officiere und Ingenieure, welche nach der Türkei reisten, um die Festungen
und das Heer in Stand zu setzen, erregten die Aufmerksamkeit Joseph's und
Katharina's.

Im Jahre 1786 scheint wiederum Alles zu einem Bruche mit der Pforte
reif zu sein. In langen Briefen klagt Katharina über allerlei von den
Türken verübte Feindseligkeiten. Gleichzeitig fordert sie den Kaiser auf, mit
ihr in Südrußland zusammenzutreffen. Joseph war über eine so beiläufig
in einer Nachschrift leichthin erwähnte Einladung nicht wenig unzufrieden.
Er werde, schreibt er an Kaunitz, diese "katharinisirte Prinzessin von Zerbst"
empfinden lassen, daß man nicht so mit ihm umspringen dürfe. Er gedachte
die Aufforderung zur Reise entschieden abzulehnen. Nur auf Zureden des
Fürsten Kaunitz entschloß er sich zur Reise. Die Briefe, welche nun folgen,
werden kürzer und bieten keinen so reichen Inhalt wie die vorhergehenden.
Mehrere Wochen hindurch waren Katharina und Joseph zusammen und die
dadurch entstehende Lücke in dem Briefwechsel wird nur zum Theil durch
die von Herrn von Arneth im Anfange mitgetheilten Reiseberichte des Kaisers
an Lascy ausgefüllt. In diesen Briefen verweilt Joseph vorzugsweise bei
dem Stande der russischen Armee und Flotte, spricht eingehend von der
Bewaffnungsart und militärischen Verwaltung der Russen, über die Mängel
aller Anstalten, den Leichtsinn, mit welchem man ungeheure Mittel verschwende,
über die schlechte Verpflegung der Soldaten, über das Mißverhältniß zwi¬
schen den in officiellen Verzeichnissen und in Wirklichkeit existirenden Truppen.
Die Bemerkungen über die merkwürdige Lage von Baktschisera, Sewastopol
und anderen Städten sind von großem Interesse. Ueber die orientalische
Sache, über den etwa bevorstehenden Krieg mit der Pforte, über die Ver¬
handlungen und Gespräche mit Katharina und den sie begleitenden Gesandten
der Westmächte, äußert sich Joseph sehr kurz und oberflächlich. Die Frage,
inwieweit man diese Reise Joseph's und Katharina's als eine Veranlassung
zum Kriege mit der Pforte, welcher unmittelbar darnach ausbrach, ansehen
könne, wird durch diese Materialien nicht beantwortet. Auch das. was
wir aus den Briefen des Fürsten von Ligne oder den Memoiren Sigur's
über diese Reise wissen, zeigt, daß es zwischen Joseph und Katharina zu
keinen festen Vereinbarungen in Betreff der orientalischen Entwürfe kam.
Katharina, so viel ist gewiß, war kriegslustig; Joseph war geneigt, den
Frieden zu erhalten.

Der Krieg brach wenige Wochen nach dem Aufenthalt Katharina's und
Joseph's in Südrußland aus. Sehr aufgebracht schreibt Joseph über die
Einsparung Bulgakow's in die Sieben Thürme und bedauert, daß die


westeurpäischen Entwürfe nehmen ihn in Anspruch. Doch war der Krieg
nur vertagt. Bald hörte man von Rüstungen in der Türkei. Französische
Officiere und Ingenieure, welche nach der Türkei reisten, um die Festungen
und das Heer in Stand zu setzen, erregten die Aufmerksamkeit Joseph's und
Katharina's.

Im Jahre 1786 scheint wiederum Alles zu einem Bruche mit der Pforte
reif zu sein. In langen Briefen klagt Katharina über allerlei von den
Türken verübte Feindseligkeiten. Gleichzeitig fordert sie den Kaiser auf, mit
ihr in Südrußland zusammenzutreffen. Joseph war über eine so beiläufig
in einer Nachschrift leichthin erwähnte Einladung nicht wenig unzufrieden.
Er werde, schreibt er an Kaunitz, diese „katharinisirte Prinzessin von Zerbst"
empfinden lassen, daß man nicht so mit ihm umspringen dürfe. Er gedachte
die Aufforderung zur Reise entschieden abzulehnen. Nur auf Zureden des
Fürsten Kaunitz entschloß er sich zur Reise. Die Briefe, welche nun folgen,
werden kürzer und bieten keinen so reichen Inhalt wie die vorhergehenden.
Mehrere Wochen hindurch waren Katharina und Joseph zusammen und die
dadurch entstehende Lücke in dem Briefwechsel wird nur zum Theil durch
die von Herrn von Arneth im Anfange mitgetheilten Reiseberichte des Kaisers
an Lascy ausgefüllt. In diesen Briefen verweilt Joseph vorzugsweise bei
dem Stande der russischen Armee und Flotte, spricht eingehend von der
Bewaffnungsart und militärischen Verwaltung der Russen, über die Mängel
aller Anstalten, den Leichtsinn, mit welchem man ungeheure Mittel verschwende,
über die schlechte Verpflegung der Soldaten, über das Mißverhältniß zwi¬
schen den in officiellen Verzeichnissen und in Wirklichkeit existirenden Truppen.
Die Bemerkungen über die merkwürdige Lage von Baktschisera, Sewastopol
und anderen Städten sind von großem Interesse. Ueber die orientalische
Sache, über den etwa bevorstehenden Krieg mit der Pforte, über die Ver¬
handlungen und Gespräche mit Katharina und den sie begleitenden Gesandten
der Westmächte, äußert sich Joseph sehr kurz und oberflächlich. Die Frage,
inwieweit man diese Reise Joseph's und Katharina's als eine Veranlassung
zum Kriege mit der Pforte, welcher unmittelbar darnach ausbrach, ansehen
könne, wird durch diese Materialien nicht beantwortet. Auch das. was
wir aus den Briefen des Fürsten von Ligne oder den Memoiren Sigur's
über diese Reise wissen, zeigt, daß es zwischen Joseph und Katharina zu
keinen festen Vereinbarungen in Betreff der orientalischen Entwürfe kam.
Katharina, so viel ist gewiß, war kriegslustig; Joseph war geneigt, den
Frieden zu erhalten.

Der Krieg brach wenige Wochen nach dem Aufenthalt Katharina's und
Joseph's in Südrußland aus. Sehr aufgebracht schreibt Joseph über die
Einsparung Bulgakow's in die Sieben Thürme und bedauert, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/264>, abgerufen am 01.09.2024.