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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Inseln im Archipelagus durch Rußland natürlich keinerlei Schwierigkeiten
begegnen würde, daß aber die Gründung Daciens und eines griechischen
Kaiserreichs von dem Erfolge eines Krieges abhänge. Hierauf.zählt Joseph
seine Wünsche auf. Er will Chotin, einen Theil der Wallachei, einige feste
Plätze an der Donau, den Landstrich von Belgrad bis zum adriatischen
Meere westlich und -- einen bedeutenden Theil der venetianischen Länder
auf dem Festlande, in Jstrien und Dalmatien. Die Venetianer aber sollen
durch die Erwerbung von Morea, Candia, Cypern und anderen Inseln ent¬
schädigt werden.

Es waren weittragende Entwürfe. Man theilte und tauschte Länder
und Unterthanen, wie dieses im bairischen Tauschproject beabsichtigt, zuletzt
noch auf dem Wiener Congresse thatsächlich ausgeführt wurde.

Auch Katharina nahm einige Zeit in Anspruch, um Joseph's Wünsche zu
beantworten. Während mehrere Briefe gewechselt wurden, bereitete sie ihre
Antwort vor. In derselben, welche vom 4. Januar 1783 datirt ist, erscheint
die Kaiserin weit entfernt davon den Wünschen Joseph's entsprechen zu wollen.
Entschieden spricht sie sich gegen eine Annexion venetianischen Gebiets durch
die östreichische Monarchie aus: es liege viel an der Zustimmung der Republik
zu den Plänen der beiden Kaiserhofe; auch dürfe das zu gründende griechi¬
sche Kaiserthum nicht durch Abtretung von Morea und einigen Inseln im
Archipelagus geschmälert werden. Im Uebrigen sei sie, die Kaiserin, bereit
jeden nur irgend thunlichen Vortheil dem Kaiser zuzuwenden.

Joseph wallte auf. Es sei klar, schreibt er an Kaunitz, daß die Kaiserin
ihn hinters Licht führen wolle, nun sollte sie sich bald davon überzeugen,
daß er nicht so leicht in die Falle gehen werde. Die Antwort, welche der
Kaiser entwarf, war in so gereiztem Tone gehalten, daß Fürst Kaunitz ent¬
schieden die Absendung derselben widerrathen zu müssen meinte: durch ein
solches Schreiben könne das ganze Verhältniß zur Kaiserin einen Stoß für
alle Zeiten erhalten. So wird denn die Antwort des Kaisers in veränderter
Redaction abgeschickt. Der Schwerpunkt dieser Antwort liegt darin, daß
Joseph die Theilungspläne für den Augenblick aufgibt: die Türkei, sagt er,
gebe in manchen streitigen Punkten nach, der Steg sei unnöthig.

Jetzt war wiederum Katharina sehr unzufrieden. Ihre Kriegslust hatte
keineswegs abgenommen. Ein momentanes Nachgeben der Pforte, meint sie,
habe nichts zu bedeuten: die Erfahrung lehre, daß man auf dergleichen Ver¬
sprechen nicht bauen dürfe; sie sei sehr erstaunt über diese plötzliche Aenderung
in den Ansichten Joseph's; sie habe nicht daran gezweifelt, daß Joseph den
in Vorschlag gebrachten Plan, welcher eines Cäsars würdig, groß und vor¬
theilhaft sei, sofort ausführen werde. -- Joseph merkte es wohl, wie viel
Gereiztheit in dem Briefe der Kaiserin war. Er machte Kaunitz darauf auf-


Inseln im Archipelagus durch Rußland natürlich keinerlei Schwierigkeiten
begegnen würde, daß aber die Gründung Daciens und eines griechischen
Kaiserreichs von dem Erfolge eines Krieges abhänge. Hierauf.zählt Joseph
seine Wünsche auf. Er will Chotin, einen Theil der Wallachei, einige feste
Plätze an der Donau, den Landstrich von Belgrad bis zum adriatischen
Meere westlich und — einen bedeutenden Theil der venetianischen Länder
auf dem Festlande, in Jstrien und Dalmatien. Die Venetianer aber sollen
durch die Erwerbung von Morea, Candia, Cypern und anderen Inseln ent¬
schädigt werden.

Es waren weittragende Entwürfe. Man theilte und tauschte Länder
und Unterthanen, wie dieses im bairischen Tauschproject beabsichtigt, zuletzt
noch auf dem Wiener Congresse thatsächlich ausgeführt wurde.

Auch Katharina nahm einige Zeit in Anspruch, um Joseph's Wünsche zu
beantworten. Während mehrere Briefe gewechselt wurden, bereitete sie ihre
Antwort vor. In derselben, welche vom 4. Januar 1783 datirt ist, erscheint
die Kaiserin weit entfernt davon den Wünschen Joseph's entsprechen zu wollen.
Entschieden spricht sie sich gegen eine Annexion venetianischen Gebiets durch
die östreichische Monarchie aus: es liege viel an der Zustimmung der Republik
zu den Plänen der beiden Kaiserhofe; auch dürfe das zu gründende griechi¬
sche Kaiserthum nicht durch Abtretung von Morea und einigen Inseln im
Archipelagus geschmälert werden. Im Uebrigen sei sie, die Kaiserin, bereit
jeden nur irgend thunlichen Vortheil dem Kaiser zuzuwenden.

Joseph wallte auf. Es sei klar, schreibt er an Kaunitz, daß die Kaiserin
ihn hinters Licht führen wolle, nun sollte sie sich bald davon überzeugen,
daß er nicht so leicht in die Falle gehen werde. Die Antwort, welche der
Kaiser entwarf, war in so gereiztem Tone gehalten, daß Fürst Kaunitz ent¬
schieden die Absendung derselben widerrathen zu müssen meinte: durch ein
solches Schreiben könne das ganze Verhältniß zur Kaiserin einen Stoß für
alle Zeiten erhalten. So wird denn die Antwort des Kaisers in veränderter
Redaction abgeschickt. Der Schwerpunkt dieser Antwort liegt darin, daß
Joseph die Theilungspläne für den Augenblick aufgibt: die Türkei, sagt er,
gebe in manchen streitigen Punkten nach, der Steg sei unnöthig.

Jetzt war wiederum Katharina sehr unzufrieden. Ihre Kriegslust hatte
keineswegs abgenommen. Ein momentanes Nachgeben der Pforte, meint sie,
habe nichts zu bedeuten: die Erfahrung lehre, daß man auf dergleichen Ver¬
sprechen nicht bauen dürfe; sie sei sehr erstaunt über diese plötzliche Aenderung
in den Ansichten Joseph's; sie habe nicht daran gezweifelt, daß Joseph den
in Vorschlag gebrachten Plan, welcher eines Cäsars würdig, groß und vor¬
theilhaft sei, sofort ausführen werde. — Joseph merkte es wohl, wie viel
Gereiztheit in dem Briefe der Kaiserin war. Er machte Kaunitz darauf auf-


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[0262] Inseln im Archipelagus durch Rußland natürlich keinerlei Schwierigkeiten begegnen würde, daß aber die Gründung Daciens und eines griechischen Kaiserreichs von dem Erfolge eines Krieges abhänge. Hierauf.zählt Joseph seine Wünsche auf. Er will Chotin, einen Theil der Wallachei, einige feste Plätze an der Donau, den Landstrich von Belgrad bis zum adriatischen Meere westlich und — einen bedeutenden Theil der venetianischen Länder auf dem Festlande, in Jstrien und Dalmatien. Die Venetianer aber sollen durch die Erwerbung von Morea, Candia, Cypern und anderen Inseln ent¬ schädigt werden. Es waren weittragende Entwürfe. Man theilte und tauschte Länder und Unterthanen, wie dieses im bairischen Tauschproject beabsichtigt, zuletzt noch auf dem Wiener Congresse thatsächlich ausgeführt wurde. Auch Katharina nahm einige Zeit in Anspruch, um Joseph's Wünsche zu beantworten. Während mehrere Briefe gewechselt wurden, bereitete sie ihre Antwort vor. In derselben, welche vom 4. Januar 1783 datirt ist, erscheint die Kaiserin weit entfernt davon den Wünschen Joseph's entsprechen zu wollen. Entschieden spricht sie sich gegen eine Annexion venetianischen Gebiets durch die östreichische Monarchie aus: es liege viel an der Zustimmung der Republik zu den Plänen der beiden Kaiserhofe; auch dürfe das zu gründende griechi¬ sche Kaiserthum nicht durch Abtretung von Morea und einigen Inseln im Archipelagus geschmälert werden. Im Uebrigen sei sie, die Kaiserin, bereit jeden nur irgend thunlichen Vortheil dem Kaiser zuzuwenden. Joseph wallte auf. Es sei klar, schreibt er an Kaunitz, daß die Kaiserin ihn hinters Licht führen wolle, nun sollte sie sich bald davon überzeugen, daß er nicht so leicht in die Falle gehen werde. Die Antwort, welche der Kaiser entwarf, war in so gereiztem Tone gehalten, daß Fürst Kaunitz ent¬ schieden die Absendung derselben widerrathen zu müssen meinte: durch ein solches Schreiben könne das ganze Verhältniß zur Kaiserin einen Stoß für alle Zeiten erhalten. So wird denn die Antwort des Kaisers in veränderter Redaction abgeschickt. Der Schwerpunkt dieser Antwort liegt darin, daß Joseph die Theilungspläne für den Augenblick aufgibt: die Türkei, sagt er, gebe in manchen streitigen Punkten nach, der Steg sei unnöthig. Jetzt war wiederum Katharina sehr unzufrieden. Ihre Kriegslust hatte keineswegs abgenommen. Ein momentanes Nachgeben der Pforte, meint sie, habe nichts zu bedeuten: die Erfahrung lehre, daß man auf dergleichen Ver¬ sprechen nicht bauen dürfe; sie sei sehr erstaunt über diese plötzliche Aenderung in den Ansichten Joseph's; sie habe nicht daran gezweifelt, daß Joseph den in Vorschlag gebrachten Plan, welcher eines Cäsars würdig, groß und vor¬ theilhaft sei, sofort ausführen werde. — Joseph merkte es wohl, wie viel Gereiztheit in dem Briefe der Kaiserin war. Er machte Kaunitz darauf auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/262>, abgerufen am 01.09.2024.