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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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nikischen Inschrift. Wir treffen auf eine Menge specifisch hebräischer Wörter
und finden in dem grammatischen Bau durchaus hebräisches Gepräge. Die
Schriftzüge haben größere Aehnlichkeit mit denen auf althebräischen und
älteren aramäischen Steinen, als mit denen der bekannten Phönikischen In¬
schriften. Und Rottele sagt, "darf man auch nicht behaupten, daß dies
Alphabet grade in jeder Einzelheit das alterthümlichste sei, so stellt es uns
in seiner Gesammtheit doch jedenfalls eine sehr alte Entwickelungsstufe dar,
und Niemand kann fortan die Geschichte der Semitischen Schrift behandeln,
ohne von ihm auszugehen." Die größte Bedeutung des neuen Fundes liegt
in dem Alter der Inschrift. Die Zeit, in welcher sie in den Stein gehauen
wurde, ist ganz unzweifelhaft die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr.,
sie ist nicht nur die einzige Originalurkunde der jüdischen Geschichte vor den
Makkabäern, sie ist auch um Jahrhunderte älter, als andere vorhandene
Denkmäler in Buchstabenschrift und sie wirst ein ganz neues Licht auf die
Verbreitung dieser größten Erfindung des Alterthums, denn sie belehrt uns,
daß die Buchstabenschrift um das Jahr 900 bereits eine technische Ausbil.
dung und Sicherheit gewonnen hat, welche das Verständniß wunderbar leicht
machen, und eine officielle Anwendung, welche uns höchlich überrascht. Wir
dürfen sagen, wenn bei einem kleinen semitischen Stamm in der Nähe des
todten Meeres in jener Zeit so sorgfältig und correct geschrieben wurde, so
muß die Buchstabenschrift in den höher cultivirten Semitischen Städten der
Seeküste und in den Phönikischen Colonien des Mittelmeers schon lange
Zeit im Gebrauch gewesen sein und ihre Culturentwickelung auf den Verkehr
der Völker ausgeübt haben. Und ferner, wenn fast 900 Jahre v. Chr. ein
Stadtkönig in der kleinen Landschaft Moab zur Verherrlichung seines Namens
eine solche Inschrift aufstellen läßt, so muß er doch auch sicher gewesen sein,
daß sie von den Leuten seines Volkes gelesen werden konnte. Es kann also
damals der Unterricht im Lesen und Schreiben nicht mehr für etwas ganz
seltsames und unerhörtes gegolten haben und es muß diese Methode, Thaten
und Ereignisse späteren Geschlechtern zu überliefern, unter den semitischen
Stämmen im Gebiet des Jordan nicht unbekannt gewesen sein. Das gibt
ganz neue Perspectiven für die älteste officielle Benutzung der Schrift, auch
für die Grundlagen des Textes in den ältesten historischen Büchern der Bibel
eine ganz unerwartete Bestätigung.

Nicht weniger merkwürdig ist, wie Professor Rottele gut hervorhebt,
der Inhalt der Inschrift, insofern derselbe mit Ton und Sprache der bibli¬
schen Aufzeichnungen aus der älteren Königszeit völlig übereinstimmt. Trotz
dem Trümmerhaften der erhaltenen Ueberlieferung, erkennen wir aus der In¬
schrift in dem kleinen Volke Moab ganz ähnliche Zustände, wie unter den
Juden: befestigte Städte, um deren Eroberung der Kampf der Stämme
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nikischen Inschrift. Wir treffen auf eine Menge specifisch hebräischer Wörter
und finden in dem grammatischen Bau durchaus hebräisches Gepräge. Die
Schriftzüge haben größere Aehnlichkeit mit denen auf althebräischen und
älteren aramäischen Steinen, als mit denen der bekannten Phönikischen In¬
schriften. Und Rottele sagt, „darf man auch nicht behaupten, daß dies
Alphabet grade in jeder Einzelheit das alterthümlichste sei, so stellt es uns
in seiner Gesammtheit doch jedenfalls eine sehr alte Entwickelungsstufe dar,
und Niemand kann fortan die Geschichte der Semitischen Schrift behandeln,
ohne von ihm auszugehen." Die größte Bedeutung des neuen Fundes liegt
in dem Alter der Inschrift. Die Zeit, in welcher sie in den Stein gehauen
wurde, ist ganz unzweifelhaft die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr.,
sie ist nicht nur die einzige Originalurkunde der jüdischen Geschichte vor den
Makkabäern, sie ist auch um Jahrhunderte älter, als andere vorhandene
Denkmäler in Buchstabenschrift und sie wirst ein ganz neues Licht auf die
Verbreitung dieser größten Erfindung des Alterthums, denn sie belehrt uns,
daß die Buchstabenschrift um das Jahr 900 bereits eine technische Ausbil.
dung und Sicherheit gewonnen hat, welche das Verständniß wunderbar leicht
machen, und eine officielle Anwendung, welche uns höchlich überrascht. Wir
dürfen sagen, wenn bei einem kleinen semitischen Stamm in der Nähe des
todten Meeres in jener Zeit so sorgfältig und correct geschrieben wurde, so
muß die Buchstabenschrift in den höher cultivirten Semitischen Städten der
Seeküste und in den Phönikischen Colonien des Mittelmeers schon lange
Zeit im Gebrauch gewesen sein und ihre Culturentwickelung auf den Verkehr
der Völker ausgeübt haben. Und ferner, wenn fast 900 Jahre v. Chr. ein
Stadtkönig in der kleinen Landschaft Moab zur Verherrlichung seines Namens
eine solche Inschrift aufstellen läßt, so muß er doch auch sicher gewesen sein,
daß sie von den Leuten seines Volkes gelesen werden konnte. Es kann also
damals der Unterricht im Lesen und Schreiben nicht mehr für etwas ganz
seltsames und unerhörtes gegolten haben und es muß diese Methode, Thaten
und Ereignisse späteren Geschlechtern zu überliefern, unter den semitischen
Stämmen im Gebiet des Jordan nicht unbekannt gewesen sein. Das gibt
ganz neue Perspectiven für die älteste officielle Benutzung der Schrift, auch
für die Grundlagen des Textes in den ältesten historischen Büchern der Bibel
eine ganz unerwartete Bestätigung.

Nicht weniger merkwürdig ist, wie Professor Rottele gut hervorhebt,
der Inhalt der Inschrift, insofern derselbe mit Ton und Sprache der bibli¬
schen Aufzeichnungen aus der älteren Königszeit völlig übereinstimmt. Trotz
dem Trümmerhaften der erhaltenen Ueberlieferung, erkennen wir aus der In¬
schrift in dem kleinen Volke Moab ganz ähnliche Zustände, wie unter den
Juden: befestigte Städte, um deren Eroberung der Kampf der Stämme
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[0241] nikischen Inschrift. Wir treffen auf eine Menge specifisch hebräischer Wörter und finden in dem grammatischen Bau durchaus hebräisches Gepräge. Die Schriftzüge haben größere Aehnlichkeit mit denen auf althebräischen und älteren aramäischen Steinen, als mit denen der bekannten Phönikischen In¬ schriften. Und Rottele sagt, „darf man auch nicht behaupten, daß dies Alphabet grade in jeder Einzelheit das alterthümlichste sei, so stellt es uns in seiner Gesammtheit doch jedenfalls eine sehr alte Entwickelungsstufe dar, und Niemand kann fortan die Geschichte der Semitischen Schrift behandeln, ohne von ihm auszugehen." Die größte Bedeutung des neuen Fundes liegt in dem Alter der Inschrift. Die Zeit, in welcher sie in den Stein gehauen wurde, ist ganz unzweifelhaft die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr., sie ist nicht nur die einzige Originalurkunde der jüdischen Geschichte vor den Makkabäern, sie ist auch um Jahrhunderte älter, als andere vorhandene Denkmäler in Buchstabenschrift und sie wirst ein ganz neues Licht auf die Verbreitung dieser größten Erfindung des Alterthums, denn sie belehrt uns, daß die Buchstabenschrift um das Jahr 900 bereits eine technische Ausbil. dung und Sicherheit gewonnen hat, welche das Verständniß wunderbar leicht machen, und eine officielle Anwendung, welche uns höchlich überrascht. Wir dürfen sagen, wenn bei einem kleinen semitischen Stamm in der Nähe des todten Meeres in jener Zeit so sorgfältig und correct geschrieben wurde, so muß die Buchstabenschrift in den höher cultivirten Semitischen Städten der Seeküste und in den Phönikischen Colonien des Mittelmeers schon lange Zeit im Gebrauch gewesen sein und ihre Culturentwickelung auf den Verkehr der Völker ausgeübt haben. Und ferner, wenn fast 900 Jahre v. Chr. ein Stadtkönig in der kleinen Landschaft Moab zur Verherrlichung seines Namens eine solche Inschrift aufstellen läßt, so muß er doch auch sicher gewesen sein, daß sie von den Leuten seines Volkes gelesen werden konnte. Es kann also damals der Unterricht im Lesen und Schreiben nicht mehr für etwas ganz seltsames und unerhörtes gegolten haben und es muß diese Methode, Thaten und Ereignisse späteren Geschlechtern zu überliefern, unter den semitischen Stämmen im Gebiet des Jordan nicht unbekannt gewesen sein. Das gibt ganz neue Perspectiven für die älteste officielle Benutzung der Schrift, auch für die Grundlagen des Textes in den ältesten historischen Büchern der Bibel eine ganz unerwartete Bestätigung. Nicht weniger merkwürdig ist, wie Professor Rottele gut hervorhebt, der Inhalt der Inschrift, insofern derselbe mit Ton und Sprache der bibli¬ schen Aufzeichnungen aus der älteren Königszeit völlig übereinstimmt. Trotz dem Trümmerhaften der erhaltenen Ueberlieferung, erkennen wir aus der In¬ schrift in dem kleinen Volke Moab ganz ähnliche Zustände, wie unter den Juden: befestigte Städte, um deren Eroberung der Kampf der Stämme * 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/241>, abgerufen am 27.07.2024.