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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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es kein Codex der Moral oder der Ehre ist, der Bethätigung einer für un¬
ehrenhaft gehaltenen Gesinnung noch genug freien Spielraum läßt.

Hiernach wird man es begreifen, wenn wir die Frage aufwerfen, ob
denn diese Materie überhaupt in das Strafgesetz hineingehöre? In diesem
wird sie vom Gesetzgeber nur mittelst einer Abschweifung vom eigentlichen
Strafgebiete und nur, so zu sagen gelegentlich, insoweit behandelt, als ihn
sein Weg hart daran vorüberführt. Der Wald von Unkraut, der sich rechts
und links ausbreitet, bleibt unberührt. Die Ausschließung Ehrloser vom
Genusse der Ehrenrechte ließe sich höchstens durch ein Gesetz über die Aus¬
übung der staatsbürgerlichen Rechte erreichen, in welchem, unabhängig vom
Strafgesetze, die Criterien der Zulassung zu diesen Rechten, das Verfahren
und der Gerichtshof, der darüber zu entscheiden hat. bestimmt würden.

Indessen sind wir es nicht, die einem solchen Gesetze das Wort reden.
Denn es dünkt uns verwerflich, über die Gesinnung eines Menschen zu Ge¬
richte zu sitzen. Das Innere des Menschen entzieht sich dem Blicke des
Richters, und nicht zuverlässige Beweise, sondern Vermuthungen sind es. die
er seinem Urtheile zu Grunde legt. Man spricht von einer durch die Hand,
lung selbst bekundeten UnWürdigkeit der Gesinnung. Aber die Handlung
läßt nur die Richtung des Willens, also die Absicht der Handelnden, deutlich
und mit Zuverlässigkeit erkennen; über die dahinter liegenden Motive, durch
welche die Richtung des Willens bestimmt worden ist, gibt sie unmittelbar
keinen Aufschluß, da dieselbe Handlung aus den verschiedenartigsten Motiven
hervorgegangen sein kann, diese letzteren auch häufig so vielfach verschlungen
sind, daß ^sie dem Handelnden selbst nicht einmal zum vollen Bewußtsein
kommen. Zwar der Criminalrichter pflegt mit dem Urtheile über das Motiv
des Verbrechens schnell fertig zu werden; er spricht gemeinhin nur von einem
einzelnen Motiv und findet dasselbe bald in Rache, bald in Habgier u. s. w,
Aber dieses Urtheil im Munde des Criminalrichters hat nur den Zweck,
eine Erklärung für die That zu geben, es steht im Zusammenhange mit
der Ermittelung des objectiven und subjectiven Thatbestandes, indem
der Beweis der That sowohl, als der Thäterschaft oft eine wesentliche
Lücke hat. so lange nicht erklärt ist, was den der That Verdächtigen zu
derselben bewogen haben kann. Auch ist jenes Nächstliegende Motiv meistens
leicht zu finden. Aber in der Aufdeckung desselben soll und kann ein Urtheil
über den sittlichen Werth der Handlung nicht liegen. Regungen des Hass-s,
der Habgier oder welcher schlechten Leidenschaft immer verdienen an sich kein
Verdammungsurtheil, weil sie von der menschlichen Natur untrennbar sind.
Wenn sie zum Verbrechen geführt haben, so hat freilich das Schlechte im
Menschen den Sieg über seine edlere Natur davongetragen, und es ist dar¬
über nicht zu streiten, daß der Verbrecher sich im Conflict mit dem Sitten-


es kein Codex der Moral oder der Ehre ist, der Bethätigung einer für un¬
ehrenhaft gehaltenen Gesinnung noch genug freien Spielraum läßt.

Hiernach wird man es begreifen, wenn wir die Frage aufwerfen, ob
denn diese Materie überhaupt in das Strafgesetz hineingehöre? In diesem
wird sie vom Gesetzgeber nur mittelst einer Abschweifung vom eigentlichen
Strafgebiete und nur, so zu sagen gelegentlich, insoweit behandelt, als ihn
sein Weg hart daran vorüberführt. Der Wald von Unkraut, der sich rechts
und links ausbreitet, bleibt unberührt. Die Ausschließung Ehrloser vom
Genusse der Ehrenrechte ließe sich höchstens durch ein Gesetz über die Aus¬
übung der staatsbürgerlichen Rechte erreichen, in welchem, unabhängig vom
Strafgesetze, die Criterien der Zulassung zu diesen Rechten, das Verfahren
und der Gerichtshof, der darüber zu entscheiden hat. bestimmt würden.

Indessen sind wir es nicht, die einem solchen Gesetze das Wort reden.
Denn es dünkt uns verwerflich, über die Gesinnung eines Menschen zu Ge¬
richte zu sitzen. Das Innere des Menschen entzieht sich dem Blicke des
Richters, und nicht zuverlässige Beweise, sondern Vermuthungen sind es. die
er seinem Urtheile zu Grunde legt. Man spricht von einer durch die Hand,
lung selbst bekundeten UnWürdigkeit der Gesinnung. Aber die Handlung
läßt nur die Richtung des Willens, also die Absicht der Handelnden, deutlich
und mit Zuverlässigkeit erkennen; über die dahinter liegenden Motive, durch
welche die Richtung des Willens bestimmt worden ist, gibt sie unmittelbar
keinen Aufschluß, da dieselbe Handlung aus den verschiedenartigsten Motiven
hervorgegangen sein kann, diese letzteren auch häufig so vielfach verschlungen
sind, daß ^sie dem Handelnden selbst nicht einmal zum vollen Bewußtsein
kommen. Zwar der Criminalrichter pflegt mit dem Urtheile über das Motiv
des Verbrechens schnell fertig zu werden; er spricht gemeinhin nur von einem
einzelnen Motiv und findet dasselbe bald in Rache, bald in Habgier u. s. w,
Aber dieses Urtheil im Munde des Criminalrichters hat nur den Zweck,
eine Erklärung für die That zu geben, es steht im Zusammenhange mit
der Ermittelung des objectiven und subjectiven Thatbestandes, indem
der Beweis der That sowohl, als der Thäterschaft oft eine wesentliche
Lücke hat. so lange nicht erklärt ist, was den der That Verdächtigen zu
derselben bewogen haben kann. Auch ist jenes Nächstliegende Motiv meistens
leicht zu finden. Aber in der Aufdeckung desselben soll und kann ein Urtheil
über den sittlichen Werth der Handlung nicht liegen. Regungen des Hass-s,
der Habgier oder welcher schlechten Leidenschaft immer verdienen an sich kein
Verdammungsurtheil, weil sie von der menschlichen Natur untrennbar sind.
Wenn sie zum Verbrechen geführt haben, so hat freilich das Schlechte im
Menschen den Sieg über seine edlere Natur davongetragen, und es ist dar¬
über nicht zu streiten, daß der Verbrecher sich im Conflict mit dem Sitten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/235>, abgerufen am 01.09.2024.