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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Standpunkte erreicht ist, so wenig wird in praktischer Hinsicht geboten. Die
Frage, wie die Verwaltungsrechtspflege eingerichtet werden soll, ist noch voll¬
ständig offen, wenn auch die Frage, ob sie eingerichtet werden soll, unbedingte
Bejahung findet."

Zum Glück für uns theoretisirende Deutsche bringt der Bund diese Frage
in bestimmt begrenzter Weise zur Erörterung. Norddeutschland kann nicht
ähnliche Erfahrungen machen, wie Baiern, wo Regierung und Landtag über
die Einsetzung eines Verwaltungsgerichtshofs vollkommen einig waren, sich
aber bis zur Stunde nicht über seine Zuständigkeit einigen konnten. Die Sphäre
des neuen Gerichtshofes ist klein und beschränkt sich auf Entscheidung
der Streitigkeiten aus einem einzigen Rechtsverhältniß. Mag indessen der
Heimathsgerichtshof die Natur eines Speeialgerichtshofs haben, er besitzt
unter allen Umständen die Natur eines wirklichen Gerichtshofes und es ist
von um so größerer Wichtigkeit, ihn in diesem Sinne zu gestalten, als er
sich ja zum Verwaltungsgerichtshof fortentwickeln soll.

Genügt das Bundesamt für das Heimathswesen den hier zu stellenden
Anforderungen? Scheint die im Gesetzentwurf der Reichstagseommission
richtigerweise leicht skizzirte Organisation des Bundesamts der Auffassung zu
entsprechen, die sich heutzutage nicht blos mit einem Gerichtshof überhaupt,
sondern auch mit einem Gerichtshof des öffentlichen Rechts verbindet?

In zwiefacher Beziehung ist dies nach unserer Meinung nicht der Fall.

Das Bundesamt für das Heimathswesen soll eine ständige und collegiale
Behörde mit dem Sitze in Berlin sein und aus einem Vorsitzenden und
mindestens vier Mitglieder bestehen, von denen ausschließlich des Vor¬
sitzenden die Hälfte die Qualification zum Richteramte im Staate ihrer An¬
gehörigkeit besitzen muß. Ueber die Stellung der Mitglieder sagt der Ent¬
wurf nichts und da die richterliche Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit nicht
zu präsumiren sind, ist zu folgern, daß die Richter des Heimathsgerichtshofs
diese Eigenschaften nicht besitzen sollen.

Die Sicherung der Rechtsprechung in der Person der Richter ist von
hohem Werth und, wie sie bei den Mitgliedern des Bundesamts gewährt
werden kann, ein dankbar zu begrüßendes Zugeständniß ^an die herrschende
Zeitrichtung. Indeß ist nicht außer Betracht zu setzen, daß das klassische Land
der Verwaltungsrechtspflege, Frankreich, sie nicht kennt und in der neuen
Verfassung vom 20. April dieses Jahres wohl die Unabsetzbarkeit der Richter
ausspricht, dagegen die Staatsräthe auch ferner vom Kaiser ernennen und
absetzen läßt. Es hängt ohne Zweifel mit der, wir möchten sagen, administrativen
Auffassung des eoutentiou aäministratik zusammen und widerspricht der
deutschen Anschauung von der Verwaltungsrechtspflege. Lehrreich ist es aber
immer, weil es zeigt, daß die Werthschätzung, die sich die Verwaltungsrechts-


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Standpunkte erreicht ist, so wenig wird in praktischer Hinsicht geboten. Die
Frage, wie die Verwaltungsrechtspflege eingerichtet werden soll, ist noch voll¬
ständig offen, wenn auch die Frage, ob sie eingerichtet werden soll, unbedingte
Bejahung findet."

Zum Glück für uns theoretisirende Deutsche bringt der Bund diese Frage
in bestimmt begrenzter Weise zur Erörterung. Norddeutschland kann nicht
ähnliche Erfahrungen machen, wie Baiern, wo Regierung und Landtag über
die Einsetzung eines Verwaltungsgerichtshofs vollkommen einig waren, sich
aber bis zur Stunde nicht über seine Zuständigkeit einigen konnten. Die Sphäre
des neuen Gerichtshofes ist klein und beschränkt sich auf Entscheidung
der Streitigkeiten aus einem einzigen Rechtsverhältniß. Mag indessen der
Heimathsgerichtshof die Natur eines Speeialgerichtshofs haben, er besitzt
unter allen Umständen die Natur eines wirklichen Gerichtshofes und es ist
von um so größerer Wichtigkeit, ihn in diesem Sinne zu gestalten, als er
sich ja zum Verwaltungsgerichtshof fortentwickeln soll.

Genügt das Bundesamt für das Heimathswesen den hier zu stellenden
Anforderungen? Scheint die im Gesetzentwurf der Reichstagseommission
richtigerweise leicht skizzirte Organisation des Bundesamts der Auffassung zu
entsprechen, die sich heutzutage nicht blos mit einem Gerichtshof überhaupt,
sondern auch mit einem Gerichtshof des öffentlichen Rechts verbindet?

In zwiefacher Beziehung ist dies nach unserer Meinung nicht der Fall.

Das Bundesamt für das Heimathswesen soll eine ständige und collegiale
Behörde mit dem Sitze in Berlin sein und aus einem Vorsitzenden und
mindestens vier Mitglieder bestehen, von denen ausschließlich des Vor¬
sitzenden die Hälfte die Qualification zum Richteramte im Staate ihrer An¬
gehörigkeit besitzen muß. Ueber die Stellung der Mitglieder sagt der Ent¬
wurf nichts und da die richterliche Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit nicht
zu präsumiren sind, ist zu folgern, daß die Richter des Heimathsgerichtshofs
diese Eigenschaften nicht besitzen sollen.

Die Sicherung der Rechtsprechung in der Person der Richter ist von
hohem Werth und, wie sie bei den Mitgliedern des Bundesamts gewährt
werden kann, ein dankbar zu begrüßendes Zugeständniß ^an die herrschende
Zeitrichtung. Indeß ist nicht außer Betracht zu setzen, daß das klassische Land
der Verwaltungsrechtspflege, Frankreich, sie nicht kennt und in der neuen
Verfassung vom 20. April dieses Jahres wohl die Unabsetzbarkeit der Richter
ausspricht, dagegen die Staatsräthe auch ferner vom Kaiser ernennen und
absetzen läßt. Es hängt ohne Zweifel mit der, wir möchten sagen, administrativen
Auffassung des eoutentiou aäministratik zusammen und widerspricht der
deutschen Anschauung von der Verwaltungsrechtspflege. Lehrreich ist es aber
immer, weil es zeigt, daß die Werthschätzung, die sich die Verwaltungsrechts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/225>, abgerufen am 27.07.2024.