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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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geschweige denn, daß man sie in der großen Menge der Bevölkerung nach¬
weisen könnte.

Und hier berühren wir noch einen andern wichtigen Punkt. Dem ganzen
deutschen Bürgerthume jener Zeit ist eine Concentration des gesammten
idealen Lebens auf den Kreis seiner Stadt eigenthümlich. Der Begriff eines
Vaterlandes, des engeren wie des weiteren, ist hier kaum bekannt, hinter den
Markzeichen des Weichbildes beginnt die Fremde. Diese locale Concentra¬
tion beherrscht sichtlich auch die Sphäre des kirchlichen Lebens. Wohl ist der
deutsche Bürger stolz darauf, die Kirchen seiner Vaterstadt zu beschenken und
zu schmücken, doch der Zusammengehörigkeit dieser Kirchen mit der ganzen
Christenheit ist er sich wenig bewußt. Eifersüchtig wacht er über der Selbst-
ständigkeit dieser Kirchen, und jedes Eingreifen selbst der höheren geistlichen
Behörden erregt Widerspruch und Unzufriedenheit. In den Städten hatte auf
die Besetzung der Pfründen die Bürgerschaft mittelbar größeren Einfluß, als
man gewöhnlich annimmt. Denn wenn gleich die Verleihung der Pfarr-
und Caplanstellen meist durch die kirchlichen Obern erfolgte, so bestand
dagegen für die sehr große Anzahl der Altaristen (an den beiden Hauptpfarr¬
kirchen Breslaus waren zur Zeit der Reformation 105 Altäre mit 236
Altaristen) fast durchgängig Laienpatronat und diese Stellen wurden natur.
lich vorzugsweise mit Bürgersöhnen besetzt. Da sich nun aber ganz natur¬
gemäß aus dieser großen Zahl eingeborner Kleriker das städtische Pfarr¬
amt rekrutirte und ersetzte, und auch die geistlichen Oberen auf diese Candi-
daten um so mehr angewiesen waren, als die Einkünfte der Altarlehen häusig
zur Aufbesserung der Pfarr- und Caplangehalte erforderlich schienen, so war
schon damit dem Laieneinflusse der Weg gebahnt; die große Kette der Vetter¬
schaft, welche ja damals die städtischen Gemeindewesen zu regieren pflegte,
umschlang auch die kirchlichen Kreise, band die Geistlichen an den Ort und
erschütterte eins der wichtigsten Principien der Hierarchie, nämlich das Bestre¬
ben, die Geistlichkeit von allen sonstigen Banden und Einflüssen loszulösen.

Wenn wir jetzt dem Ultramontanismus das Princip der Nationalkirchen
entgegenzusetzen pflegen, so werden wir zugeben müssen, daß das Princip des
Lokalkirchenthums, welches das deutsche Bürgerthum im Mittelalter heraus¬
bildete, jenem kaum minder fern, ja thatsächlich feindlich entgegenstand. Für
die Breslauer beispielsweise war schon die Dominsel, sammt Allem was dar¬
aus war, Domcapitel und Bischof, etwas Fremderes, dem Kreise ihrer opfer¬
freudigen Frömmigkeit Entrücktes.

Von jener strengen Disciplin, welche der Katholicismus unserer Tage
auch dem Laien gegen höhere Würdenträger der Kirche einzuprägen vermag,
kannte jene Zeit sehr wenig. Von einer Verehrung für die Päpste, welche
allerdings gerade im 14. Jahrhundert durch die Habsucht ihrer Legaten und


geschweige denn, daß man sie in der großen Menge der Bevölkerung nach¬
weisen könnte.

Und hier berühren wir noch einen andern wichtigen Punkt. Dem ganzen
deutschen Bürgerthume jener Zeit ist eine Concentration des gesammten
idealen Lebens auf den Kreis seiner Stadt eigenthümlich. Der Begriff eines
Vaterlandes, des engeren wie des weiteren, ist hier kaum bekannt, hinter den
Markzeichen des Weichbildes beginnt die Fremde. Diese locale Concentra¬
tion beherrscht sichtlich auch die Sphäre des kirchlichen Lebens. Wohl ist der
deutsche Bürger stolz darauf, die Kirchen seiner Vaterstadt zu beschenken und
zu schmücken, doch der Zusammengehörigkeit dieser Kirchen mit der ganzen
Christenheit ist er sich wenig bewußt. Eifersüchtig wacht er über der Selbst-
ständigkeit dieser Kirchen, und jedes Eingreifen selbst der höheren geistlichen
Behörden erregt Widerspruch und Unzufriedenheit. In den Städten hatte auf
die Besetzung der Pfründen die Bürgerschaft mittelbar größeren Einfluß, als
man gewöhnlich annimmt. Denn wenn gleich die Verleihung der Pfarr-
und Caplanstellen meist durch die kirchlichen Obern erfolgte, so bestand
dagegen für die sehr große Anzahl der Altaristen (an den beiden Hauptpfarr¬
kirchen Breslaus waren zur Zeit der Reformation 105 Altäre mit 236
Altaristen) fast durchgängig Laienpatronat und diese Stellen wurden natur.
lich vorzugsweise mit Bürgersöhnen besetzt. Da sich nun aber ganz natur¬
gemäß aus dieser großen Zahl eingeborner Kleriker das städtische Pfarr¬
amt rekrutirte und ersetzte, und auch die geistlichen Oberen auf diese Candi-
daten um so mehr angewiesen waren, als die Einkünfte der Altarlehen häusig
zur Aufbesserung der Pfarr- und Caplangehalte erforderlich schienen, so war
schon damit dem Laieneinflusse der Weg gebahnt; die große Kette der Vetter¬
schaft, welche ja damals die städtischen Gemeindewesen zu regieren pflegte,
umschlang auch die kirchlichen Kreise, band die Geistlichen an den Ort und
erschütterte eins der wichtigsten Principien der Hierarchie, nämlich das Bestre¬
ben, die Geistlichkeit von allen sonstigen Banden und Einflüssen loszulösen.

Wenn wir jetzt dem Ultramontanismus das Princip der Nationalkirchen
entgegenzusetzen pflegen, so werden wir zugeben müssen, daß das Princip des
Lokalkirchenthums, welches das deutsche Bürgerthum im Mittelalter heraus¬
bildete, jenem kaum minder fern, ja thatsächlich feindlich entgegenstand. Für
die Breslauer beispielsweise war schon die Dominsel, sammt Allem was dar¬
aus war, Domcapitel und Bischof, etwas Fremderes, dem Kreise ihrer opfer¬
freudigen Frömmigkeit Entrücktes.

Von jener strengen Disciplin, welche der Katholicismus unserer Tage
auch dem Laien gegen höhere Würdenträger der Kirche einzuprägen vermag,
kannte jene Zeit sehr wenig. Von einer Verehrung für die Päpste, welche
allerdings gerade im 14. Jahrhundert durch die Habsucht ihrer Legaten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/213>, abgerufen am 01.09.2024.