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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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im Jahre 1367 hier vorgekommen, daß man einem Kleriker, "den man wegen
Wirthshaushändeln gefangen setzt, auf der Polizei-Wachtstube den Kopf
ganz kahl schert, damit er eine richtige Tonsur habe, und ihn dazu noch
ängstigt, er werde bald Oberwasser zu trinken bekommen. Der ganze Streit
endigt mit einer totalen Niederlage der Geistlichkeit, welche Kaiser Karl IV.
zwingt, ihn als Schiedsrichter anzuerkennen, worauf er ganz zu ihren Un-
gunsten entscheidet. Noch schlimmer geht es etwa ein Decennium später
bei dem sogenannten Pfaffenkriege 1380, wo wiederum die Breslauer mit
einer feindlich zu nennenden Rücksichtslosigkeit gegen das Domkapitel auf¬
treten, und die Gewalt geistlicher Strafen sich ihnen gegenüber vollkommen
wirkungslos erweist. Mit ungebrochenen Bürgertrotze und nicht günstigerer
Gesinnung für die Geistlichkeit gehn sie aus dem Kampfe hervor, während
ihre Gegner die schwersten Verluste zu beklagen haben. Noch kurz vor den
Hussitenkämpfen ziehen sie sich schwere Händel zu, dadurch daß sie den Bischof
von Wladislaw, einen allerdings nicht sehr respektablen Kirchenfürsten, in
Breslau verhaften.

Wir werden uns hüten müssen, allzuweit gehende Consequenzen aus dem
Allen zu ziehen. Aehnliches ist in vielen andern deutschen Städten geschehen,
es soll auch nichts anders constatirt werden, als daß hier im 14. Jahrhundert
ein Geist geherrscht hat, der nicht ohne eine große Gereiztheit mit eifersüch¬
tiger Wachsamkeit Allem, was als klerikaler Uebergriff scheinen konnte, scharf
entgegentrat, ein Geist, der von blinder Ergebenheit an die Einflüsse der
Geistlichkeit unendlich weit entfernt war, und es soll nur ausgesprochen
werden, daß die Breslauer Bürgerschaft, die größte und intelligenteste
Gemeinde Schlesiens und zugleich die Stadt, in der bei fast unumschränkter
Selbstregierung die Gesinnung der Bewohner am unverfälschtesten zum Aus¬
druck kam, mehr als ein Jahrhundert hindurch bis zum Ausbruche der
hussitischen Bewegung fast ununterbrochen in lebhafter Opposition gegen die
Geistlichkeit gestanden hat. Daß diese Opposition nie das eigentlich religiöse
Gebiet berührt, sondern sich immer auf die Fälle beschränkt hat, wo die
geistlichen Machtbefugnisse auf weltlichem Gebiete ausgeübt werden sollten,
ist nicht geleugnet worden; und ebensowenig wollen wir von den ungemein
zahlreichen küchlichen Stiftungen schweigen, welche gerade im 14. Jahrhundert
in Breslau wie in den übrigen schlesischen Städten gemacht wurden, und
welche man uns als lebendige Zeugnisse sür die Frömmigkeit des damaligen
Schlesiens entgegenhalten könnte. Freilich war diese Frömmigkeit nicht minder
egoistisch als jene Opposition, auch sie berührte kaum das Wesen.der Religion,
mit einem äußerlichen Genügen an guten Werken sich abfindend. Nach Aeuße¬
rungen eines tieferen religiösen Lebens sucht man selbst in dem, was wir von
der theologischen Literatur Schlesiens aus jener Zeit übrig haben, vergebens,


im Jahre 1367 hier vorgekommen, daß man einem Kleriker, «den man wegen
Wirthshaushändeln gefangen setzt, auf der Polizei-Wachtstube den Kopf
ganz kahl schert, damit er eine richtige Tonsur habe, und ihn dazu noch
ängstigt, er werde bald Oberwasser zu trinken bekommen. Der ganze Streit
endigt mit einer totalen Niederlage der Geistlichkeit, welche Kaiser Karl IV.
zwingt, ihn als Schiedsrichter anzuerkennen, worauf er ganz zu ihren Un-
gunsten entscheidet. Noch schlimmer geht es etwa ein Decennium später
bei dem sogenannten Pfaffenkriege 1380, wo wiederum die Breslauer mit
einer feindlich zu nennenden Rücksichtslosigkeit gegen das Domkapitel auf¬
treten, und die Gewalt geistlicher Strafen sich ihnen gegenüber vollkommen
wirkungslos erweist. Mit ungebrochenen Bürgertrotze und nicht günstigerer
Gesinnung für die Geistlichkeit gehn sie aus dem Kampfe hervor, während
ihre Gegner die schwersten Verluste zu beklagen haben. Noch kurz vor den
Hussitenkämpfen ziehen sie sich schwere Händel zu, dadurch daß sie den Bischof
von Wladislaw, einen allerdings nicht sehr respektablen Kirchenfürsten, in
Breslau verhaften.

Wir werden uns hüten müssen, allzuweit gehende Consequenzen aus dem
Allen zu ziehen. Aehnliches ist in vielen andern deutschen Städten geschehen,
es soll auch nichts anders constatirt werden, als daß hier im 14. Jahrhundert
ein Geist geherrscht hat, der nicht ohne eine große Gereiztheit mit eifersüch¬
tiger Wachsamkeit Allem, was als klerikaler Uebergriff scheinen konnte, scharf
entgegentrat, ein Geist, der von blinder Ergebenheit an die Einflüsse der
Geistlichkeit unendlich weit entfernt war, und es soll nur ausgesprochen
werden, daß die Breslauer Bürgerschaft, die größte und intelligenteste
Gemeinde Schlesiens und zugleich die Stadt, in der bei fast unumschränkter
Selbstregierung die Gesinnung der Bewohner am unverfälschtesten zum Aus¬
druck kam, mehr als ein Jahrhundert hindurch bis zum Ausbruche der
hussitischen Bewegung fast ununterbrochen in lebhafter Opposition gegen die
Geistlichkeit gestanden hat. Daß diese Opposition nie das eigentlich religiöse
Gebiet berührt, sondern sich immer auf die Fälle beschränkt hat, wo die
geistlichen Machtbefugnisse auf weltlichem Gebiete ausgeübt werden sollten,
ist nicht geleugnet worden; und ebensowenig wollen wir von den ungemein
zahlreichen küchlichen Stiftungen schweigen, welche gerade im 14. Jahrhundert
in Breslau wie in den übrigen schlesischen Städten gemacht wurden, und
welche man uns als lebendige Zeugnisse sür die Frömmigkeit des damaligen
Schlesiens entgegenhalten könnte. Freilich war diese Frömmigkeit nicht minder
egoistisch als jene Opposition, auch sie berührte kaum das Wesen.der Religion,
mit einem äußerlichen Genügen an guten Werken sich abfindend. Nach Aeuße¬
rungen eines tieferen religiösen Lebens sucht man selbst in dem, was wir von
der theologischen Literatur Schlesiens aus jener Zeit übrig haben, vergebens,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/212>, abgerufen am 01.09.2024.