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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Protestantismus" und in Hus selbst "die Gegensätze, welche die Kirche der
Reformation später in zwei große Hälften getrennt haben, in einer großen
und wunderbaren Union, in der Union der glaubenskräftigen und opfer¬
willigen, demüthigen Liebe vereinigt." Unzweifelhaft ist das Buch bei aller
seiner Verdienstlichkeit in hohem Maße einseitig, die politischen und nationalen
Momente, die bei der hussitischen Bewegung so bedeutungsvoll mitwirkten,
kommen sehr wenig zu ihrem Rechte, und "von der böhmischen Reformation"
wird man sich aus dem Buche ein klares Bild um so weniger zu machen
vermögen, da es mit dem Jahre 1417 schließt, während doch erst nach Hus'
Tode die praktische Durchführung seiner Lehren versucht wird. Unzweifelhaft
aber hat Krummel Recht, die innere Verwandtschaft von Hus mit den Re¬
formatoren des 16. Jahrhunderts entschieden und lebhaft zu betonen.

Um dies anzuerkennen, braucht man nur einen der Lehrsätze von Hus
herauszugreifen und z. B. an die Anschauung zu erinnern, welche er von der
Bibel hatte. Man wird nicht umhin können, dieselbe als reformatorisch, ja
im eigentlichsten Sinne evangelisch zu bezeichnen. Als Hauptzweck seiner
Predigten sieht er an, dem Volke den Zugang zu dem Himmelreich d. h.
die Bibel und ihr Verständniß zu öffnen, eine Revision der Uebersetzung der
ganzen Bibel nimmt er in Angriff. Eifrig schilt er auf die Priester und
Schriftgelehrten, die nicht wollen, daß man dem gemeinen Volke die Bibel in
die Hand gebe. "Und sagt irgend Jemand (so lautet ein Ausspruch von
ihm), daß sie doch die heilige Schrift vorweisen möchten zur Begründung
ihrer Satzungen, so schreien sie gleich: seht doch den Wyklifiten, der die heil.
Kirche nicht hören will, sie halten nämlich sich selbst und ihre schrisrwidrigen
Satzungen für die heil. Kirche." Das Gesetz und Gottes heil. Schrift ist
ihm ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts, ist das
Maß, nach dem jeder geistliche Richter zu richten und zu messen habe, für sie
habe man selbst sein armes Leben hinzugeben. Nicht anders wie Luther in
Worms tritt Hus in Kosemitz seinen Richtern mit der Forderung entgegen,
aus der heiligen Schrift der Irrthümer überführt zu werden, deren man
ihn zeihe.

Wer wollte die Bedeutung dieser Anschauungen verkennen. Dieses
Zurückgreifen auf den Grundquell göttlicher Offenbarung, das Verlangen,
aus ihm die kirchlichen Lehrmeinungen und Institutionen erwiesen zu sehen,
schloß das nicht in sich den Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gesammten
kirchlichen Ordnung, wie sie die Jahrhunderte herausgebildet hatten, legte es
nicht die Axt an das ganze Gebäude der damaligen Hierarchie?

Und man hat kaum ein Recht zu behaupten, dieses große reformatorische
Princip sei später von den Hussiten, deren Ziele weit mehr auf nationalem
Gebiete gelegen hätten, verleugnet worden. Aus allen Religionsgesprächen


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Protestantismus" und in Hus selbst „die Gegensätze, welche die Kirche der
Reformation später in zwei große Hälften getrennt haben, in einer großen
und wunderbaren Union, in der Union der glaubenskräftigen und opfer¬
willigen, demüthigen Liebe vereinigt." Unzweifelhaft ist das Buch bei aller
seiner Verdienstlichkeit in hohem Maße einseitig, die politischen und nationalen
Momente, die bei der hussitischen Bewegung so bedeutungsvoll mitwirkten,
kommen sehr wenig zu ihrem Rechte, und „von der böhmischen Reformation"
wird man sich aus dem Buche ein klares Bild um so weniger zu machen
vermögen, da es mit dem Jahre 1417 schließt, während doch erst nach Hus'
Tode die praktische Durchführung seiner Lehren versucht wird. Unzweifelhaft
aber hat Krummel Recht, die innere Verwandtschaft von Hus mit den Re¬
formatoren des 16. Jahrhunderts entschieden und lebhaft zu betonen.

Um dies anzuerkennen, braucht man nur einen der Lehrsätze von Hus
herauszugreifen und z. B. an die Anschauung zu erinnern, welche er von der
Bibel hatte. Man wird nicht umhin können, dieselbe als reformatorisch, ja
im eigentlichsten Sinne evangelisch zu bezeichnen. Als Hauptzweck seiner
Predigten sieht er an, dem Volke den Zugang zu dem Himmelreich d. h.
die Bibel und ihr Verständniß zu öffnen, eine Revision der Uebersetzung der
ganzen Bibel nimmt er in Angriff. Eifrig schilt er auf die Priester und
Schriftgelehrten, die nicht wollen, daß man dem gemeinen Volke die Bibel in
die Hand gebe. „Und sagt irgend Jemand (so lautet ein Ausspruch von
ihm), daß sie doch die heilige Schrift vorweisen möchten zur Begründung
ihrer Satzungen, so schreien sie gleich: seht doch den Wyklifiten, der die heil.
Kirche nicht hören will, sie halten nämlich sich selbst und ihre schrisrwidrigen
Satzungen für die heil. Kirche." Das Gesetz und Gottes heil. Schrift ist
ihm ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts, ist das
Maß, nach dem jeder geistliche Richter zu richten und zu messen habe, für sie
habe man selbst sein armes Leben hinzugeben. Nicht anders wie Luther in
Worms tritt Hus in Kosemitz seinen Richtern mit der Forderung entgegen,
aus der heiligen Schrift der Irrthümer überführt zu werden, deren man
ihn zeihe.

Wer wollte die Bedeutung dieser Anschauungen verkennen. Dieses
Zurückgreifen auf den Grundquell göttlicher Offenbarung, das Verlangen,
aus ihm die kirchlichen Lehrmeinungen und Institutionen erwiesen zu sehen,
schloß das nicht in sich den Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gesammten
kirchlichen Ordnung, wie sie die Jahrhunderte herausgebildet hatten, legte es
nicht die Axt an das ganze Gebäude der damaligen Hierarchie?

Und man hat kaum ein Recht zu behaupten, dieses große reformatorische
Princip sei später von den Hussiten, deren Ziele weit mehr auf nationalem
Gebiete gelegen hätten, verleugnet worden. Aus allen Religionsgesprächen


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[0209] Protestantismus" und in Hus selbst „die Gegensätze, welche die Kirche der Reformation später in zwei große Hälften getrennt haben, in einer großen und wunderbaren Union, in der Union der glaubenskräftigen und opfer¬ willigen, demüthigen Liebe vereinigt." Unzweifelhaft ist das Buch bei aller seiner Verdienstlichkeit in hohem Maße einseitig, die politischen und nationalen Momente, die bei der hussitischen Bewegung so bedeutungsvoll mitwirkten, kommen sehr wenig zu ihrem Rechte, und „von der böhmischen Reformation" wird man sich aus dem Buche ein klares Bild um so weniger zu machen vermögen, da es mit dem Jahre 1417 schließt, während doch erst nach Hus' Tode die praktische Durchführung seiner Lehren versucht wird. Unzweifelhaft aber hat Krummel Recht, die innere Verwandtschaft von Hus mit den Re¬ formatoren des 16. Jahrhunderts entschieden und lebhaft zu betonen. Um dies anzuerkennen, braucht man nur einen der Lehrsätze von Hus herauszugreifen und z. B. an die Anschauung zu erinnern, welche er von der Bibel hatte. Man wird nicht umhin können, dieselbe als reformatorisch, ja im eigentlichsten Sinne evangelisch zu bezeichnen. Als Hauptzweck seiner Predigten sieht er an, dem Volke den Zugang zu dem Himmelreich d. h. die Bibel und ihr Verständniß zu öffnen, eine Revision der Uebersetzung der ganzen Bibel nimmt er in Angriff. Eifrig schilt er auf die Priester und Schriftgelehrten, die nicht wollen, daß man dem gemeinen Volke die Bibel in die Hand gebe. „Und sagt irgend Jemand (so lautet ein Ausspruch von ihm), daß sie doch die heilige Schrift vorweisen möchten zur Begründung ihrer Satzungen, so schreien sie gleich: seht doch den Wyklifiten, der die heil. Kirche nicht hören will, sie halten nämlich sich selbst und ihre schrisrwidrigen Satzungen für die heil. Kirche." Das Gesetz und Gottes heil. Schrift ist ihm ganz wahr und hinreichend zur Seligkeit des Menschengeschlechts, ist das Maß, nach dem jeder geistliche Richter zu richten und zu messen habe, für sie habe man selbst sein armes Leben hinzugeben. Nicht anders wie Luther in Worms tritt Hus in Kosemitz seinen Richtern mit der Forderung entgegen, aus der heiligen Schrift der Irrthümer überführt zu werden, deren man ihn zeihe. Wer wollte die Bedeutung dieser Anschauungen verkennen. Dieses Zurückgreifen auf den Grundquell göttlicher Offenbarung, das Verlangen, aus ihm die kirchlichen Lehrmeinungen und Institutionen erwiesen zu sehen, schloß das nicht in sich den Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gesammten kirchlichen Ordnung, wie sie die Jahrhunderte herausgebildet hatten, legte es nicht die Axt an das ganze Gebäude der damaligen Hierarchie? Und man hat kaum ein Recht zu behaupten, dieses große reformatorische Princip sei später von den Hussiten, deren Ziele weit mehr auf nationalem Gebiete gelegen hätten, verleugnet worden. Aus allen Religionsgesprächen 26"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/209>, abgerufen am 01.09.2024.